Ana Hupe
Footnotes To Triangular Cartographies

„Obwohl ich dort eigentlich als Brasilianerin die ‚Einheimische‘ war, war es Adedoyin, die mir in Salvador alle Türen öffnete.“ – Ana Hupe
„Footnotes to triangular Cartographies (Fußnoten zu Dreieckskartografien) ist ein Forschungsprojekt, das sich zunächst zu einer Ausstellung entwickelt hat und 2021 auch als Buch erscheinen wird. Es begann im Jahr 2018, als ich die Yoruba‑Priesterin und Prinzessin Adedoyin Olosun aus dem heiligen Wald von Osogbo in Nigeria kennenlernte.” – Ana Hupe
„Eigentlich war geplant, im März in Rio de Janeiro im Anschluss an diesen Prozess eine erste Ausstellung zu machen, aber eine Woche vor der Reise brach dann der Himmel zusammen, und im September sollte ich dann einen Teil des Projekts in Lagos in Nigeria zeigen, und der Himmel brach wieder zusammen ...“ – E‑Mail‑Kommunikation mit Ana Hupe
Diese Footnotes to Triangular Cartographies (Fußnoten zu Dreieckskartografien) sind von Notizen abgeleitet, die Ana Hupe auf Reisen nach Salvador (Brasilien), Havanna (Kuba) und den heiligen Städten im Yorubaland (Nigeria) gemacht hat. Sie sind daher das Produkt von Beobachtungen und Überlegungen zu möglichen Schnittpunkten zwischen diesen drei Orten und bilden die erste Dimension jenes Prozesses der „Triangulation“, mit dem die Künstlerin die von ihr als solche bezeichneten „Kartografien“ entwickelt. – Maykson Cardoso
„Dort entspringt der Fluss Osun. Gemeinsam mit Olosun wurde ich Zeugin historischer Begegnungen zwischen der Candomblé‑Kultur von Bahia und dem Yorubaland. Der Film verbindet Salvador und die dem Volk der Yoruba heiligen Regionen in Nigeria, wo ich Adedoyin Olosun besuchte. Es handelt sich dabei um eine Videoinstallation, ergänzt durch einen Filmessay, der in Havanna, Kuba, dem dritten Punkt des Dreiecks, gedreht wurde. Hier sehen Sie einen Trailer mit Ausschnitten von Szenen aus dem ersten Teil der Installation.” – Ana Hupe.
Kuba – Nigeria – Begegnung
Biografía de una Isla

Gewiss, der Kontrast zwischen dem Winter auf der Nordhalbkugel und der Hitze auf der Insel machte mich empfindsamer, aber jener Januar markierte auch den Machtantritt einer rückwärtsgewandten Regierung in Brasilien, die zuvor gewählt worden war. Die sozialistischen Parolen in den Straßen von Havanna gaben mir etwas Trost und hatten etwas Poetisches: „Brillamos con luz propia“ (Wir leuchten mit unserem eigenen Licht), „Trincheras de ideas valen más que trincheras de piedra“ (Schützengräben aus Ideen sind wertvoller als Schützengräben aus Stein).
Auf der Suche nach weiteren derartigen Sprüchen betrat ich viele Buchhandlungen und Antiquariate. In der Nähe des Viertels, in dem ich wohnte, dessen Name übrigens poetischer kaum sein könnte, nämlich Miramar (in etwa „Meerblick“), fand ich auf der Veranda eines Hauses einen Secondhand‑Buchladen. Er enthielt ausschließlich Bücher mit vergilbten Seiten.
Hier entdeckte ich eine Publikation von Emil Ludwig aus dem Jahr 1948, mit dem Titel Biografía de una isla (Biografie einer Insel). Ich kannte weder den Autor noch das Buch, aber ich nahm es mit und begann, das Vorwort zu lesen: Es handelte sich hierbei um die Geschichte eines kubanischen Ureinwohners, der nach einer Zeitspanne von 500 Jahren in der Vitrine eines Museums im Zentrum von Havanna erwacht und die ihm auffallenden Veränderungen kommentiert, während er durch die Straßen streift.

Dieses Buch‑Objekt trägt eine von vielen Mythologien der Insel Kuba in sich und verbindet dabei den Sozialismus, Ureinwohner*innen und die Kritik des Kolonialismus miteinander.
Diário de Bordo

Auf der einen Seite ist eine Notiz der Künstlerin Susanne Wenger zu lesen, entdeckt an der Wand des Hauses, in dem sie in Osogbo, Nigeria, lebte. Heute wohnt ihre Tochter Adedoyin Olosun in demselben Haus, in dem auch ich einige Nächte verbrachte. Dabei wurde ich mit diesem Gedicht auf Deutsch an einer abblätternden Wand konfrontiert. Bei jenen Worten handelte es sich um eine Begegnung mit einer meiner anderen Welten – Deutschland – in Osogbo. Das Gedicht lautete wie folgt: „Und nun sind letztendlich die Vögel doch eingeladen, i.e. Jenseits der Zeit, als ob es da noch Vöglein gäbe.“

Auf der zweiten Tagebuchseite zeige ich ein Bild von anderen Schriften aus dem Jenseits – Nachrichten, die ich auf den Straßen von Osogbo zu lesen gelernt habe.
Die Acaras werden oft auf alten Schulbuchseiten anstelle von Servietten serviert. Auf diesem Blatt lesen wir: „Wie dreht sich die Erde um die Sonne?“.

Igbaradí

Ein Mann saß an der Tür und ich fragte ihn, ob er ein Buch hätte, mit dem man Yoruba lernen könnte. Er verneinte dies, vergewisserte sich aber, indem er in seinen Akten wühlte, während wir uns andere Dinge ansahen.
Ich entdeckte ein Poster aus den Achtzigerjahren mit Slogans aus allen Bundesstaaten Nigerias. Ich war fasziniert von einem Spruch, der den Staat Osun beschrieb: „State of the living spring“ (Staat des lebendigen Frühlings), eine fortwährende Revolution.
Der Besitzer des Ladens fand schließlich ein Yoruba‑Lehrbuch für Kinder aus dem Jahr 1980, das von der Universität von Ibadan herausgegeben worden war.
Er schenkte es mir. Es war ein schönes Buch, aber sehr kurios, weil es eine Sprache lehrte, ohne ein einziges Wort zu benutzen – stattdessen Zeichnungen und Vorstellungsübungen, die, wie ich finde, nur dann funktionieren, wenn sie auch aktiviert werden.
Dieses Buch‑Denkmal, eine echte Lese‑Herausforderung, erhebt die bereits vergilbten und von den Heftklammern gelösten Seiten – und zelebriert dabei das Geheimnisvolle zwischen den Zeilen.