Schnelleinstieg:

Direkt zum Inhalt springen (Alt 1) Direkt zur Hauptnavigation springen (Alt 2)

Und sie sind glücklich dabei

Nie wieder frei


(Auszug aus dem Roman UND SIE SIND GLÜCKLICH DABEI)

Und sie sind glücklich dabei © Edelvives, 2019 Beim Gang durch die Räume wurde sowohl Paul als auch mir schnell klar, was mit der Art und Weise, wie die Objekte an diesem Ort ausgestellt wurden, bezweckt werden sollte. Es ging um die Hervorhebung der Kontraste. Der scharfe Kontrast zwischen der idyllischen Kulisse, vor der Hitler und seine Leutnants unter der bläulichen Masse der Berge auftraten, und all dem Terror, dem Krieg, dem Massenmord, den dieselben Leute, sogar vor derselben Kulisse, geplant und ausgeführt hatten. Und die über all dem stehende Frage, die man sich so oft stellt, wenn man auf die Ereignisse der deutschen Geschichte zurückblickt: Wie konnte ein solches System, ein System, das auf Terror und Mord basierte, die Unterstützung eines großen Teils der Bevölkerung gewinnen? Von friedlichen Deutschen, von Menschen wie du und ich, Menschen, die sich selbst als "gut" bezeichnen würden, die jede Verbindung mit der Tötung eines anderen Menschenlebens energisch abgelehnt hätten, und doch nichts taten, um die Tötung von sechs Millionen Juden zu verhindern. Oder Homosexuellen. Oder Sinti und Roma. Oder von körperlich Behinderten. Oder von psychisch Kranken.

Ich glaube, die dort angebotene Antwort lässt sich in einem Wort zusammenfassen: "Suggestion". Ein kollektiver Vorschlag. Als ob das ganze Volk - oder die Mehrheit - der hypnotischen Wirkung eines Magiers erlegen wäre; verführt, gaben die Individuen ihre Souveränität und ihren Willen auf und folgten, fügsam und unterwürfig, ihrem Führer bei all seinen Untaten. Und das geschah mit Erwachsenen und auch mit Kindern, die vom Kindergarten an in dieser Suggestion erzogen wurden. Auf einer der Informationstafeln las ich einen Satz, der mir eine Gänsehaut bescherte, einen Satz aus einer Hitler-Rede an die Jugend im Jahr 38. Darin berichtete Hitler über das ganze Netz von Jugendorganisationen, das die Partei den Jugendlichen anbot, dem man ab dem zehnten Lebensjahr beitreten konnte und in dem die Kinder in aufeinanderfolgenden und unumkehrbaren Phasen lernten, "nichts anderes als deutsch denken, deutsch handeln". Hitler schloss seine Rede mit einem haarsträubenden Satz, der in der Ausstellung hervorgehoben wurde: "Und sie werden ihr ganzes Leben nicht mehr frei sein, und sie sind glücklich dabei”.

Ja, dem deutschen Volk wurde vorgegaukelt, dass sie die Protagonisten eines "nationalen Erwachens" seien, dass sie Teil einer Einheit, einer Volksgemeinschaft seien, wie es auf den Ausstellungsplakaten hieß. Die Menschen bildeten eine Einheit mit ihrem Führer, der in spektakulären Inszenierungen mythologisiert, aber gleichzeitig an Schauplätzen wie dem Obersalzberg in seiner Nähe zum Volk präsentiert wurde, um Identifikation zu ermöglichen. Und da das individuelle Wesen im diffusen Amalgam dieser "Schicksalsgemeinschaft" verschwand, herrschte der Wille der Gruppe ohnehin über die eigene Überzeugung. Sie gaben ihre Freiheit auf, wie Hitler in seiner Rede gesagt hatte, und waren dabei glücklich.

Ich schätze, das alles war für Paul nicht so neu wie für mich, obwohl ich glaube, dass es ihn direkter traf; es war schließlich die Vergangenheit seines Landes, egal wie sehr er versuchte, sich von dieser Last zu entbinden. Er ging langsam, die Hände hinter dem Rücken, die Schultern gesenkt, als ob sie wirklich das Gewicht einer Last tragen würden. Wir hielten uns mit Kommentaren zurück, als wir uns von Raum zu Raum bewegten, aber irgendetwas ließ uns immer wieder vor denselben Fotografien stehen bleiben, dieselben Objekte genau betrachten, dieselben Texte lesen. Man hätte meinen können, wir seien auf der Suche nach einem Thema für unsere Arbeit in der Klasse von Herrn Schauer, aber in Wirklichkeit - so glaube ich jetzt - hatten wir uns schon auf eine andere Suche begeben, eine Suche, von der wir nicht wussten, wohin sie uns führen würde, noch was ihr Ziel war, in die wir aber beide schon eingetaucht waren, ohne es zu wissen. Und da sind wir ihr begegnet, der kleinen Bernile. Als ob sie auf uns gewartet hätte.

Bei Bernile's Foto war es wieder einmal der Kontrast, der uns in seinen Bann zog. Die Zerbrechlichkeit, die Unschuld, die von dem blonden, lächelnden Mädchen ausging, gegenüber der latenten Brutalität des Mannes, der sich mit ihr in dieser Pose der scheinbaren Zärtlichkeit fotografieren ließ. Ein Kontrast, der einen weiteren, noch erschreckenderen Kontrast offenbarte: den eines Mannes, der zarte Zuneigung für ein reizendes kleines Mädchen zeigte, der aber fähig war, die Ermordung von Hunderttausenden von Kindern, so reizend wie die kleine Bernile, in den Vernichtungslagern anzuordnen. Wir standen lange vor diesem Bild, jagten den Details nach und spürten schon in diesem Zittern unserer Knie - zumindest empfand ich das so -, dass dort eine Geschichte verborgen war, eine lebendige Geschichte, die noch nicht zu Ende war und die uns beide berührte.

Neben dem Foto gab ein erklärendes Plakat kurz die Details von Berniles Geschichte wieder. Sie war mit ihrer Mutter auf den Obersalzberg gekommen, um dem Führer ihre Aufwartung zu machen, als Teil einer jener häufigen Pilgerfahrten junger Leute, die das Regime förderte. Der Mutter von Bernile gelang es, den Organisatoren der Veranstaltung mitzuteilen, dass der Geburtstag ihrer Tochter mit dem des Führers, dem 20. April, zusammenfiel. Dieses Detail muss dem Tyrannen gefallen haben, denn er ordnete an, dass das Mädchen sich ihm nähern dürfe, um ein paar Worte zu wechseln und gemeinsam fotografiert zu werden. Von diesem Moment an begann eine intensive geistige Beziehung zwischen Hitler und dem Mädchen, die über mehrere Jahre bis 1938 andauern sollte und zu siebzehn Briefen führte, siebzehn Briefe, die heute im Bundesarchiv aufbewahrt werden, so der Text. Über die Gründe für die Unterbrechung der Korrespondenz in jenem Jahr oder über das, was danach mit Bernile geschah, wurde jedoch keine Auskunft gegeben. Ich fragte mich, ob sie noch leben würde, ob sie Kinder, Enkel oder vielleicht Urenkel hätte, die, so rechnete ich schnell aus, etwa in meinem Alter sein könnten. Was würden sie von jenem ominösen Briefwechsel ihrer Großmutter halten. Von ihrem unheilvollen Brieffreund.
 

Autorin

Elena Alonso Frayle Foto: © Axel Bahr Elena Alonso Frayle (Bilbao, 1965) hat einen Abschluss in Jura und Wirtschaft von der Universität Deusto und einen Master in Europastudien von der Universität Nancy, aber seit 2008 widmet sie sich ganz der literarischen Tätigkeit. Sie hat im Senegal, in Argentinien, Thailand und der Mongolei gelebt, die meiste Zeit ihres erwachsenen Lebens aber in Deutschland verbracht. Sie lebt derzeit in La Paz, Bolivien.

Mehr...
Top