Burkina Faso
Ra-Sablga Seydou Ouédraogo, Wirtschaftswissenschaftler

Die Wirtschaftsexperten rechnen mit einer tiefgreifenden Wirtschaftskrise, die allerdings bereits jetzt existent ist, weil dem Außenhandel und den normalen Tätigkeiten der Unternehmen ein Riegel vorgeschoben wurde. Der IWF erwartet, dass die Krise schlimmer ausfällt als die von 2008. Der Wachstumsverlust von mehr als fünf Prozentpunkten würde das subsaharische Afrika 2020 mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 1,6 % in die Rezession treiben – ein nie zuvor erreichter Tiefstand in der Region.

Ra-Sablga Seydou Ouédraogo © © RS Ouédraogo Ra-Sablga Seydou Ouédraogo © RS Ouédraogo

Die Pandemie von Burkina Faso aus gesehen

Ich schreibe diese Kolumne aus der Region der Erde, die, abgesehen von Ozeanien, am wenigsten vom Corona-Virus betroffenen ist, sowohl was die Anzahl der infizierten Personen als auch die Anzahl der Toten angeht. Die für Afrika angekündigte Katastrophe hat sich nicht bewahrheitet, und alles spricht dafür, dass sie nur eine Projektion bleibt. Zudem haben viele angeprangert, dass systematisch alles schwarzgemalt wird, sobald es um Afrika geht.
 
Schwarzmalerei muss vermieden werden, ebenso wie chauvinistische Siegesgewissheit. Abgesehen von den diskutierten Hypothesen bietet tatsächlich kein schlüssiges empirisches Argument eine Erklärung für die afrikanische Widerstandsfähigkeit. Trotz der, selbst mit eingeschränkten Mitteln, erheblichen Anstrengungen der Regierungen, trotz der Massenmobilisierung und der einfallsreichen Initiativen aus der Bevölkerung ist offensichtlich, dass die Bezwingung der Pandemie auf dem afrikanischen Kontinent im Wesentlichen nicht der Politik und dem gemeinsamen Handeln geschuldet ist. Die Schreckensszenarien und der verantwortungslose Jubel haben gemeinsam, dass sie das menschliche Handeln falsch einschätzen, indem sie seine Wirksamkeit abstreiten oder im Gegenteil überbewerten. Man muss sich von diesen Resten des Afro-Pessimismus und Afro-Optimismus verabschieden, beides sind Positionen, die analytisch gesehen auf wackligem Fundament stehen.
 
Auch wenn ich die Pandemie in dem am wenigsten betroffenen Teil der Erde erlebe, ist die Situation meines Landes, Burkina Faso, nicht in jeder Hinsicht beneidenswert. Die Pandemie trifft hier nämlich auf eine Situation, in der sich mehrere Sicherheitskrisen überlagern – bezogen auf den Terrorismus, die politischen Gruppierungen und die humanitäre Lage. Die terroristischen Angriffe, die das Land seit fünf Jahren überschatten, scheinen sich immer mehr in den Regionen im Landesinnern festzusetzen und sind begleitet von politischen und gesellschaftlichen Spannungen mit Massakern an der Zivilbevölkerung. Das hat eine dramatische humanitäre Situation für mindestens ein Zehntel der 20 Millionen Burkiner zur Folge, darunter 800 000 Vertriebene, die aus ihren Häusern und Dörfern geflohen sind.
 
Das Corona-Virus nimmt einen wichtigen Platz auf der Staatsagenda in Bezug auf die Sicherheitsfragen ein. Staat und Gesellschaft insgesamt sind schneller und energischer gegen die Pandemie vorgegangen als gegen die durch den Terrorismus bewirkte Unsicherheit. Wahrscheinlich weil diese Unsicherheit weniger direkt die Orte politischer Macht in den Stadtzentren betrifft. Insofern hat die Pandemie, hier wie auch sonst auf der Welt, die enormen Ungleichheiten, bezogen auf das Risiko zu erkranken, aufgedeckt.
 
Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie in Burkina Faso wie auch anderswo in Westafrika kamen sehr schnell an ihre Grenzen, angesichts der schwierigen Lebensbedingungen der Bevölkerung, die quasi von der Hand in den Mund lebt. Die Schließung der Märkte traf die ärmeren Schichten und war dementsprechend umstritten, die Mittelschicht hingegen hatte immer noch Zugang zu Supermärkten, um dort einzukaufen.
 
Außerdem hat es sich als sehr kompliziert herausgestellt, die Maßnahmen zur Bekämpfung von Corona so auszurichten, dass auch die Schwächsten davon profitieren. Die Solidarität, die von Geschäftsleuten und Unternehmen sowie von öffentlichen Aktionen getragen wird, kann die arme Bevölkerung, deren Einkommen am stärksten betroffen waren, nur schwer erreichen.
 
All das zeigt die große Schwierigkeit und Komplexität, ein Land wie Burkina Faso politisch zu führen. Wie soll man mit beschränkten und künftig noch geringeren finanziellen Mitteln einer Gesundheitskrise die Stirn bieten, die auf eine bestehende ernste Sicherheitskrise trifft, und das Ganze mit begrenzten politischen Instrumenten? Diese Frage stellt sich umso mehr, als dieses Land ebenso wie die anderen Länder der Sahelzone von zwei weltpolitischen und gesellschaftlichen Phänomenen übermäßig stark betroffen sind: Zum einen leiden sie aufs Heftigste unter den dramatischen Konsequenzen des Klimawandels, verursacht von Schadstoffemissionen, für die sie selbst kaum verantwortlich sind. Zum anderen wurzeln die Konflikte, die sie heute betreffen, im Auseinanderfallen Libyens, bewirkt durch die NATO-Angriffe. Es kann deshalb nicht häufig genug betont werden, dass diese Länder objektiv zu denen gehören, die sich am schwierigsten regieren lassen.
 

Wie wird die Pandemie die Welt verändern? Welche langfristigen Folgen der Krise sehen Sie?

Es gibt reihenweise Szenarien über den Einfluss der Pandemie und für die Zeit nach Corona. Selbst wenn die Wirtschaftsexperten vielleicht am wenigsten Glück in puncto Vorhersagen haben, so scheinen sie sich dazu gerade besonders berufen zu fühlen. Sie rechnen mit einer tiefgreifenden Wirtschaftskrise, die allerdings bereits jetzt existent ist, weil dem Außenhandel und den normalen Tätigkeiten der Unternehmen ein Riegel vorgeschoben wurde. Der IWF erwartet, dass die Krise schlimmer ausfällt als die von 2008. Der Wachstumsverlust von mehr als fünf Prozentpunkten würde das subsaharische Afrika 2020 mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 1,6 % in die Rezession treiben – ein nie zuvor erreichter Tiefstand in der Region.
 
Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie und zur Unterstützungen von Bevölkerung und Unternehmen haben bereits Rekordsummen gekostet, die schwer auf der Zukunft lasten werden. Wird die enorme Staatsverschuldung die zukünftige Investitionsfähigkeit einschränken?
 
Tatsächlich wird die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik die Zukunft bestimmen. Die liberale Strenge, was die Staatsschulden angeht, würde zu einer Machtlosigkeit der Staaten angesichts wichtiger sozialer Probleme führen und sie daran hindern, die von der Pandemie enthüllten Schwachstellen anzugehen. Unter diesen Bedingungen wird sich der seit vierzig Jahren immer tiefer werdende Graben der gesellschaftlichen Ungleichheit weiter aushöhlen. Dieses Szenario ist paradox, weil es eine Verschärfung der Armut und Ungleichheit vorhersagt, für die das Corona-Virus doch gerade ein hervorragender Indikator war, sowohl in den reichen wie in den armen Ländern.
 
Politisch würde das Szenario einer Fortsetzung der neoliberalen Politik zu einer Verstärkung von Fremdenfeindlichkeit sowie identitärer und nationalistischer Abkapselung führen. Zusätzlich zu einer von Hass auf andere bestimmten Ideologie hätten die Regierungen die neuesten technologischen Mittel zum Tracking und zur Kontrolle ihrer Bevölkerung in der Hand. Das wäre tatsächlich die Fortsetzung der populistischen Welle, die seit einigen Jahren Europa, die USA und Lateinamerika erfasst. Gepaart wäre dies mit dem Technologismus, der nur darauf wartet, sich der Welt und der Menschheit zu bemächtigen.
 
Der Wirtschaftskrieg zwischen China und den USA, der sich inzwischen auch auf andere Bereiche ausdehnt, könnte in geostrategischer Hinsicht für die weltweiten Beziehungen nach der Pandemie exemplarisch sein. In diesem Fall wird die Corona-Krise eine verlorene Krise gewesen sein, die mehr kosten wird als die ebenso verlorene Krise von 2008.
 

Was macht Ihnen Hoffnung?

Im Gegensatz dazu ist ein anderes, optimistischeres Szenario nicht ausgeschlossen. Letztlich könnte die Welt durchaus ihre Lektion lernen, wie sie es nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 und nach dem Zweiten Weltkrieg getan hat.1 Die Regierungen könnten unter dem Druck der Öffentlichkeit die soziale Erneuerung in die Wege leiten, um sich um die Notleidenden zu kümmern. Sie könnten vernachlässigte Gebiete wieder eingliedern, in das Menschliche investieren, gegen die Ungleichheiten kämpfen und den nötigen ökologischen Wandel umsetzen. Diese vordringlichen Ziele der Staatstätigkeit zuzuweisen, würde zu einem Umdenken von großer Bedeutung in der Wirtschaftspolitik führen - denn man würde sie von der kurzfristigen finanziellen Logik und von der neoliberalen Ideologie, die die Gesellschaften geschwächt hat, befreien.
 
Es handelt sich nicht um einen naiven Traum. Sowohl theoretisch als auch empirisch erntet die neoliberale Politik starken Protest, sie wird infrage gestellt, was nicht länger unbeachtet bleiben kann. Im zweiten Szenario geht es darum, die daraus resultierenden Konsequenzen politisch zur Kenntnis zu nehmen und den langsamen Untergang des Neoliberalismus zu beschleunigen. Wie nach der Krise von 1929 wäre ein Kurswechsel der Wirtschaftspolitik entscheidend. Er würde den Staaten einen größeren Handlungsspielraum eröffnen. Wichtig ist allerdings, dass die Entwicklungsländer nicht von den Vorteilen dieses neuen Handlungsspielraumes ausgeschlossen werden. Insbesondere ist es notwendig, dass der afrikanische Staat als solcher sich umstrukturiert, seine angeschlagene Legitimität wieder festigt, um darauf sowohl Frieden als auch Entwicklung zu gründen. Denn die Corona-Krise hat gezeigt, wie notwendig es ist, starke Wirtschaften im Innern aufzubauen, Afrika braucht mehr denn je einen Zusammenschluss seiner Staaten, um wieder die Initiative ergreifen zu können.
 
Paradoxerweise besteht vielleicht Hoffnung, ausgelöst durch das rassistische Drama in den USA. Vielleicht hat die Corona-Krise, indem sie sowohl eine individuelle als auch eine gemeinschaftliche Selbstbeobachtung befördert hat, die Bewusstwerdung und den machtvollen Protest gegen die Polizeiverbrechen an Schwarzen bestärkt. Die großartige, alle Ethnien umfassende Bewegung, die sich in den USA ausbreitet und an die die Proteste in Europa und anderswo auf der Welt offenbar anknüpfen, ist vielversprechend, was die Erneuerung der Bürgerrechte angeht. In der aktuellen Krise kann der Kampf gegen Rassismus zusammen mit dem gegen Ungleichheit und Armut eine machtvolle Bürgerbewegung für einen Politik- und Führungswandel darstellen - zugunsten derjenigen, die weniger vermögend sind. Dürfen wir von einer neuen Phase des sozialen Fortschritts träumen, die aus der Corona-Krise hervorgeht? Ja! Wir können sogar darauf hoffen und, noch besser, daran arbeiten.
 

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