Elvira Dyangani Ose
Radical Citizenship

Navine G. Khan-Dossos, There is No Alternative Installation, Installationsansicht, The Showroom (2019) | Foto (Detail): © Navine G. Khan-Dossos, The Showroom und Dan Weill Photography
„Würden Sie sagen, dass Bewusstsein allein ausreicht?“ – Elvira Dyangani Ose
Radical Citizenship (Radikale Bürgerschaft) ist ein Projekt, das von The Showroom konzipiert wurde. Das ursprünglich für 2020 geplante Programm umfasste Ausstellungen, Performances und Workshops, die sich mit gesellschaftspolitischen, theoretischen und künstlerischen Prozessen für die Neuerfindung von Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung innerhalb der Rahmenbedingungen unserer heutigen Städte auseinandergesetzt hätten.
Ein kuratorisches Gespräch
Moderiert von Elvira Dyangani Ose, Direktorin von The Showroom. Ein Gespräch mit der Architektin und Kulturtheoretikerin Blanca Pujals, der Kuratorin Lily Hall und dem Projektentwickler und Anwalt Raúl Muñoz de la Vega. Vorgestellt von Katherine Finerty, Kuratorin und Kommunikationsmanagerin.
Hierbei handelte es sich um ein aufgezeichnetes Onlinegespräch vom 1. Dezember 2020 zwischen Kurator*innen, Theoretiker*innen, Künstler*innen und Kulturschaffenden, das die verwirklichten und noch zu realisierenden Programme von The Showroom zum Thema hatte.
The Showroom und Radikale Bürgerschaft
„Was bedeutet es, Weltbürger*in zu sein, und was bedeutet es, Allianzen mit Menschen einzugehen, die weit weg von uns leben?” – Elvira Dyangani Ose
In der Nachbar*innenschaft
„Die Fragestellung war ziemlich dringend [...], als wir das erste Mal in den Lockdown gingen: Welche Möglichkeiten gibt es, aus der Ferne miteinander in Verbindung zu bleiben und wie würde das Ganze weitergehen?“ – Lily Hall
Kollektivität und Individuum
„Es gibt da eine größere Frage, nämlich: Wie radikal kann eine kulturelle Institution sein?“ – Raúl Muñoz de la Vega
Politik und Dynamiken der Stadt
„Wie können wir das Stadtgefüge nachhaltig beeinflussen?“ – Elvira Dyangani Ose
Reicht Bewusstsein allein?
„Ich frage mich, wie man Zuneigung, Fürsorge, also das, was durch eine Struktur bereitgestellt werden kann, langfristig aufrechterhalten kann.“ – Elvira Dyangani Ose
Der Körper und die Stadt
„Was bedeutet es für bestimmte Körper, in der Stadt zu sein und dennoch ein Gefühl der Verdrängung in sich zu tragen; das gewisse Gefühl, aufgrund ihrer ‚Erbärmlichkeit‘ eine zuschauende Position einzunehmen?“ – Elvira Dyangani Ose
Kontext und Zielsetzung
Ausgehend von einem intensiven Dialog mit dem Historiker Vijay Prashad, Direktor des Tricontinental Instituts für Sozialforschung, und Jan Goossens, künstlerischer Leiter des Festival de Marseille und des Dream City Festivals in Tunis, verfolgte dieses Projekt das Ziel, den Begriff des differenziellen Raums des Philosophen Henri Lefebvre weiterzuführen und zu durchbrechen. Als eine der aktivistischsten Aussagen Lefebvres suggeriert der Begriff des Differenziellen, dass die Urbanität von Stadtbewohner*innen die einzige und notwendige Bedingung für Veränderung ist. Lefebvre glaubt, dass es notwendig ist, Raum zu reformieren, ihn sich anzueignen und ihn auf andere Weise zu konsumieren. Der urbane Raum – mit seiner Klassenvermischung, seinen Dualitäten und Veränderungen – bietet dem Alltagsphilosophen eine Arena, die die Bürger*innen mitsamt ihrem Wunsch nach Veränderung in die Lage versetzt, die homogenen Mächte für ihre eigenen Zwecke zu unterwandern.
Auf dem Weg zu einer Radikalen Bürgerschaft
Lefebvre untersucht die potenziellen Möglichkeiten von Gemeinschaften, offizielle Macht zu untergraben und einen Raum – einen sozialen Raum – zu schaffen, der sich nach ihren Wünschen auf den physischen Raum der Stadt auswirkt. Dieser Anspruch, so Lefebvres These, „manifestiert sich als eine übergeordnete Rechtsform: das Recht auf Freiheit, auf Individualisierung in der Sozialisierung, auf Lebensraum und auf Wohnen. Das Recht auf das Werk, auf Teilhabe und Aneignung (welches sich deutlich vom Recht auf Eigentum unterscheidet), sind im Recht auf Stadt implizit enthalten.“ (Henri Lefebvre „Le Droit à la Ville“, in: L’Homme et la Société 6, 1968, Seiten 29–35)
Lefebvre erkennt, dass die Stadt – für ihn das Paris der Mai‑Demonstrationen 1968 – im Wesentlichen ihre Identität verloren hat. Als Subjekt sieht er sie in Auflösung begriffen: Sie wird nicht länger gelebt, nicht länger praktisch verstanden. Um diesen Verlust zu begreifen und andere Wege der Annäherung an das Subjekt zu verfolgen, schlägt Lefebvre eine neue analytische Wissenschaft der Stadt vor, deren Konzepte und Theorien nur dann vorankommen können, wenn sie sich mit der urbanen Realität im Werden, mit der Praxis und den sozialen Praktiken der Stadtgesellschaft auseinandersetzen; eine Wissenschaft, die sich den fragmentarischen Aspekten anderer Wissenschaften annähert, aus unzähligen Perspektiven, um ein neues „virtuelles Subjekt“ zu erforschen. Er fordert einen neuen Humanismus, der zwangsläufig über die individuellen Entscheidungen von Technokrat*innen hinausgehen und stattdessen die Stimme des Kollektivs in eine neue Formulierung der Stadt einbeziehen muss – ein Thema, das er in seinem bahnbrechenden Werk Die Produktion des Raums (La Production de l’Espace, 1974) eingehend untersucht. Darüber hinaus zeigte das Projekt auch die eindeutigen Grenzen von Lefebvres Erwartungen auf – vielleicht aufgrund der Gegebenheiten seiner Zeit und der mangelnden Erkenntnis, dass bestimmte Aspekte und Tendenzen der Moderne jenseits seines Verständnisses von städtischem Wohnen auszumachen sind. Die Geschichte hat Lefebvres Theorien in dieser Hinsicht widerlegt.
Radical Citizenship.The Showroom Summit (Radiakle Bürgerschaft. The Showroom Konferenz) hatte zum Ziel, eine prominente Gruppe von gesellschaftlichen Führungspersönlichkeiten, Kulturschaffenden und Produzierenden einzuladen. Ihr Werk und ihre Werdegänge zeigen eine Handlungsfähigkeit jenseits der Grenzen der klassischen Kritik auf, die es ermöglicht, sich mit soziopolitischen, theoretischen, künstlerischen und kulturellen Prozessen für die Neuerfindung von Handlungsfähigkeit und Selbstverwaltung innerhalb der Rahmenbedingungen unserer zeitgenössischen Städte auseinanderzusetzen. Sie verkörpern das von Lefebvre geforderte „neue virtuelle Subjekt“ und führen dessen Definition weiter in eine futuristische Vorstellungswelt.
Im Laufe der Jahre 2018 bis 2021 wurden zahlreiche Gespräche mit Künstler*innen, Künstler*innenkollektiven, Kurator*innen, Schriftsteller*innen, Ökonom*innen und politischen Denker*innen initiiert. In dieser Zeit wurde ein intersektionales, „sympoetisches“ Programm entworfen, sowohl mit neuen Dialogen, die angesichts der aktuellen Situation entwickelt wurden, als auch mit bestehenden, die auf langfristig verankerten Strukturen der transnationalen kuratorischen Praxis aufbauen. Zentraler Gedanke bei all diesen Gesprächen über Kontinente hinweg war die Absicht, neue künstlerische, kulturelle, gesellschaftspolitische und theoretische Ansätze für eine Politik der Fürsorge zusammenzubringen, die sich mit Handlungsfähigkeit und Governance jenseits normativer Rahmen befasst.
Dieser Text entstand während des zweiten nationalen Lockdowns in Großbritannien, nachdem wir im Oktober die Möglichkeit hatten, unser Haus für einen Monat wieder zu öffnen. Dies geschah fast 200 Tage nach der Schließung Mitte März 2020, als unser kleines, kollaboratives Team sich zerstreute und jede*r von uns individuell von zu Hause aus zu arbeiten begann. Und obwohl die Türen des Showrooms nun notwendigerweise wieder vorübergehend geschlossen sind, war diese Zeit grundlegend für einen Prozess der rigorosen, produktiven Reflexion über unsere institutionelle Antwort auf die „neue Normalität“: Dies hat es uns ermöglicht, in Solidarität mit so vielen anderen die Prioritäten unserer kuratorischen und künstlerischen Programmstrategien in Bezug auf die sich verändernde Umwelt, in der wir leben, zu überdenken.
Neue, experimentelle Stränge unseres Programms sind ins Internet gewandert und in diesem Zusammenhang fragen wir uns, welche kulturellen Bedingungen, Unterstützungsstrukturen und Formen der Gastfreundschaft wir jetzt und in Zukunft fördern können. Vor diesem Hintergrund rückt der Begriff der von immateriellen Gemeinschaften gestützten Radical Citizenship (Radikalen Bürgerschaft) in den Vordergrund, der unsere fortlaufende Reaktion auf die Dringlichkeit lokaler und transnationaler Zusammenarbeit bestimmt. Wir befassen uns mit der Komplexität einer Politik der Fürsorge und bieten gleichzeitig Werkzeuge und Möglichkeiten an, um Alternativen zum Status quo zu konzipieren und kollektiv zu verwirklichen.
Verwirklichtes und noch zu Verwirklichendes

Recetas Urbanas

Ursprünglich war geplant, dass The Showroom im März und April 2020 als Labor fungieren würde, in dem Vertreter*innen von Recetas Urbanas, die Architektin und Kulturtheoretikerin Blanca Pujals und weitere Mitwirkende ihre Forschungsergebnisse in einer Reihe von Workshops und betreuten Selbstbau‑Sessions und Dialogen mit Anwohner*innen und Londoner Kollektiven teilen.
Im Herbst 2019 begann Recetas Urbanas mit einer Gruppe von Eltern zusammenzuarbeiten, die im Rahmen einer Waldschule in Biggin Wood, einem Eichenwaldgebiet in Croydon, Süd-London, die Schaffung eines gemeinschaftlichen Raums anstrebten. Ausgehend von dieser Recherche sollte The Showroom zu einer dynamischen gemeinschaftlichen Lernumgebung werden: ein Mehrzweckraum, der die Formen und Funktionen eines lebendigen Archivs der bisherigen Projekte von Recetas Urbanas, eines sozialen Forums und eines Ateliers miteinander vereint.
Nach der ersten Schließung aufgrund von COVID‑19 im März 2020 blieb der Raum jedoch für mehr als sechs Monate geschlossen und wurde erst am 30. September 2020 mit der zweiten Auflage von Affection as Subversive Architecture – Unauthorised Entry Permitted (Zuneigung als subversive Architektur – Unbefugter Zutritt erlaubt) wiedereröffnet, angepasst an die von der Pandemie hervorgerufenen Umstände und organisiert in Zusammenarbeit mit der Londoner Architektin und Kulturtheoretikerin Blanca Pujals. Das Projekt lud Einzelpersonen, lokale Gruppen und Forscher*innen dazu ein, sich mit dem über einen Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren entstandenen Archiv von Recetas Urbanas „urbanen Rezepten“ auseinanderzusetzen.
Im Mittelpunkt dieses Projekts stand eine Reihe von Kernfragen, darunter: „Wie öffentlich sind öffentliche Räume?“ und „Welche Möglichkeiten gibt es, den öffentlichen Raum, seine Nutzung und Gestaltung zu unterwandern, wenn dieser öffentliche Raum ein Gebäude ist?“
In diesem Sinne zielt Affection as Subversive Architecture – Unauthorised Entry Permitted (Zuneigung als subversive Architektur – Unbefugter Zutritt erlaubt) darauf ab, ein kollektives Denken über Formen der räumlichen Organisation und die Herausbildung neuer sozialer Beziehungen innerhalb und außerhalb öffentlicher kultureller Institutionen anzuregen.

Von Oktober bis Dezember wurden Menschen, die im Bereich der Church Street leben und arbeiten, eingeladen, zusammen mit Blanca Pujals an einer Reihe von Diskussionsgruppen teilzunehmen, die sich mit den Erfahrungen seit dem Ausbruch von COVID‑19 befassen – insbesondere, um über die Räume, die wir täglich bewohnen, und die neuen räumlichen Bedürfnisse, die durch die Krise entstanden sind, nachzudenken. Diese Gespräche sollten auf den Erfahrungen aufbauen, die Recetas Urbanas beim Errichten neuer Infrastrukturen mit Kollektiven und Gemeinschaftsgruppen in ganz Spanien und mit lokalen Gruppen in städtischen Kontexten auf internationaler Ebene gemacht hat. Diese Workshops konnten aufgrund der Auswirkungen von Covid‑19 nicht stattfinden, aber die Methodologien fanden bei der Analyse des kulturellen Lebens in der Nachbarschaft 2021 Eingang in den Stadtausschuss von Westminster.
Wandgemälde der charakteristischen Monatspläne des Architekten Santiago Cirugeda aus den Monaten Januar und Februar 2020 kontextualisieren und rahmen die archivierten Inhalte in der Galerie ein und veranschaulichen die Vorarbeiten zur ersten Auflage des Projekts in London. Diese großformatigen Reproduktionen von Cirugedas eigenwilligen Notizbüchern bezeugen die zeitlichen Abläufe und Fluktuationen der internationalen Tätigkeit seines Architekturbüros im Rahmen von Gesprächen mit einem transnationalen Netzwerk von Mitarbeiter*innen: Sie zeigen, wie diese sich überschneiden und im Fluss des täglichen Lebens zwischen öffentlicher, privater, kultureller und sozialer Sphäre Gestalt annehmen.

Erkenntnisse aus der Archivausstellung von Recetas Urbanas
Überwindung von Identitätspolitik
Indem sie Menschen aus allen Gesellschaftsschichten zum gemeinsamen Bauen einladen – unabhängig von deren Herkunft, Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen oder rechtlichem Status –, gelingt es den Architekturprozessen von Recetas Urbanas, Identitätspolitik zu überwinden. Im Gegensatz zu professionalisierten Bauprozessen werden die Teilnehmenden durch offene Aufrufe zusammengebracht, wodurch die Baustellen zu einem Raum werden, in dem jede*r die Möglichkeit hat, außerhalb eines gesellschaftlich auferlegten identitären Rahmens zu interagieren. In diesem Sinne kommen Menschen unabhängig von Ethnie, Klasse, sexueller Identität und Orientierung, körperlichen Fähigkeiten oder Alter zusammen, wodurch sich die Möglichkeit alternativer sozialer Konfigurationen eröffnet und überdies neue Subjektivitäten entstehen.
In den Projekten von Recetas Urbanas finden sich die Teilnehmenden in einer ihnen völlig neuen Position wieder: nämlich mittels einer horizontalen Versammlung in den öffentlichen Raum einzugreifen. Die kollektive Entscheidungsfindung ist ein grundlegender Teil der Praxis von Recetas Urbanas. Auf diese Weise überdenken die Projekte der Gruppe den öffentlichen Raum neu und umgehen den hegemonialen, normativen Ansatz der öffentlichen Verwaltungen, da jede Entscheidung durch eine Vielzahl von Perspektiven der Bevölkerung beeinflusst wird. In diesem Sinne deckt sich ihre Methodik mit der Arbeit von Theoretiker*innen oder Fachleuten, die die Strategien und Mechanismen der Normalisierung hinter der Gestaltung des öffentlichen Raums aufzeigen, um so die binären Systeme der Bewertung und des Ausschlusses zu entlarven, die so oft unsere städtischen Umgebungen prägen.
Habitar el Gesto in Kuba, 2019–2020
Ende 2019 und Anfang 2020, also während in London Affection as Subversive Architecture (Zuneigung als subversive Architektur) für The Showroom konzipiert wurde, entwickelte Recetas Urbanas das Projekt Habitar el Gesto (Die Geste bewohnbar machen) in Havanna, Kuba, in dessen Rahmen das Haus der verstorbenen Dichterin Dulce Maria Loynaz renoviert wurde. Dieses alte Herrenhaus wurde in den vergangenen Jahrzehnten von verschiedenen Familien bewohnt, und aufgrund des allmählichen Verfalls der Struktur drohten der Abriss und die Neubebauung durch die Behörden. Zusammen mit den jetzigen Bewohner*innen, Nachbar*innen, Studierenden und einer Reihe weiterer interessierter Akteur*innen hat Recetas Urbanas nun einen Sanierungsprozess in Gang gesetzt. Das Gelände wird in ein Wohn- und Kulturzentrum umgewandelt, und zwar mit einem Programm, das während des Bauprozesses kollektiv erdacht, diskutiert und umgesetzt wird. Für dieses Projekt wurde eine spezielle, teilweise bis zu fünf Meter breite Gerüststruktur installiert, um während des Bauprozesses Austausch und Interaktion zu fördern. Diese Geste verdeutlicht, dass für Recetas Urbanas sämtliche Abläufe während des Bauprozesses genauso wichtig sind wie das finale architektonische Produkt – wenn nicht sogar wichtiger.
Experimentelle Pädagogik: Dos Hermanas, Provinz Sevilla
Ganz gleich, ob es sich um den Bau eines geselligen Klassenzimmers gemeinsam mit den Familien der Schüler*innen in der Stadt Dos Hermanas bei Sevilla handelt, um ein zusammen mit Nachbar*innen, Insass*innen und Schüler*innen errichtetes Gemeindezentrum in einem Außenbezirk von Madrid oder um ein mit einer großen Anzahl von internationalen Freiwilligen realisiertes Amphitheater auf einem öffentlichen Platz in Basel – jedes der Projekte von Recetas Urbanas stellt eine Antwort auf diverse Fragestellungen dar: rechtliche, politische, administrative oder soziale. Diskussion und Lösungsfindung unter Einbeziehung aller Teilnehmenden sind ein fester Bestandteil eines jeden Projekts. Durch diese Open‑Source‑Praxis vermittelt Recetas Urbanas den Teilnehmenden nicht nur neue Baufertigkeiten, sondern auch administrative, rechtliche und politische Werkzeuge, die es ihnen ermöglichen, sich in einer experimentalpädagogischen Übung fortlaufend für aktive Bürgerschaft einzusetzen.
Diskursive Workshops in The Showroom, 2021 ...
In diesem Projekt geht es darum, ein Forum für die Diskussion dringender Fragestellungen zu schaffen, die in der Umgebung von The Showroom im Kontext von Recetas Urbanas und darüber hinaus zur Debatte stehen. Unsere geplanten Diskussionen und Workshops zielen darauf ab, Möglichkeiten zu erforschen gemeinschaftliche Lernumgebungen zu schaffen und Forschungsergebnisse in kleinen Gruppen persönlich oder online zu teilen. Die Fragestellungen werden sich damit befassen, wie wir trotz der andauernden Krise neue Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit herstellen und den öffentlichen Raum nutzen können: mit dem Ziel, die räumlichen Bedürfnisse, die bedingt durch den Lockdown entstanden sind, besser zu verstehen und zu durchdenken. Somit betrachtet unser Vorhaben die soziale Dimension als Teil des kulturellen Bereichs und hinterfragt, wie kulturelle Räume Austausch und Zusammenarbeit fördern können.
Letztendlich ging es bei Affection as Subversive Architecture – Unauthorised Entry Permitted (Zuneigung als subversive Architektur – Unbefugter Zutritt erlaubt) darum, unser Verständnis von sozialen Räumen und der Ethik der Fürsorge neu zu konfigurieren und gleichzeitig neue Formen der Selbstverwaltung und alternativer Pädagogik zu fördern, die es den Bürger*innen ermöglichen, an der Konstruktion von Öffentlichkeit teilzunehmen. Darüber hinaus hat sich das Projekt zum Ziel gesetzt, eine Kreislaufwirtschaft ins Leben zu rufen, in der das Ethos des kollektiven Lernens selbstbestimmte Gemeinschaften hervorbringt. Diese poetische Geste radikaler Kollektivität zielt darauf ab, unser Verständnis von der Beschaffenheit kultureller Institutionen wie The Showroom zu hinterfragen.

There Is No Alternative
Im Zentrum unseres Denkens in Richtung einer radikalen Bürgerschaft steht eine Praxis der experimentellen Pädagogik, aufbauend auf gelebten Erfahrungen bei der Umsetzung neuer alternativer Denk- und Arbeitsweisen – und zwar auf zutiefst engagierte, verortete, kollaborative und kontextabhängige Weise. Dies ist es auch, was unsere langjährige Zusammenarbeit sowohl mit Recetas Urbanas als auch mit der Künstlerin Navine G. Khan‑Dossos ausmacht. Die Vorstellungen von Geselligkeit, die die Praxis von Recetas Urbanas prägen, überschneiden sich mit Ivan Illichs bahnbrechendem Text Tools for Conviviality (Werkzeuge für die Geselligkeit), der bei der Entwicklung der partizipativen Workshops mit Khan‑Dossos im Sommer 2019 als Referenz diente.





Alexander Massouras betrachtet Khan‑Dossos’ Praxis, insbesondere TINA, durch eine kunsthistorische Linse. Er bezieht sich dabei auf Rosalind Krauss’ Analyse der Bedeutung von Rastern und ordnet die Visualität von Prevent in eine Schutzschildtradition ein, die bis zu den Kreuzzügen zurückreicht und die visuelle Kulturgeschichte dieser umstrittenen Strategie hinterfragt.

Außerdem sind ausgewählte Auszüge aus Dokumenten zur Prevent‑Strategie zu sehen, die ursprünglich in The Showroom präsentiert wurden. Dieses wachsende Forschungsarchiv gibt einen historischen Überblick über Prevent und wurde von Khan‑Dossos im Dialog mit dem Kurator*innenteam von The Showroom sowie einem Netzwerk langjähriger Mitstreiter*innen zusammengetragen, die selbst von dieser Politik betroffen sind und sich landesweit kritisch mit ihr befassen.
Drei detaillierte Dialoge erforschen die intersektionale Solidarität zwischen allen Bereichen, die von Prevent betroffen sind – angefangen von der bildenden Kunst und Museologie über Bildung, Technologie bis zum öffentlichen Gesundheitswesen und der Umweltbewegung – und nehmen gleichzeitig Bezug auf die unabhängige Überprüfungskommission (2019–2021). Somit handelt die Publikation sowohl von dem, was in der Zukunft möglich sein könnte, als auch von dem, was bereits geschehen ist: ein dringendes Bedürfnis für all jene Gruppen in ganz Großbritannien, die von Prevent betroffen sind.

Rachel Coldicutt diskutiert mit dem kritischen klinischen Psychologen und Dozenten für Psychologie an der Middlesex University, Dr. Tarek Younis, über die sozialen Auswirkungen neuer und aufkommender Technologien in Bezug auf den Überwachungskapitalismus und die Situation im Zusammenhang mit COVID‑19.
Shezana Hafiz und Azfar Shafi von der Advocacy‑Organisation CAGE diskutieren mit dem Extinction‑Rebellion‑Strategen William Skeaping über die Solidarität zwischen Basisbewegungen, die sich im Zusammenhang mit Klimagerechtigkeit gegen Prevent wehren.
Im Rahmen von Radical Citizenship (Radikaler Bürgerschaft) lädt dieser Sammelband Bürger*innen, Forscher*innen, Betroffene der Prevent‑Strategie der britischen Regierung sowie Akteur*innen aus dem Bereich Community Relations dazu ein, im Kontext zeitgenössischer Kunstpraxis und alternativer Pädagogik neue Dialoge über die Rolle von Prevent im Großbritannien von heute zu führen. Es setzt sich kritisch mit aktuellen Regierungsstrategien zum Schutz der Zivilgesellschaft auseinander und hinterfragt die zukünftige Entwicklung solcher Strategien in Bezug auf Big Data und algorithmische Analysen. Diese Überlegungen werden im Rahmen der zeitgenössischen Kunstpraxis und des Ausstellungsmachens erforscht – einige der wenigen verbleibenden Freiräume, die noch nicht überwacht werden und daher in der Lage sind, solche Diskussionen zu führen und somit neue, greifbare Lösungen und radikale Ideen vorzuschlagen.
Hinweise zur Förderung
Zusätzlich zur Förderung durch das Projekt Echos des Südatlantiks des Goethe‑Instituts wurde die Teilnahme von Recetas Urbanas bei The Showroom im Rahmen des Programms zur Internationalisierung der spanischen Kultur (PICE) von der Acción Cultural Española (AC/E) unterstützt. Das Projekt wird zudem durch den Chelsea Arts Club Trust unterstützt und vom Arts Council England mit öffentlichen Mitteln der National Lottery kofinanziert.
Navine G. Khan-Dossos’ There Is No Alternative (Es gibt keine Alternative) wurde durch den Navine G. Khan‑Dossos Supporters Circle unterstützt sowie durch das Arts Council England mit öffentlichen Mitteln der National Lottery kofinanziert.