Ndidi Dike
Commodities of Consumption and Sites of Extraction in the Global South

„Wie können wir uns beim Konsum dieser Produkte der unmenschlichen Bedingungen bewusst werden, unter denen sie gewonnen oder produziert wurden, und wie können wir dabei der Gräueltaten gedenken, die während dieses Prozesses begangen werden?“ – Ndidi Dike
Diese digitale 3‑D‑Installation des Projekts Commodities of Consumption and Sites of Extraction in the Global South (Konsumgüter und die Orte ihrer Entnahme im globalen Süden) nimmt Bezug auf Konsumgüter, die im Zusammenhang mit dem transatlantischen Sklav*innenhandel (sowie mit den globalen Rohstoffmärkten von heute) stehen, und unterstreicht dabei die stark metaphorische Kraft ihrer Materialität.
„Diese Arbeit wendet sich sowohl an die Kolonisierenden als auch an die Kompliz*innenschaft der Kolonisierten, indem sie die dominanten wirtschaftlichen und politischen Machtstrukturen untersucht, die der transatlantische Sklav*innenhandel in der Vergangenheit hervorgebracht hat und weiterhin hervorbringt. Diese massenhafte Verbringung von versklavten und zur Migration gezwungenen Menschen hatte auch Auswirkungen auf die Bedeutung von Gegenständen, die zu Ressourcen und damit zu Waren wurden, sowie auf geografische Räume, die zu Orten der Ausbeutung sowohl von Menschen als auch von Rohstoffen wurden.“ – Ndidi Dike
Einbindung von Materialien: Tischlein deck dich

In meinen Arbeiten verbinde ich diese Gegenstände und Metaphern mit der Materialität von Produkten aus bestimmten Seehäfen und „Orten der Entnahme“ der westafrikanischen Küste, die gemeinhin als Golf von Guinea bezeichnet wird.
Der Gesamteffekt besteht darin, dass die Besucher*innen durch die Installation mäandern und gleichzeitig die Produkte selbst, die natürlichen Ressourcen und die fotografischen Darstellungen dieser Objekte durch Bilder erleben, die deren Produktion (vom Rohmaterial bis zur Verarbeitung), die geografischen Herkunftsorte und deren Bewegungen rund um die Welt beschreiben. Durch die gesamte Installation hindurch modellieren die Bewegungen der Körper der Besucher*innen samt ihrer Blicke die spezifischen Verbindungen zwischen den einzelnen Orten und Häfen, von Anfang bis Ende des Prozesses. Jeder Tortenständer ruht auf Tischen, die sorgfältig mit Tischtüchern bedeckt sind, auf denen die berüchtigten Pläne des Sklav*innenschiffes The Brookes abgebildet sind, um zu verdeutlichen, dass die Produktion und der Konsum von Waren historisch gesehen von der Arbeitskraft und dem Grund und Boden der Versklavten abhingen.
Materielle Narrative

Baumwolle

Kurz zusammengefasst: Die Kapitalakkumulation in der peripheren Warenproduktion war nach Merivale für die wirtschaftliche Expansion der Metropolen notwendig, und der Zugang zu Arbeitskräften, wenn nötig durch Zwang, war eine der Voraussetzungen, um das reichlich vorhandene Land in einen produktiven Rohstofflieferanten zu verwandeln. Die Erfindung der Egreniermaschine, mit deren Hilfe die Rohbaumwolle durch Entfernen der Samen aus der Baumwollfaser schneller verarbeitet werden konnte, steigerte zwar die Produktivität und den Gewinn (die Gewinne verdoppelten sich fast), verringerte aber nicht die Zahl der versklavten Arbeiter*innen, die zum Anbau und zur Ernte der Baumwolle benötigt wurden. Die Kleidung der Sklav*innen war hingegen aus äußerst grobem, ungebleichtem Leinenstoff gefertigt. Im Interesse der Unterwerfung waren die Arbeitsbedingungen der Sklav*innen von Missbrauch geprägt. Später wurde die Sklaverei durch das ausbeuterische Sharecropping‑System ersetzt, bei dem die Pächter*innen Feldfrüchte für die Grundstückseigentümer*innen anbauten und dafür einen Teil des Erlöses aus dem Verkauf der Ernte erhielten.

Gold

Dort erfuhr ich von den stillgelegten Goldminen in der 1698 gegründeten, rohstoffreichen Stadt Ouro Preto – was so viel wie „schwarzes Gold“ bedeutet. Diese befindet sich im Bundesstaat Minas Gerais, einer ehemaligen portugiesischen Kolonie im östlichen Teil Brasiliens. Unser Reiseleiter informierte uns, dass ein Großteil der dort eingesetzten Sklav*innen aus Ghana stammte und von den portugiesischen Kolonialherren speziell wegen ihrer Vorkenntnisse und Traditionen im Bereich der Goldschmiedekunst ausgewählt wurden.
Dazu kamen auch Sklav*innen aus anderen ethnischen Gruppen wie den Bantu und Yoruba, dem Gebiet des heutigen Cotonou – Geschichte, Erinnerung und gegenwärtige Ausbeutung liegen dicht beieinander. In der Goldmine von Ouro Preto in Brasilien kamen gezielt kleine Kinder zum Einsatz, insbesondere kastrierte Jungen. Die katholische Kirche in Brasilien hat die Sklaverei nie offen verurteilt – dies geschah erst halbherzig im 17. Jahrhundert – , denn sie diente als Form der „Zivilisierung“ der Ausbeutung und Kontrolle der versklavten Afrikaner*innen. Dennoch gelang es den Sklav*innen, auf subversive Art und Weise ihren Glauben, ihre Traditionen und Religionen zu adaptieren und zu praktizieren, was verschiedene Kultformen hervorbrachte, wie zum Beispiel die Candomblé‑Religion, eine Kombination aus fremden und traditionellen Praktiken.
Der Gold‑Tortenständer führt die Betrachter*innen in materielle Narrative ein, die sich auf den Abbau dieses Edelmetalls konzentrieren, das zu den profitabelsten Mineralien unseres Planeten gehört; die weltweit größten Vorkommen befinden sich in Südafrika, Ghana, Mali und im Kongo (DRC).
Für die Eliten ist Gold die äußere Manifestation von Luxus, das ultimative Statussymbol von Reichtum, neben glitzernden Diamanten und anderen Mineralien wie Platin. Gold steht für Opulenz, Macht und Prestige. Es steht für Sorglosigkeit und für absolute Gleichgültigkeit gegenüber Umweltverschmutzung und -zerstörung, der Enteignung von indigenem Land und den unmenschlichen sozialen Bedingungen, unter denen die Bergleute arbeiten, die dieses Material an die Oberfläche bringen.

Indigo

Indigo‑Farbstoff wird von den Yoruba im Südwesten Nigerias verehrt, die ihn für die Gestaltung und Herstellung von Stoffen verwenden, die als „adire eleko“ bekannt sind, eine Form der Reservetechnik. Im Südosten von Nigeria kommt er auch bei der Herstellung der als „Ekpe“ oder „Ukara“ bezeichneten Stoffen zur Anwendung. Diese werden traditionell von verschiedenen ethnischen Gruppen verwendet, wie den Efik und den Ibibio aus dem Bundestaat Cross River, den Oron und Uran aus dem Bundesstaat Akwa Ibom sowie den Igbo aus Ohafia, Arochukwu, Item, Abiriba, Abakalii und anderen Orten im Bundesstaat Abia. Das Tuch wird unter Verwendung eines lokalen Systems von „Nsibidi“‑Symbolen entworfen und hergestellt und ist ausschließlich den männlichen Mitgliedern der geheimen „Ekpe‑Leopardengesellschaft“ vorbehalten. Durch deren Verbreitung über den Atlantik gibt es unter Afrokubanern und Brasilianern, die ursprünglich als Sklaven aus diesen Gebieten und Orten verschleppt wurden, eine ähnliche Bruderschaft, die als „Abakua“ bekannt ist – eine initiatorische Männervereinigung, von der gesagt wird, dass sie aus den angrenzenden Küstengebieten im Südosten Nigerias und dem Südwesten Kameruns stammt.

Vanille

Der weltgrößte Produzent ist Madagaskar, eine verarmte Inselrepublik gegenüber von Mosambik an der Südostküste Afrikas. Das Heimatland der Vanille hat eine Bevölkerung von mehr als 26 Millionen Menschen und ist für 75 Prozent der Weltproduktion verantwortlich. Die Vanille ist zugleich die landwirtschaftliche Kulturpflanze mit dem zweithöchsten Arbeitsaufwand, da sie zusätzlich zur Bienenbestäubung mühsam und gekonnt von Hand bestäubt werden muss, woran angeblich 80.000 Arbeitskräfte beteiligt sind. Der gesamte Prozess, von der Bestäubung über die Reifung und Trocknung bis zur endgültigen Aufbereitung für den Export, dauert etwa ein Jahr.
Der beispiellose Appetit und das Verlangen des Westens nach Vanille zieht Kriege, Tod, außergerichtliche Tötungen und Abholzungen nach sich, da Wälder gerodet werden, um Platz für die lukrative Produktion von Vanille zu schaffen, wodurch das ohnehin schon fragile Ökosystem weiter geschädigt wird. Die Landarbeiter*innen bewaffnen sich mit Gewehren, um ihre Pflanzen vor Vanilledieb*innen zu schützen, die des Nachts versuchen, sie zu stehlen, weshalb sie rund um die Uhr bewacht werden. All dies wird ausgelöst durch die externe Nachfrage und Preiskontrollen auf den Märkten des globalen Nordens, korrupte Beamt*innen, heuchlerische lokale und internationale politische Eliten und Geldvorschüsse von den Vertreter*innen ausbeuterischer Firmen. Aufgrund der enormen Gewinne sind die Menschen bereit dieses Risiko einzugehen. Besorgte Einheimische, Menschenrechtsorganisationen und Einzelpersonen, die versuchen, dagegen anzugehen, werden häufig mit erfundenen Anklagen schikaniert und zu Gefängnisstrafen verurteilt. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass synthetische oder künstliche Vanille leicht in Massenproduktion hergestellt werden kann, die Industrie aber den Geschmack natürlicher, biologisch angebauter Vanilleschoten bevorzugt. Das erklärt deren hohen Wert und warum Menschen dazu bereit sind, ihr Leben zu riskieren, um sie zu beziehen, koste es, was es wolle. Der Duft von Vanille wird den Ausstellungsraum durchdringen – nicht nur, um auf Ausbeutung in der Rohstoffindustrie hinzuweisen, sondern auch, um die unmenschlichen Bedingungen, die Menschenrechtsverletzungen, den Diebstahl der Ernte durch bewaffnete Gruppen, die Abholzung und die politische Instabilität hervorzuheben, denen die armen Landarbeiter*innen ausgesetzt sind, die Vanilleschoten in Madagaskar anbauen.
Der Tortenständer präsentiert importierte verarbeitete Vanilleschoten in Reagenzgläsern, die mit einem Strichcode versehen sind. Neben Vanilleschoten aus Metall, die auf den verschiedenen Ebenen des Ständers verteilt sind, erscheinen drei Miniaturflaschen mit Vanilleessenz, die in Läden vor Ort in Lagos erworben wurden. Auf einem weiteren Ständer erscheinen diese neben Vanillewaffeln und mit Vanille aromatisiertem Chai‑Tee. In der Mitte der sieben hängenden Folien schwebt ein Vorhang aus hyperrealistischen Vanilleschoten, die aus Metall gefertigt sind und so wiederum das Auge täuschen. Diese Mini‑Metallskulpturen verweisen auf das ursprüngliche Objekt, erinnern aber auch an aufgehängte Körper und die dunkle Geschichte von Lynchjustiz und Tod – ein weiterer Verweis auf die Gewalt, die der menschlichen Arbeit zugrunde liegt, sowie auf die respektlose Haltung gegenüber den Ländern, aus denen diese Ressourcen stammen.
Prozess
Danksagung:
Goethe-Institut
Niyi Omoniyi Adebayo
awhitespacelagos
Taiwo Ayedegbon
ooa_ visual
Kelechi Amadi-Obi Studios
Benjamin E. Ukoh