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SENIORENPROGRAMME AN DEUTSCHEN MUSEEN

Dr. Esther Gajek ist Ethnologin und als Lehrkraft am Lehrstuhl für Vergleichende Kulturwissenschaft der Universität Regensburg tätig. Sie verfügt über langjährige Erfahrung als freiberufliche Kuratorin. Sie beschäftigt sich mit Museumsvermittlung für Senioren. Sie ist Sprecherin der Fachgruppe „Generation 60plus im Museum“ des Bundesverbandes Museumspädagogik.

Von Esther Gajek

Dr. Gajek präsentierte auf der Konferenz ihre Ratschläge für Museumsarbeit mit Senioren basierend auf ihrer langjährigen Praxis und Forschung. Sie warf die Fragen auf, was unter „Senioren“ und „alt“ zu verstehen ist, und hat unterstrichen, dass „hohes Alter“ ein ziemlich relativer Begriff ist. Es ist auch eine kulturelle Konstruktion. Die Vorstellung, ob eine Person alt ist, wird durch die Zeit und das kulturelle Umfeld bestimmt, in dem sie lebt.

Ist eine Person alt? Fühlt sie sich alt? Das sind zwei komplett unterschiedliche Fragen betreffend das Kalenderalter und das subjektive Alter.

Die demografischen Prognosen für Deutschland zeigen, dass im Jahr 2030 die Zahl der 60-Jährigen und Älteren 30% und im Jahr 2060 – 40% betragen wird, was unweigerlich zu dramatischen Folgen nicht nur für das Gesundheitssystem, sondern auch für das kulturelle Leben im Land führen wird.

Die Museen in Deutschland setzen sich bereits für eine Vielzahl von Initiativen ein und bieten spezielle Programme für Senioren an. Oft sind dies Begegnungen bei Kaffee im Museum. Aber wie nehmen die Museen die Senioren wahr? Welche Annahmen treffen sie über ihre Interessen und Bedürfnisse? Wie nähern sie sich ihnen?

Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen führte ich eine ethnografische Studie in den Museen durch. Ich habe Dutzende von Museumsführungen erforscht und viele Interviews mit Museumspädagogen im ganzen Land gemacht. Anschließend habe ich die Arbeit mit Senioren vierer bestimmten Museen analysiert: des Technischen, Historischen, der Kunstgalerie und des Ethnografischen. Ich habe detailliert die Besucher während ihrer Tätigkeit dort beobachtet und habe sie außerdem anschließend interviewt. Diese Studie ermöglichte es mir, die älteren Besucher besser kennenzulernen. Die wichtigsten Schlussfolgerungen der Studie sind nachstehend aufgeführt. Sie sind von praktischer Bedeutung für die Museumsvermittlung.

Die 60-jährigen und älteren Besucher im Museum:

  • Sie sind keinesfalls eine homogene Gruppe, ganz im Gegenteil – sie sind eine ziemlich heterogene Gruppe.
  • Das sind mindestens zwei Generationen. Viele von ihnen sind in guter körperlicher Verfassung, aber es gibt auch einige, die Hilfe brauchen. Viele Männer und Frauen dieser Gruppe sind geistig fit, aber es gibt auch einige, die Alzheimer-Symptome zeigen. Unter ihnen gibt es Personen, die regelmäßig ins Museum gehen, aber auch solche, die noch nie in einem Museum gewesen sind und sich in der Umgebung orientieren müssen. Das Alter ist auch regional bedingt – es äußert sich unterschiedlich, je nachdem, ob man in einem Dorf oder in der Stadt lebt.
  • Diese heterogene Gruppe braucht akzeptiert, geschätzt und freundlich behandelt zu werden; sie möchte etwas Neues entdecken und sie will selbst entscheiden, ob sie stehen bleibt oder lieber sitzt, ob sie sich an die Situation anpasst oder nicht.
  • Alt sein heißt nicht schwach sein.
  • Für alle Museen ist es wichtig, dass sie für Senioren zugänglich sind, unabhängig vom Alter.
  • Das Alter ist eine Kompetenz.
  • Man kann Wissen weitergeben, das man das ganze Leben lang gesammelt hat. Das Publikum dieser Gruppe ist bereits im Museum. Einige von ihnen möchten über sich erzählen, über ihre Bedürfnisse. Sie wissen ganz genau, was sie wollen und was sie können. Fragen Sie sie und sprechen Sie mit ihnen.
  • Sie wollen nicht nur alte Dinge hören. Sie wollen etwas Neues lernen. Sie tauchen mit Interesse in fremde Welten ein, um sie kennenzulernen, sei es in die Technologie oder in eine unbekannte Kunstwelt. Manchmal sind die daran interessiert, Fertigkeiten zu erwerben. Genau diesen Bedürfnissen kann man mit einigen Museumsprogrammen für Senioren entgegenkommen.
  • Sie wollen nicht nur Zuhörer oder passive Besucher sein, sondern auch Akteure, sie wollen eine Rolle haben.
  • Sie sind daran interessiert, an Workshops teilzunehmen; etwas Neues oder Ungewöhnliches auszuprobieren; auch etwas, das sie bereits kennen, kann ihnen große Freude in der Museumsumgebung bereiten.
  • Sie wollen sich treffen und Gespräche führen. Das ist sehr wichtig für sie. In Deutschland haben wir einen hohen Anteil an Frauen, die in diesem Alter allein sind. Einsamkeit ist oft damit verbunden, dass man in sozial benachteiligte Gruppen fallen kann. Deshalb ist es äußerst wichtig, dass die Museumsprogramme für diese Altersgruppe kostenlos sind.
  • Programme, die eine Möglichkeit bieten, sich zu treffen, auszutauschen und Gespräche zu führen. Das Konzept solcher Programme ist sehr wichtig – die Gespräche über ihre Erfahrungen, über Sachen, die sie im Moment begeistern, darüber, was sie sehen und womit sie es verbinden. Solche Museumsprogramme erfordern überhaupt kein Fachwissen.
  • Sie hören mit Vergnügen zu, aber sie mögen es nicht, Fragen wie in der Schule gestellt zu bekommen. Stattdessen würden sie gerne erzählen.
  • Sie hören zu, damit sie, was Neues lernen, was sie danach erzählen können. Sie wollen aber auch nach ihren Erfahrungen gefragt werden, um diese zu erzählen und an zukünftige Generationen weiterzugeben. Die Fragen an sie sollten offen sein und nicht mit „richtig“ oder „falsch“ beantwortet werden können, bzw. sie sollten ihr Wissen nicht testen.

Gründe für den Besuch in Museen

In vielen Institutionen und in der Fachliteratur herrscht die Idee, dass der Hauptgrund für den Besuch älterer Menschen in Museen das Bedürfnis nach Ruhe und der Wunsch nach Entspannung ist. Infolgedessen veranstalten eine Reihe von Programmen Ereignisse, bei denen die Menschen längere Zeit sitzen bleiben und im Anschluss zu langwierigen Besprechungen und Kaffeegesprächen eingeladen werden. Sicherlich gibt es einen Grund dafür. Aber der Wunsch nach Ruhe und Entspannung tritt im Vordergrund eher bei den Beschäftigten. Viele der Teilnehmer am Seniorenprogramm, die mir während meiner Studie begegnet sind, klagten über übermäßige Ruhe und Entspannung. Im Museum suchten sie nach Herausforderungen für sich, nach Reiz, sie wollten Fragen gestellt bekommen, Resonanz provozieren. Einige von ihnen empfanden die körperliche Anstrengung als etwas Positives, ebenso wie die Möglichkeit, besondere Aufgaben zu übernehmen – „Ich kann es immer noch!“.

Die Studie ergab, dass der Wunsch der Senioren, ihr Wissen über das Ausgestellte im Museum zu erweitern und zu bereichern, nicht zu den Hauptgründen für den Besuch gehört. Vielmehr sind sie vom Wunsch angetrieben, etwas Neues über sich und die anderen zu lernen. Bestimmte Themen können ihnen zum Selbstvertrauen in ihren letzten Lebensjahren verhelfen, wie dies bei einer Gruppe von über 90-Jährigen der Fall war. Für sie war das eine Gelegenheit, ihre Identität noch einmal zu bestätigen, neue Exponate zu sehen und das Museum als ein Ort zu erleben.

Die besser ausgebildeten von ihnen sagen: „Wir wollen die Mosaiksteine des Wissens zusammenstellen, und die Museen helfen uns dabei“. Für andere ist es wichtig, sich von der gewohnten Umgebung zu entfernen und das Anderssein außerhalb der vier Wände der Einzimmerwohnung zu erleben; sich in den großen Hallen der Museen wiederzufinden, Kunst und Architektur zu sehen und zu erleben, andere Menschen kennenzulernen. Und nicht zuletzt, mithilfe der regulären Museumsprogramme wird eine Struktur für ihre Woche und für den Monat erstellt.

Achtung!
  • Meiden Sie Etiketten (z. B. „alte Leute“) und Stereotypen (z.B. „die alten Leute sind so und so“), wenn Sie solche Programme entwickeln. Wie oben erwähnt, ist das Alter äußerst heterogen. Wir haben eine Gesellschaft verschiedener Individuen.
  • Alter ist ein Sequenz-Prozess, ABER AUCH ein Prozess des Neuanfangs. Man hat die Möglichkeit, etwas Neues auszuprobieren.
  • Alt zu sein bedeutet, dass ich weiß, was ich will und ich kann es Ihnen erzählen. Fragen Sie mich einfach!
Letzte praktische Hinweise an den Museumspädagogen:
  • Die Unterstützung der Museumsleitung ist die erste Voraussetzung für den Erfolg. Sie müssen sicher sein, dass sie hinter Ihnen steht.
  • Um Erfolge zu erzielen, müssen Sie in erster Linie bereit sein, mit dieser Altersgruppe zu arbeiten. Wenn Sie ein Problem damit haben, z.B. weil sich die Leute in einer solchen Gruppe von Ihnen unterscheiden, oder was auch immer der Grund sein mag, wenn Sie sich z.B. lieber mit Kindern beschäftigen, dann lassen Sie es, weil es nicht funktionieren wird.
  • Wählen Sie zu Beginn kleinere und relativ homogenere Gruppen aus (z.B. von einem Ort, einem Seniorenclub, einem Altersheim). Erst nachdem Sie Erfahrung gesammelt haben, können Sie es mit größeren und heterogenen Gruppen versuchen.
  • Reden Sie bei jeder Gelegenheit und so oft wie möglich mit den Personen dieser Gruppe. Passen Sie das Programm an deren Bedürfnisse und Vorlieben an. Sie müssen sie verstehen, um erfolgreich zu sein. Fragen Sie sie!
  • Wenn Sie Vertrauen zu den Besuchern dieser Gruppe aufgebaut haben, spielt das Thema, über das Sie sprechen, keine große Rolle.
  • Denken Sie an Partnerschaften – z.B. Altersheime. Vielleicht kann jemand, der sich um solche Leute kümmert, eine ganze Gruppe ins Museum bringen.
Und zum Schluss: es gibt nicht nur einen richtigen Ansatz. Versuchen Sie es immer wieder, ändern Sie etwas, wenn es nicht funktioniert, und Sie werden Erfahrung sammeln. Es gibt nur einen falschen Ansatz – damit nicht zu beginnen!

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