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Förderung Schwarzer Kultur
Ein Kunstzentrum aus der Vergangenheit bietet Lektionen für die Gegenwart

In den 70er Jahren kamen Legenden wie Isaac Hayes, Bob Marley und BB King ins Harriet Tubman Centre in St. Clair / Oakwood – ein pulsierendes Zentrum für Schwarze Kultur in Toronto. Der Gründer, Ken Jeffers, erinnert an seine Bedeutung und sieht in seinem Niedergang ein wiederkehrendes Motiv 

Von Luke Ottenhof

Dort haben sich enorme Geschichten abgespielt

Auch wenn Google sich nicht an das Harriet Tubman Centre erinnert, hat Ken Jeffers es noch bestens im Gedächtnis.

Eine Recherche nach dem ehemaligen Zentrum für Schwarze Kultur erzielt wenige Treffer. Doch Jeffers, der das Zentrum 1972 in einem Gebäude in der Nähe von St. Clair / Oakwood gründete, hat lebendige Erinnerungen an das Haus und die Veranstaltungen, die dort stattfanden.

Tb1 © Joan Latchford Besonders gerne erinnert er sich etwa an den Tag zurück, als der legendäre Soul-Musiker Isaac Hayes, Aushängeschild von Stax Records, zu Besuch war. Jeffers war zu einem Mittagessen mit Hayes eingeladen und lud ihn spontan zu einem Besuch ins Zentrum ein. Hayes nahm an und Jeffers informierte flugs einige Mitglieder der Gemeinschaft. Als Jeffers eine Viertelstunde später im Zentrum eintraf, kamen die Menschen bereits in Scharen. Eine Steel-Drum-Band trat vor Hayes auf, der Jeffers ohne großes Aufhebens einen Stapel 100-Dollar-Scheine in die Hand drückte. „Er sagte: ‚Tu für diese Kinder, was Du tun musst‘“, erinnert sich Jeffers. 

Das ist nur eine von Hunderten von Erinnerungen. „Dort haben sich enorme Geschichten abgespielt”, sagt Jeffers. „Die kann ich bei weitem nicht alle erzählen“. 

Von 1972 bis 1976 schlug das Zentrum als kulturelles Herz der Schwarzen Diasporagemeinschaften der Stadt. Jeffers, der ursprünglich aus Trinidad kam und mit einem Studentenvisum beim YMCA arbeitete, war aufgefallen, dass die Organisation in der Robina Avenue ein größtenteils leerstehendes Gebäude unterhielt, das an eine Segelmacherei verpachtet war. „Ich sagte: Nein, Schwarze Leute brauchen einen Ort, an dem sie zusammenkommen können“, erinnert er sich. Er beantragte und erhielt die nötigen Fördermittel aus dem „Opportunities For Youth“-Programm von Pierre Trudeau, um damit das Tubman Centre zu gründen und einen Teil der laufenden Kosten zu decken. 

So entstand ein gemeinschaftsförderndes Kulturhaus, in dem unzählige Künstler auftraten – von Hayes über Bob Marley bis hin zu BB King. Darüber hinaus, erklärt Jeffers, fanden dort Nachhilfeunterricht, Tanz- und Steel-Drum-Kurse und Sportveranstaltungen statt. Die inzwischen verstorbene Torontoer Fotografin Joan Latchford, an die sich Jeffers liebevoll als „entzückend“ erinnert, hat einige der Veranstaltungen im Bild festgehalten. Einige ihrer Aufnahmen sind gegenwärtig in einer virtuellen Ausstellung der Cardinal Gallery in der Davenport Road zu sehen.


TB2 © Joan Latchford Irgendwann schied Jeffers aus. Er erklärt, dass er ein vom YMCA unabhängiges Leitungsgremium eingerichtet hatte, da es sein Wunsch war, dass das Zentrum eigenständig von Mitgliedern der Schwarzen Community geleitet wird. Der YMCA wandte sich aber dagegen und stellte Jeffers als Radikalen dar. Aufgrund seiner Zeit bei der Bürgerrechtsbewegung in South Carolina, in der er 1968 Zeuge des Massakers von Orangeburg wurde, hatte er jedoch einen klaren Standpunkt; er war nicht zu Kompromissen bereit und ging. 

Kurz danach schloss das Tubman Centre und seine einstige Bedeutung als Einrichtung, in der eine Diasporakultur gelebt und gepflegt wurde, ist mit der Zeit aus dem Gedächtnis der Stadt erloschen. Dass es das Zentrum gab, ist nur dem Archiv der York University und vereinzelten Zeitungsausschnitten zu entnehmen. Doch die Arbeit wurde von der Harriet Tubman Community Organization mit Sitz in Don Mills / Sheppard im gleichen Geiste fortgeführt. 

kalkülgeleiteten Indifferenz


TB3 © Joan Latchford Dennoch – das Kulturhaus wurde letztlich zum Opfer der Bürokratie und der Vernachlässigung. Und fast 50 Jahre später sieht sich das Schwarze Leben in Toronto immer noch den gleichen Bedrohungen ausgesetzt. Die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise haben die Auswirkungen der Gentrifizierung und der Entwicklung in Little Jamaica, etwas nördlich vom Standort des ehemaligen Harriet Tubman Centre, noch verschärft. Da weder von der Kommune noch Provinz ausreichende Unterstützung kommt, haben die Mitglieder der Gemeinschaft eigenständig ein Crowdfunding für insolvenzbedrohte Unternehmen initiiert. Es ist durch Daten belegt, dass Menschen, die von Rassismus betroffen sind und ein geringes Einkommen haben, überdurchschnittlich oft an COVID-19 erkranken. Auch zeigen aktuelle Studien, dass es im Rahmen der Pandemie häufiger zu Entlassungen und seltener zu Neueinstellungen von Schwarzen Arbeitnehmer*innen kommt. Ohne angemessene finanzielle Unterstützung steht Little Jamaica – ebenso wie die Schwarzen Communities der gesamten Stadt – vor der gleichen kalkülgeleiteten Indifferenz, die zum Niedergang des Tubman Centre führte.

Jeffers überrascht das nicht mehr. „Da wiederholen sich die Machenschaften im Umgang mit der Angreifbarkeit von Menschen afrikanischer Herkunft”, seufzt er.

Wenig überrascht zeigt sich auch Jessica Kirk, frische Absolventin der Universität von Toronto, die die Realitäten und Lebensumstände von Schwarzen Menschen in Toronto erforscht.

„Kanada hat in seiner gesamten Kolonialgeschichte immer Mittel und Wege gefunden, die Gegenwart von Schwarzen auszublenden und Schwarze Menschen an die Ränder der Gesellschaft zu drängen,“ erklärt Kirk. „Der Niedergang des Harriet Tubman Centre überrascht mich nicht, da Kanada unsere Geschichte aktiv verdrängt.“

Dieser Vernachlässigung steht gegenüber, dass Toronto die Schwarze Kultur gezielt einsetzt, um sein internationales Profil aufzuwerten. Die Toronto Raptors und Drake sind weiterhin die lukrativsten Kulturexporte der Stadt. Die Caribana, ein Festival von und für Diasporagemeinschaften aus der Karibik, ist eine der populärsten Veranstaltungen der Stadt. All dies ist nur schwer mit der Zurückhaltung der Stadt bei Fragen der Gentrifizierung und der Verdrängung Schwarzer Bevölkerungsgruppen in Toronto zu vereinbaren. Nach seinem Auftritt in der Superbowl-Halbzeit wurde The Weeknd von der Lokalpolitik euphorisch gefeiert, gleichwohl hatten nur wenige Tage zuvor die Verkehrsbetriebe von Toronto die Schließung der Schnellzugverbindung nach Scarborough beschlossen, einem der Stadtbezirke mit dem höchsten Anteil an Menschen, die von Alltagsrassismus betroffen sind. Laut den Ward-Profilen der Stadt Toronto aus dem Jahr 2018, die auf den Zensusdaten 2016 basieren, gehören in Scarborough 73,4 % der Bevölkerung zu den sogenannten sichtbaren Minderheiten, 10,8 % sind Schwarze. Demgegenüber liegt der Anteil der sichtbaren Minderheiten in der Stadt Toronto bei 51,5 % und der Anteil der Schwarzen bei 8,9 %.

TB4 © Joan Latchford Kirk erklärt, dass eine solche Dynamik nicht ungewöhnlich ist. Sie folgt einem Schema, „wie ein Uhrwerk.“ „Menschen, die Schwarzen Diasporagemeinschaften angehören, sind mit der Erfahrung der Heimatlosigkeit, der Vertreibung und der Ausblendung aus der Geschichte nur allzu vertraut“, sagt sie.

„Auch wenn ‚Blackness‘ in vieler Hinsicht als kulturelles Aushängeschild der Stadt verwendet wird, werden die Lebensgrundlagen Schwarzer Menschen nach wie vor vernachlässigt”, erklärt Kirk. „Der Schutz kommunaler Kulturzentren unter der Führung Schwarzer Menschen ist einer von vielen Ansatzpunkten, um hier etwas zu ändern: indem Schwarze Kulturschaffende sich in leitenden Positionen dafür einsetzen, dass Orte der Vorstellungskraft, der Möglichkeit und der Unterhaltung geschützt werden.”

Der Bedarf an Finanzierung

Alica Hall, Geschäftsführerin von Nia, einem Kulturzentrum mit dem Schwerpunkt Schwarzer Diasporagemeinschaften, merkt an, dass die Gentrifizierung in von Rassismus betroffenen Vierteln wie Little Jamaica und Chinatown „die kulturelle Struktur unserer Stadt in ihrem Kern angreift“. Die ohnehin schon schwierigen Umstände haben sich durch die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Folgen der Coronakrise noch verschärft.

„Dadurch wird die vorher schon herausfordernde Situation noch weiter erschwert,“ erklärt Hall. Zentren für Schwarze Kunst und Kultur wie das Nia verfügen nach Aussage Halls oft nicht über die nötigen finanziellen Mittel, sind spärlich mit Personal besetzt und auf den Einsatz von Ehrenamtlichen angewiesen. Eine Studie, bei der 2020 in den USA  25 kommunale Stiftungen untersucht wurden, bestätigt das: Nur 1 % der Fördermittel gingen an Schwarze Gemeinschaften. „Schwarze Führungspersönlichkeiten mussten in der Geschichte immer wieder um Gelder kämpfen, um Raum kämpfen, und dennoch gelingt es nicht, von der Stadt die gleiche Förderung und Unterstützung zu erhalten.“

Kirk stellt fest, dass dem Niedergang von Kunst- und Kulturzentren wie dem Tubman Centre das gleiche Schema zugrunde liegt wie der Verdrängung derjenigen, die davon profitieren würden. Solche Zentren brauchen finanzielle Förderung, doch ebenso müssen die betreffenden Bevölkerungsgruppen geschützt werden, damit sie sie auch nutzen können.

„Mietnachlässe sind ein Muss, und die Stadt muss während der Pandemie für einen klaren Kündigungsschutz sorgen,“ erklärt Kirk. „Toronto muss in bezahlbaren Wohnraum investieren und darf Armut vor allem nicht mehr kriminalisieren.“

Auf das Schicksal des Harriet Tubman Centre rückblickend würde Jeffers sich wünschen, es wäre anders ausgegangen. „Manchmal bricht es mir das Herz, was geschehen ist“, sagt er. 

Die Erfahrung der Sackgasse, in die Jeffers mit dem Tubman Centre geraten ist, ist lehrreich, denn einerseits verdeutlicht sie die jahrzehntealte institutionelle Opposition der Stadt gegenüber der Unabhängigkeit Schwarzer Menschen, andererseits ist sie ein Beispiel für ihre Beharrlichkeit, für Schwarze Kultur Raum zu schaffen. Diese Beharrlichkeit findet ihre Fortsetzung heute im Nia. „Das Zentrum gibt es zwar nicht mehr, doch sein Geist ist nicht erloschen: Er ist bis heute lebendig.”


 

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