Das Charango
Eine Reise in die Seele der bolivianischen Musik

Dieses Instrument steht wie kein anderes für die Musik der südamerikanischen Anden: das Charango. Ein Besuch im Wohnzimmer dieses wichtigen kulturellen Erbes Boliviens.     

In den steilen Gassen im Zentrum von La Paz bekommt man alles. Boliviens Hauptstadt liegt in mehr als 3000 Metern Höhe, ihr Flughafen in der Satellitenstadt El Alto ist einer der höchsten der Welt. Die Lage in den Anden prägt La Paz nicht nur klimatisch, sondern auch kulturell. An den hängenden Ständen der Straßenecken wird nicht nur feiner Silberschmuck aus Potosí verkauft, sondern auch Kokablätter in großen Beuteln, getrocknete Lamaföten für rituelle Zeremonien – und kunstvolle Musikinstrumente.

Hier begebe ich mich auf die Suche nach einem Hersteller von Charangos. Dieses Instrument steht wie kein anderes für die Musik der Andenregion und wurde 2006 zum kulturellen Erbe Boliviens ernannt. Sein Klang prägt die folkloristische Musik der Region und gibt dem Stolz und der Sehnsucht der Bolivianer eine Stimme. Ich frage herum, ein Mann führt mich in ein Gebäude nahe des „Mercado de Brujas“, dem Hexenmarkt, wo Juan Achà Campos einen Laden hat. „Hier bist du genau richtig“, sagt der Mann und geht. Juan fertigt seit 1968 in Handarbeit und unter Verwendung edelster Hölzer Charangos, die in alle Welt verkauft werden. Wir verabreden uns für den nächsten Morgen – Juan wird mich in die Geschichte des Charangos einführen und mir seine Werkstatt hoch über der Stadt zeigen.

Um 9 Uhr morgens stehe ich in seinem Laden, die Musikstunde beginnt. Juan spielt mir verschiedenste Instrumente vor, erzählt von seinen Anfängen: „Ich habe mit 19 Jahren aus Neugier begonnen, mein erstes Charango zu bauen. Damals studierte ich noch Wirtschaft, meine wahre Leidenschaft gehörte aber schon der Musik. Ich habe bald angefangen, mit verschiedenen Materialien zu experimentieren, um den besten Klang zu finden. Das Charango ist auch ein Ausdruck meiner Herkunft. Ich bin in dem kleinen Dorf Tomoya geboren, ein paar Stunden von der Minenstadt Potosí entfernt. Die Kultur der Aymara, zu der auch meine Familie gehört, hat mich zum Charango geführt“.

Im Instrument lebt die Kultur der indigenen Völker

Die Instrumente, die Juan beim Erzählen auf den Tisch legt und spielt, sind wunderschön. Aus einem Stück Holz werden sie geschnitzt, man kann die Lebenslinien der Bäume auf ihnen nachzeichnen. Ebenholz aus Afrika, Palo Santo aus den Wäldern Brasiliens, Einsätze aus Perlmutt und traditionelle Muster zieren die Griffbretter. Auf ihnen wird die Kultur der indigenen Völker der Anden geehrt und gefeiert. Ursprünglich wurden Charangos aus dem Panzer von Gürteltieren gefertigt, auch ein solches Modell besitzt Juan. Auf über 140 Jahre schätzt er es, er hat es einem Straßenmusiker in Sucre abgekauft. Juan ist stolz auf seine Instrumente und auch auf den Erfolg: Sogar Carlos Santana schickte einen Mitarbeiter, um ein Charango von ihm zu kaufen. Reihenweise Preise wurden ihm in den letzten 40 Jahren verliehen und er bereiste die Welt. Er bekam Einladungen aus Europa, den USA und ganz Südamerika, um dort seine Instrumente vorzustellen und seine Kunst zu erklären. Immer, wenn es ging, nahm er auf diesen Reisen seine Familie mit. „Sie sollten auch sehen, wie es in anderen Teilen der Welt aussieht, ich wollte dieses große Glück mit ihnen teilen. Nicht jeder hier hat die Möglichkeit, soviel zu sehen. Wir waren sogar in Disneyland Paris!“ Jetzt muss er lachen.  

Wir fahren in seine Werkstatt, wo die Instrumente mit atemberaubendem Blick auf La Paz entstehen. Hier arbeiten auch seine beiden Söhne, Fernando und Miguel – beide haben ein Universitätsstudium abgeschlossen und sind dann in die Werkstatt gekommen: „Es ist wichtig, dass man etwas abseits der Musik hat“, sagt Juan. Die Charangos werden in Handarbeit hergestellt, nur zum Sägen der großen Balken wird eine Kreissäge benutzt. Der Rest des Prozesses, das Schnitzen, Aushöhlen, Zusammenfügen und Abschleifen: Alles per Hand. Die Hölzer dazu müssen oft jahre- oder sogar jahrzehntelang gelagert werden, bis sie für Juan gut genug sind. In einem Lagerraum stapeln sich die schweren Balken bis zur Decke. Es riecht nach Staub und altem Holz, mit Filzstiften ist das Jahr markiert, in denen das Material gekauft wurde. Manches Stück Holz liegt hier schon seit 15 Jahren – Juan klopft auf verschiedene Hölzer. Jetzt verstehe ich den Unterschied. „Das Holz muss reifen, es muss seinen Klang erst entfalten“, erklärt Juan. „Anfangs ist es noch dumpf, weil viel Feuchtigkeit in ihm steckt. Wenn es aber sehr langsam trocknet, dann klingt es später ausgezeichnet. Zu schnell darf es aber auch nicht gehen. Deshalb liegt meine Werkstatt in den Bergen hier, das Klima bleibt hier konstant“.

Juan ist trotz 40 Jahren Erfahrung ein eifriger Schüler und lernt noch immer dazu. „Mein Studium hilft mir, denn es hat mir hohe Mathematik beigebracht. Ich habe mich viel mit Akustik und Statik beschäftigt, denn ein Klangkörper ist eben auch Wissenschaft. Wenn man ihn vergrößert, muss man die Maßstäbe entsprechend bedenken. Ich glaube, dass meine Instrumente auch wegen diesem wissenschaftlichen Herangehen so gut klingen und so beliebt sind. Ich lerne immer noch, es scheint nie aufzuhören“.

Nach dem Rundgang durch die Werkstatt und einem Gespräch mit seinem Sohn Miguel fährt Juan mich an eine Stelle, von der aus man das ganze Tal sehen kann, in dem La Paz liegt. Die Sonne scheint grell und stolz erzählt er, wie glücklich es ihn macht, dass auch seine Söhne in der Werkstatt arbeiten und die Familientradition weiterführen werden. Viele tausend Instrumente hat er in seiner Laufbahn gebaut, auf der ganzen Welt werden sie gespielt und geschätzt. Viele Musiker schicken ihm ihre Lieder, in denen sie seine Instrumente spielen und ihm danken für die Charangos, die er gemeinsam mit seinen Söhnen baut. Juan ist sicher, dass auch nach ihm der Name Achà die Kultur und die Musik der Aymara in die Welt tragen wird.

(Den Laden von Juan Achà Campos findet man in der Calle Sagárnaga 189, Galería Dorian, La Paz)