Eine Veranstaltung der EUNIC (European Union National Institutes for Culture) bringt runden Tisch und Ausstellung ins Programm des Literaturfestivals am 26. und 27. Juli (Donnerstag und Freitag)
Zum ersten Mal nimmt das internationale Literaturfestival in Paraty (FLIP – Festa Literária Internacional de Paraty) die Casa Europa in sein Programm auf. Die Veranstaltung der EUNIC (Kulturinstitute der europäischen Länder) sucht den Dialog zwischen verschiedenen kulturellen Sektoren und zwischen den Gesellschaften Brasiliens und Europas. Das Museu de Arte Sacra, das innerhalb der Kirche Santa Rita gelegen ist, präsentiert am Donnerstag und Freitag, den 26. und 27. Juli, runde Tische mit europäischen und brasilianischen Schriftstellern und Spezialisten. Ergänzt wird die Veranstaltung im Europahaus durch die Ausstellung “Im Herzen des Mai 68” des Franzosen Philippe Gras, die im Gebäude neben der Kirche zu sehen ist. Die Eröffnung findet statt am Donnerstag, den 26., um 17 Uhr.
Unter den Gästen der Diskussionsrunde befindet sich der Deutsche Lutz Taufer, Verfasser der Autobiografie “Transpondo fronteiras – da luta armada na Alemanha ao trabalho comunitário nas favelas brasileiras”, die während des FLIP erscheint. Bestätigt ist außerdem die Teilnahme der deutschen Nina Reusch, die über die Geschichte der Populärkultur, Gender Studies und Soziologie forscht, und des in London lebenden Autors und Journalisten Michael Goldfarb, der aktuell Dokumentare für den BBC produziert. Die Diskussionen finden anlässlich der 50 Jahre der Aufstände von 1968 statt, als Studenten in Europa gegen die Starre der Nachkriegsgesellschaft und seine Regierungen revoltierten, während in Brasilien der Tropicalimus blühte, der vom AI-5 und der brutalsten Phase der Militärdiktatur unterdrückt wurde.
In allen Ländern prägten die Geschehnisse der damaligen Zeit die Gesellschaft für eine oder mehr Generationen. Während sie Reaktionen provozierten, hinterließen sie auch ein goldenes Erbe, das gewürdigt und verstanden werden sollte. Als Ausgangspunkt dieses Projekts werden die Schriftsteller und Kunstkenner darüber diskutieren, wie es möglich ist, Diskussionsplattformen und unabhängige Räume für den kulturellen Austausch zu ermöglichen, insbesondere für diskriminierte Bevölkerungsgruppen wie Frauen, ethnische Minderheiten, Migranten und Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihres Genders.
Das Event stellt die erste gemeinsame Veranstaltung der EUNIC-Einheiten aus Rio de Janeiro und São Paulo dar. Involviert sind das British Council, das Generalkonsulat Ungarns, das Goethe-Institut, Instituto Cervantes, das Dänische Kulturinstitut, das Institut Français in Brasilien und die Alliance française, das Istituto Italiano di Cultura und Pro Helvetia (eingetragenes Mitglied).
Programm
Tisch 1 – 26.07., 11 Uhr
Die Herausforderungen von 1968 für Brasilien und Europa
Die sozialen und politischen Bewegungen von 1968: Studenten und Arbeiter in Frankreich, der Kampf gegen die Diktatur in Brasilien, Erfolge und Misserfolge, die idealistische Generation. Wie Fiktion und Lyrik turbulente Zeiten abbilden können.
Niels Hav, dänischer Lyriker
Cristina Chacel, brasilianische Journalistin
Regina Zappa, brasilianische Journalistin und Schriftstellerin (Moderation)
Tisch 2 – 26.07., 15 Uhr
1968/2018 – Vielstimmige Bewegungen in Europa und Brasilien
Die urbane Kommunikation 1968 in Städten wie Paris, Prag, Rio und Washington. Welche Stimmen sich erhoben und welche zum Schweigen gebracht wurden. Der Einfluss der libertären und anti-autoritären Philosophie der Frankfurter Schule. Ideal und Utopie. Exil und Gedächtnis.
Masssimo Canevacci, italienischer Anthropologe
Regina Zappa, brasilianische Journalistin und Schriftstellerin (Moderation)
Tisch 3 – 27.07., 11 Uhr
Sexuelle und kulturelle Revolution 1968
Der Kampf um die Freiheit der Geschlechter, Feminismus, der Kampf gegen Vorurteile, der zivilisatorische Fortschritt und Rückschritte. Die Lehren von 1968, Hass und Vorurteil. Das Erbe einer Generation auf der Suche nach Freiheit. Die 1968 gesäten Samen.
Wagner Schwartz, brasilianischer Choreograf und Performer
Nina Reusch, deutsche Professorin und Forscherin
Regina Zappa, brasilianische Journalistin und Schriftstellerin (Moderation)
Tisch 4 – 27.07., 15 Uhr
Mai 1968: Auswirkungen in Europa und Brasilien
Was junge Menschen insbesondere in Frankreich und Deutschland dazu veranlasst hat, auf die Straßen zu gehen und Veränderungen einzufordern. Welche Veränderungen sie auf welche Art wollten. Was sich nach der 1968er-Generation geändert hat. Unterschiede zum brasilianischen Kontext. Errungenschaften und Niederlagen von 1968. Was wir von damals geerbt haben.
Michael Goldfarb, in London ansässiger Journalist
Lutz Taufer, deutscher Aktivist
Regina Zappa, brasilianische Journalistin und Schriftstellerin (Moderation)
INTERNATIONALE GÄSTE
Lutz Taufer wurde 1944 in Karlsruhe (Deutschland) geboren, ist ehemaliges Mitglied des Sozialistischen Patientenkollektivs (SPK) und der Bewegung gegen Folter von politischen Gefangenen in Deutschland. Er trat 1974 in die Rote Armee Fraktion ein und nahm im April 1975 als Mitglied des Kommandos von Holger Mein Nina Reusch an der Geiselnahme in der deutschen Botschaft Stockholm teil. 1977 wurde er zu zweimal lebenslanger Haft verurteilt und blieb 20 Jahre lang in Isolationshaft. Nach seiner Freilassung arbeitete er viele Jahre für eine brasilianische NGO in den Favelas von Rio de Janeiro. Zurzeit lebt er in Berlin und ist Beiratsmitglied des Weltfriedensdienstes, einer Nichtregierungsorganisation, die mit Partnern aus Afrika, Asien und Lateinamerika gegen Armut und Gewalt kämpft. Während des FLIP erscheint seine Autobiografie “Atravessando Fronteiras. Da guerrilha urbana na Alemanha ao trabalho comunitário em favelas no Rio”, publiziert im Verlag Autonomia Literária.
Nina Reusch studierte Geschichte, Gender Studies und Soziologie an der Universität Freiburg in Deutschland. Von 2010 bis 2014 arbeitete sie ebendort als wissenschaftliche Mitarbeiterin, wo sie 2014 ihre Dissertation über populäre Geschichte im Kaiserreich (1890-1913) abschloss. 2016 war sie verantwortlich für ein Geschichtsprojekt über die Geschichte der LSBTTIQ in Baden und Württemberg an der Universität Stuttgart. Seit 2017 ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität Berlin am Arbeitsbereich Didaktik der Geschichte tätig.
Michael Goldfarb ist Journalist, Autor und Podcaster. In der letzten 30 Jahren hat er über Konflikte, Konfliktlösung und Kulturen in 25 Ländern auf fünf Kontinenten berichtet. Er ist Verfasser von “Ahmad's War, Ahmad's Peace: Surviving Under Saddam, Dying in the New Iraq” und “Emancipation: How Liberating Europe's Jews From the Ghetto Led to Revolution and Renaissance”. Zurzeit produziert er Dokumentationen für das Radio von BBC und präsentiert den Podcast FRDH: First Rough Draft of History. 1968 stand er vor dem Eintritt in die Universität und wartete darauf, dass die Revolution auf ihn wartete.
Massimo Canevacci ist Anthropologe, Ethnograf und Schriftsteller. Für den Italiener beginnt 68 im Jahre 67, als er zum Vertreter der Gewerkschaft CGILAlitalia gewählt wird. 1968 war er Mitbegründer des CUB (Comitato Unitario di Base), des italienischen Gewerkschaftsverbands. Später lehrte er als Professor für kulturelle Anthropologie an der Soziologischen Fakultät von “La Sapienza“, der Universität Roms. Er veröffentlichte die Bücher “Dialettica della famiglia” und “Il potere aereo”. In Italien wird 68 ab der Bewegung 77 wieder aktuell und endet mit dem Mord an Aldo Moro. In den 90er Jahren veröffentlicht er “A Cidade Polifônia” über São Paulo und 2003 “Culture extreme” über Jugendbewegungen. Zurzeit ist er Gastprofessor am Instituto de Estudos Avançados (IEA-USP). Seine Arbeiten fokussieren neben dem Marxismus auch Visuelle Fetische; sie verbinden die kommunikative Metropole mit dem hybriden Dorf mittels digitaler Kultur und Selbstdarstellung.
Niels Hav wurde 1949 in Lemvig geboren, ein ländliches Gebiet im Westen Dänemarks. Sein erstes literarisches Werk, ein Erzählungsband, publizierte er 1981, und im Jahr darauf sein erstes lyrisches Werk. Hav hat sich bereits als zeitgenössische Stimme des Nordens etabliert. Er ist Verfasser von Erzählungen und Gedichten, die in unzähligen Zeitschriften und Anthologien in der ganzen Welt veröffentlicht wurden. Er wurde unter anderem ins Arabische, Spanische, Italienische, Türkische, Deutsche, Holländische, Chinesische, Serbische und Albanische übersetzt.
AUSSTELLUNG
PHILIPPE GRAS – IM HERZEN DES MAI 68
Die Casa Europa EUNIC -FLIP 2018 hat die Ehre, die Ausstellung des französischen Fotografen Philippe Gras zu empfangen. Durch seine 43 Fotografien ist es möglich, ins “Herz des Mai 68” einzutauchen. Quartier Latin, Barrikaden, slogans sind Begriffe, die den Besucher in die Atmosphäre und die geschichtsträchtigsten Orte der Zeit versetzen.
Dank der künstlerischen Ausdruckskraft von Philippe Gras heben sich seine Fotos von allen bekannten Dokumentationen ab und bieten uns einen Blick von außen, manchmal gefühlvoll, andere Male distanziert, auf die Geschehnisse der damaligen Zeit. Neben der Begegnung mit den Protagonisten vom Mai 68 drängt sich eine Frage auf: wie aktuell ist das historische Geschehen 50 Jahre später.
Abgerundet wird die Ausstellung durch die Vorführung des Dokumentarfilms “Mai 68, ein seltsamer Frühling” des Historikers und Filmemachers Dominique Beaux (90 min).
VERANSTALTUNGSINFORMATIONEN
Casa Europa
> Runder Tisch – 26.07. und 27.07., um 11 und um 15 Uhr
> Ausstellung – Eröffnung am 26.07., um 17 Uhr
> Besuch – 27 bis 29. Juli, von 10 bis 22 Uhr
Ort: Museu de Arte Sacra (Igreja de Santa Rita) und angrenzendes Gebäude
Adresse: Largo de Santa Rita (Museum) | Rua de Santa Rita, 176 (angrenzendes Gebäude)
Eintritt frei
Zurück