Verschwörungsmythen  „Da vergeht einem das Lachen“

 Foto: Pedro Hamdan

Angst vor Kontrollverlust macht Menschen anfälliger für Verschwörungsideologien – die Corona-Pandemie ist dafür deshalb die beste Voraussetzung. Wie man reagieren sollte, wenn man Verschwörungsgläubigen begegnet, erklärt die Politikwissenschaftlerin und Netzaktivistin Katharina Nocun im Interview.

Frau Nocun, zusammen mit Pia Lamberty haben Sie im Mai 2020 ein Buch mit dem Titel „Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ veröffentlicht. Darin sprechen Sie allerdings nicht von Verschwörungstheorien, sondern nutzen die Begriffe „Verschwörungsmythen“ oder „-ideologien“. Warum?

Theorien sind ein wissenschaftliches Konzept. Man nimmt dabei an, dass sobald eine Theorie nachweislich falsch ist, der andere sie zurückzieht oder anpasst. Genau das passiert aber bei Verschwörungsideologien nicht. Bei Verschwörungsmythen glauben Menschen, es gäbe eine geheime Absprache von als mächtig wahrgenommen Einzelnen oder Gruppen. Den angeblichen Verschwörern wird eine gewisse Kompetenz zugeschrieben. Es können aber auch sozial benachteiligte und ausgegrenzte Gruppen sein, wie bei den antisemitischen Pogromen im Mittelalter. Wichtig ist auch, dass den Verschwörer*innen die böse Absicht unterstellt wird, anderen schaden zu wollen.

Woher weiß man, dass es sich nicht tatsächlich um eine Verschwörung handelt?

Es gibt durchaus auch reale Verschwörungen. In einer Demokratie muss man genau hinschauen, was Geheimdienste und Regierungen machen, was in Politik und Wirtschaft passiert. Entscheidend ist, ob ich einen Wahrheitsanspruch habe und meine Meinung mit Fakten belegen kann, oder ob es sich um eine Ideologie, ein geschlossenes Weltbild, handelt. Es ist ein Unterschied, ob ich Hypothesen diskutiere oder ob ich in ein Glaubensmodell falle.

Wann sind Menschen denn besonders anfällig, an Verschwörungen zu glauben?

Wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihnen die Kontrolle entgleitet – etwa bei Jobverlust, politischen Umbrüchen oder auch einer globalen Pandemie –, neigen sie eher dazu, an Verschwörungsmythen zu glauben. Dazu gibt es Studien. Der Verschwörungsmythos kann dann eine Art Hilfskonstrukt sein. Meine Sicht auf die Welt ist dadurch nicht unbedingt rosiger, aber ich habe das Gefühl, dass es eine Struktur gibt, einen Plan, und klare Schuldige, die ich benennen kann.

Was sind besonders gängige Narrative?

Besonders im medizinischen Bereich kursieren viele Verschwörungsmythen. Wenn jemand behauptet, impfen sei gefährlich, werden oft Verschwörungen als Erklärungsansatz bemüht. Es wird unterstellt, es gäbe eine weltweite Verschwörung von Millionen von Mediziner*innen, die sich abgesprochen hätten, um der Welt zu schaden. Da geht es nicht um Fakten, das hat mit der Realität nichts zu tun. Aber dies führt unter anderem dazu, dass Menschen Ärzt*innen grundsätzlich misstrauen und sie auch bei ernsten Erkrankungen lieber den Wunderheiler konsultieren. Solche anti-wissenschaftlichen Haltungen können tödlich enden.

Verstärkt das Internet solche Trends?

Ein gängiges Vorurteil ist, dass Verschwörungserzählungen durch das Internet überhaupt erst Auftrieb bekommen. Aber man muss sich nur Deutschland zur Nazi-Zeit anschauen: Da hat die Mehrheit der Bevölkerung an den Mythos der jüdischen Weltverschwörung geglaubt, also an eine ganz klare antisemitische Verschwörungserzählung. Das war Regierungsmeinung und wurde in Schulen gelehrt. Damals gab es noch kein Internet. Tatsächlich ist das Phänomen aber sichtbarer geworden, und natürlich entstehen und verbreiten sich solche Narrative digital schneller.

Wie kommt es denn, dass für manche eine solche Weltsicht so real wird?

Verschwörungsgläubige nehmen die Welt etwas anders wahr. Die meisten von uns haben einen Expert*innen-Bias: Wir schenken denjenigen, die wir für Expert*innen halten, mehr Vertrauen. Studien haben gezeigt, dass Verschwörungsgläubige einen schwächer ausgeprägten Expert*innen-Bias haben und sie im Extremfall dem Nachbarn genauso viel Glauben schenken wie einem international anerkannten Expert*innen.

Wie sollte man auf Verschwörungsglauben im Netz reagieren?

In sozialen Netzwerken und Gruppenchats sollte sofort Gegenrede geleistet werden. Bei rassistischen und antisemitischen Ansagen sollte man deutlich sagen, bis hierhin und nicht weiter. Das ist sehr wichtig, denn es wird Hass gegen Menschen geschürt, der schlimme Folgen haben kann. Schweigen wird oft als Zustimmung interpretiert.

Was meinen Sie konkret mit „schlimmen Folgen“?

Viele Attentäter in den letzten Jahren – in Hanau, Halle, auch in Neuseeland – haben an Verschwörungserzählungen geglaubt und ihre Morde damit gerechtfertigt. Es hat sich gezeigt, dass Verschwörungsmythen zentral sind für die Mobilisierung der radikalen Rechten. Das muss auch als systematisches Problem gesehen werden, man muss das ernst nehmen. Verschwörungsideolog*innen erklären Menschen gezielt zur Zielscheibe. Wenn Wissenschaftler*innen Morddrohungen erhalten, führt das dazu, dass sie weniger bereit sind, sich öffentlich zu äußern. Das ist keine Bereicherung für eine ausgewogene fachliche Debatte.

Was, wenn Freund*innen plötzlich solche Gedanken äußern?

Faktenchecks können helfen – rund um Corona gibt es sehr gute. Auch das Gespräch unter vier Augen ist sinnvoll und vielleicht die Frage: „Wie geht es Dir eigentlich?“ Das Gefühl von Kontrollverlust führt nachweislich dazu, dass Menschen plötzlich Dinge glauben, die sie sonst eher nicht glauben würden.

Erreiche ich so auch jemanden, der absolut überzeugt ist von einer Verschwörung?

Zu Menschen, die schon tiefer in dieser Informations-Parallelwelt stecken und etwa meinen, es gebe eine globale Wissenschafts- oder Presseverschwörung, ist es schwer durchzudringen. Faktenchecks kommen dann ja genau von den Akteuren, die sie als Teil der Verschwörung ansehen. Beratungsstellen raten zu fragen: „Hast du das nachgeprüft? Warum glaubst du, dieses Medium sei seriöser als ein anderes?“ – und so dazu anzuregen, die eigenen Annahmen zu hinterfragen. Oft führt der Glaube an eine Verschwörung zum Glauben an eine weitere Verschwörung und irgendwann ist das ein geschlossenes schwarz-weißes Weltbild.

Das wäre dann die Kategorie „Aluhutträger“, die für einige durchaus auch Unterhaltungswert hat.

Über den Mythos von Chemtrails, die angeblich keine Flugzeug-Kondensstreifen sind, sondern Stoffe, die uns vergiften sollen, wird gerne gelacht. Wie lustig ist das aber für ein Kind, das nicht mehr raus darf, sobald ein Kondensstreifen am Himmel zu sehen ist, weil die Eltern so etwas glauben? Man lebt in ständiger Angst. Die Leute wollen anfangs immer lustigste Verschwörungserzählungen hören – nach einem Gespräch über die Hintergründe und Folgen nicht mehr. Denn wenn man sich näher damit beschäftigt, vergeht einem das Lachen.

Wo finden Ratsuchende – Betroffene oder Angehörige – Hilfe?

Derzeit wenden sich viele an Sektenberatungsstellen, denn etliche Sekten verbreiten Verschwörungsmythen, um die Mitglieder an sich zu binden. Auch die mobile Beratung gegen Rechtsextremismus berät zu diesen Themen. Aber es gibt viel zu wenige solcher Stellen und sie müssten besser ausgestattet sein. Es braucht bessere Finanzierung für Vereine, die zu diesem Thema arbeiten.

Was müssten die staatlichen Institutionen tun?

Schulen sollten das Thema systematisch auf den Lehrplan setzen. Jugendliche kommen damit früher oder später in Kontakt und sollten lernen, Verschwörungsnarrative zu erkennen und damit umzugehen. Auch psychologische Bildung wäre sinnvoll: Wenn ich weiß, dass ich in dieser oder jener Situation anfälliger bin, kann das meinen Blick nach innen schärfen, so dass ich erstmal eine Nacht darüber schlafe, ehe ich meine Ansichten im Chat teile. Ich persönlich würde mir von staatlicher Seite einen einheitlichen Masterplan und eine Strategie wünschen – und mehr Geld für die Forschung.
 
Katharina Maria Nocun Netzaktivistin und Publizistin. 2012 trat sie der Piratenpartei Deutschland bei und war für einige Monate deren politische Geschäftsführerin. Als Campaignerin war sie unter anderem für Campact und Wikimedia tätig. Ihr Buch „Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ erschien 2020 im Quadriga-Verlag. © Miriam Juschkat

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