Standpunkt
Verbrechen und Strafe

Frauen im Gefängnis
Frauen im Gefängnis | Foto: © Nadezhda Georgieva - NAD

“Frau zu sein ist im Leben schon schwer, doch Frau im Gefängnis zu sein – das ist unerträglich.”
— К., 9. Zelle

1 Stück Seife zum Duschen
1 Stück Seife zum Wäsche waschen
200 g Waschpulver
10 Slipeinlagen
 
Diese Dinge sind es, die jeder der 255 Frauen im Gefängnis von Sliven zur Verfügung stehen. Monatlich. Es fehlt an Badetüchern, daher benutzen die meisten Insassinnen Bettlaken zum Abtrocknen. Um zu duschen, müssen sie allerdings das Glück haben, an eine der wenigen noch funktionierenden Duschen der gemeinschaftlichen Sanitäranlage der Etage zu gelangen. Warmes Wasser gibt es nur für 15-20 Minuten am Tag (für allgemeine Hygienebedürfnisse und zum Wäsche waschen), so dass es vorab schon klar ist, dass nur die Einfallsreichsten zum Zug kommen. Im Gefängnis herrscht natürlich eine Hierarchie, daher kommt es oft zu Konflikten und Handgreiflichkeiten. Abends werden die Zellen verschlossen, der Ausgang ist strengstens verboten – die Sanitäranlagen werden durch Eimer unter den Betten ersetzt, in die sich die Frauen erleichtern können. Meistens teilen sich 4-5 Frauen eine Zelle, obwohl die Kapazitäten des Gefängnisses nicht vollständig ausgeschöpft sind und die Insassinnen bei weitem weniger sind als die berechnete Belegung.
 
So ist der Alltag im Slivener Gefängnis, das seit 1962 in Betrieb ist. Es ist das einzige Gefängnis für Frauen im Staat, gleichzeitig gehört Bulgarien zu den wenigen EU-Ländern mit einer derartigen Praxis. Nur noch Malta, Luxemburg, Zypern und Estland verfahren ähnlich, doch sie alle sind geographisch gesehen deutlich kleiner und das Fehlen von mehr als einer Anstalt für Freiheitsentzug ist einigermaßen gerechtfertigt.
 
Zuletzt nahm der Bericht „Frauen im Gefängnis“ des Bulgarischen Helsinki-Komitees vom Februar 2016 diese und andere besorgniserregende Statistiken in Augenschein und warf die Frage nach einer Geschlechter-Diskriminierung in Bulgarien auf.
 
Den Berichtsdaten zufolge machen die weiblichen Gefängnisinsassen in Bulgarien einen sehr geringen Anteil der Gesamtanzahl an Insassen aus, und zwar etwa 3-4 %. Die meisten von ihnen (ca. 82 %) sind aufgrund gewaltfreier Delikte zu Gefängnisstrafen verurteilt, während der Rest von rund 18 % für Verbrechen gegen Personen einsitzt. Unter den gewaltfreien Verbrechen ist der Anteil an Eigentumsverbrechen am höchsten (Diebstähle, Betrugsfälle), die häufig durch einen niedrigen Sozialstatus, soziale Isolation oder Arbeitslosigkeit der Frauen bedingt sind. Eben dieser geringe Anteil an weiblichen Insassen ist der Hauptgrund dafür, dass die Politiker sich nicht mit den spezifischen Bedürfnissen dieser Frauen auseinandersetzen.
 
Und während im Land 11 Gefängnisse für Männer in Betrieb sind, die weitaus mehr Möglichkeiten bieten, sich ans Gesetzesprinzip zu halten, welches besagt, dass der Insasse seine Freiheitsstrafe in der seiner Wohnadresse am nächsten gelegenen Anstalt verbüßen kann, gelangen die weiblichen Bestraften aus ganz Bulgarien ins Slivener Gefängnis. Ganz gleich, ob sie in Sofia, Silistra, Burgas oder Vidin leben – alle Wege führen nach… Sliven.
 
„Das Gebäude ist eine Katakombe – aus Beton, ohne richtiges Dach, oben ist sie mit Asphalt bedeckt. Im Sommer herrscht eine Höllenhitze, im Winter eine Eiseskälte. Holz- und Kohleöfen, überall Dreck, die Betten miserabel, die Matratzen auch. Sie erlauben dir nicht, etwas von daheim mitzunehmen“, erzählt eine der Insassinnen von Sliven.
 
Dieses territoriale Verteilungsprinzip der Häftlinge ist das erste Anzeichen von Diskriminierung gegenüber Frauen in Bulgarien. Allerdings zieht es auch weitere schwere Folgen nach sich.

“Frau zu sein ist im Leben schon schwer, doch Frau im Gefängnis zu sein – das ist unerträglich.”
— К., 9. Zelle
 

Die Freiheit zu verlieren, ist fraglos ein traumatisierendes Ereignis. Ins Gefängnis zu kommen bedeutet nicht nur, eine Strafe anzutreten, es erfordert auch eine komplette Restrukturierung des gesamten sozialen Umfelds des oder der Angeklagten. Alle öffentlichen Funktionen werden gegen eine Nummer, Zelle und eine Urteilsfrist eingetauscht. Der Insasse/die Insassin ist nicht mehr eine Person mit Arbeit, Bildung, Sozialstatus, mit Familie und Freunden, darüber hinaus bedeutet es für die Frauen noch etwas anderes: eine gewaltsame Unterbrechung der Mutter-Kind-Beziehung, was besonders im frühen Kindheitsalter für beide Seiten sehr schmerzhaft ist.

Die interviewten Frauen erzählen, dass es für sie schwer (oftmals sogar unmöglich) sei, von ihren Besuchs- und den zwei monatlichen Aufenthaltstagen außerhalb des Gefängnisses Gebrauch zu machen, die ihnen zustehen, um ihre Kinder und Nahestehenden zu sehen. Dies liegt an der Entfernung zum Wohnort, sowie am Geldmangel. So gesehen sind die Männern ungleich besser gestellt, die bessere Möglichkeiten haben, ihre Kontakte zur Außenwelt zu pflegen - und die folglich größere Chancen zur Rückintegration in die Gesellschaft nach dem Absitzen der Strafe haben.
 
Und während das Leben im Gefängnis schon schrecklich ist, so ist das Leben nach dem Gefängnis fast unmöglich. Obwohl es viel weniger Frauen gibt, die zum zweiten oder erneuten Male ins Gefängnis zurück müssen, als Männer, teilen sie uns mit, dass der Gefängnisaufenthalt ihren Kontakt zum Leben außerhalb der Gefängniswände vollständig unterbricht. Danach bist du ein Niemand, und die Strafe verfolgt dich überall hin. Die Integration zurück in die Familie gestaltet sich ebenfalls schwierig (viele der Frauen sind alleinerziehende Mütter). Und weil Programme, die die Wohnungs- und Arbeitssuche unterstützen, fehlen, geraten die Frauen noch tiefer in die soziale Isolation.

Die meisten Frauen leben mit der Einstellung, keine Chance mehr zu haben, sich in der Gesellschaft jemals wieder verwirklichen zu können. Und das ist ein Problem, das nicht nur sie etwas angeht, sondern auch uns, die wir jenseits der Gefängnisgitter sind.
 
Am 1. März veranstaltete das Bulgarische Helsinki-Komitee eine Serie von Diskussionen zum Thema: „Frauen im Gefängnis“ im Zentrum für Kultur und Debatte „The Red House“. Der Dialog versuchte Antworten darauf zu finden, was mit den Frauen hinter den Gefängniswänden und ihren Kindern passiert, und ob das bulgarische Strafvollzugssystem sich nach internationalen Standards richtet. Ebenfalls erörtert wurde, welche spezifischen Bedürfnisse der Frauen nicht beachtet werden und was momentan realistisch betrachtet verbessert werden kann.