Asiatisch-Kanadisches Kunstkollektiv
Tea Base

Tea Base
© Morris Lum

Von Stickerei über Malerei und Fotografie bis hin zum Gartenbau: Die Arbeiten des asiatisch-kanadischen Kunstkollektivs Tea Base beschäftigen sich mit dessen Erfahrungsspektrum – von antiasiatischem Rassismus bis hin zu dem, was Illustratorin Christie Jia Wen Carrière als „die Freude der Gemeinschaft in Chinatown“ bezeichnet

Von Samantha Edwards

Chinatown war eines der ersten Viertel Torontos, das die Auswirkungen der Coronapandemie zu spüren bekam.

Bereits im Januar 2020, Monate vor der angeordneten Schließung der Gastronomie, machten die asiatischen Restaurants entlang der Spadina Avenue und der Dundas Street West Erfahrungen mit rapide abnehmenden Gästezahlen und einem Anstieg der Anfeindungen.

Im gleichen Monat äußerten asiatisch-kanadische Einrichtungen wie der Chinese Canadian National Council for Social Justice (CCNC-SJ) ihre Sorge vor einer Zuspitzung des antiasiatischen Rassismus und erinnerten an die Welle der Anfeindungen während des SARS-Ausbruches 2003.

Leider war die Sorge nicht unbegründet. Hassverbrechen gegen asiatischstämmige Kanadier nahmen während der Pandemie drastisch zu. Nach einem aktuellen Bericht der CCNC wurden im vergangenen Jahr kanadaweit 1150 Fälle rassistisch motivierter antiasiatischer Gewalt verzeichnet. In einigen kanadischen Städten entspricht dies einer Zunahme von 600 bis 700 Prozent. In 60 Prozent aller gemeldeten Fälle waren die Opfer Frauen und in 10 Prozent aller Fälle wurden die Opfer angehustet oder angespuckt. In der Altersgruppe ab 55 Jahren lag die Wahrscheinlichkeit eines körperlichen Angriffs um 57 Prozent höher als bei jüngeren Erwachsenen. Neben den Ängsten und Sorgen im Zusammenhang mit der Pandemie sind viele asiatische Gemeinschaften in Kanada erhöhten Risiken der Gewalt ausgesetzt.

Erst nach dem entsetzlichen Attentat von Atlanta, bei dem ein Weißer acht Menschen erschoss, sechs von ihnen Frauen asiatischer Herkunft, erreichte die gefährliche Realität des anti-asiatischen Rassismus den allgemeinen Diskurs und entfachte Diskussionen über Fremdenhass, Frauenfeindlichkeit und die lange Geschichte des Rassismus gegen Menschen asiatischer Herkunft in Nordamerika. 

Auch wenn dieses Thema erst jetzt mehr Beachtung findet, setzen sich asiatisch-kanadische Künstler*innen schon seit langem damit auseinander. Florence Yee, Christie Jia Wen Carrière und Morris Lum haben alle eine Verbindung mit der Chinatown in Toronto und beschäftigen sich in ihrer künstlerischen Arbeit mit dem Begriff des ewigen Fremden, der Fetischisierung asiatischer Frauen, Klasse und Immigration sowie der Unantastbarkeit des Raums.

Die Interviews fanden vor dem Anschlag von Atlanta statt, doch unsere Gespräche weisen Parallelen mit vielen später geführten Gesprächen auf.
 

 

„Mit dem Abstand, den ich als jemand der dritten Generation habe, lasse ich [in meiner Kunst] gerne Raum für Zweifel“—Florence YeE


Im Innenhof der Chinatown Centre Mall, einer Einkaufs-Mall zwischen Cameron Street und Spadina Avenue, entstand angrenzend an einen geschwungenen Treppenaufgang der Anti-Displacement Garden, wo Zucchini, Mais, Broccoli, Zitronengras, Pak Choi, Minze und andere Kräuter wachsen. Tea Base, eine in der Mall angesiedelte kommunale Kunstinitiative, schuf hier im Sommer 2019 aus einem Haufen Steine einen generationsübergreifenden Nachbarschaftstreff.

Der Garten bildet das Motiv von „PROOF – Chinatown Anti-Displacement Garden“ (2020), dem jüngsten Werk der bildenden Künstlerin Florence Yee, Ko-Direktorin von Tea Base. Yee fotografierte den üppigen Garten im vergangenen Sommer und ließ das Bild auf weißes Baumwollgewebe drucken. Mit dem handgestickten Wort „PROOF“ (dt. „Beweis“, aber auch „Korrekturabzug“), das wie ein Wasserzeichen quer über das Bild läuft, spielt das Werk gleichzeitig auf den Gedanken an, dass man etwas Unvollendetes weder in Anspruch noch in Besitz nehmen kann, und auf den Beweis dafür, dass es innerhalb von Chinatown nichtbinäre Räume (Queer Spaces) gibt.

Yee stammt gebürtig aus Montreal und lebt heute in der Chinatown Torontos. Durch Text, Sprache und aufwändige Arbeitstechniken verarbeitet sie Gefühle des Selbstzweifels, der Authentizität und der Ausgrenzung. So ist etwa das Werk „Selected Hauntings“ als Zusammenschau von Erzählminiaturen – „She was worried about appropriating her own culture“ und „He yelled ‘go back to Chinatown,’ I finally belonged in Montreal“ – auf einen durchschimmernden seidigen Stoff aufgestickt. Sie alle greifen innere Ängste von Künstler*innen auf, die in der Diaspora Rassismus erleben.

„Ich glaube, dass solche Gedanken häufig vorkommen, aber nicht ausgesprochen werden, weil man mit einem gewissen kulturellen Selbstbewusstsein auftreten muss, wenn man als glaubwürdig gelten möchte“, sagt Yee. „Mit dem Abstand, den ich als jemand der dritten Generation habe, und da die Wissensquellen in meinem Umfeld versiegen, lasse ich gerne viel Raum für solche Zweifel und Unsicherheiten.”

Während der Pandemie hat sich Yee Gedanken darüber gemacht, wie man Kunst auf so sichere Art und Weise präsentieren kann, dass darüber eine Verbindung mit dem öffentlichen Umfeld und mit anderen Künstlern hergestellt werden kann. So erstellte das Kollektiv unter dem Titel „Seeking“ („Gesucht“) eine Reihe von Plakaten, die unerreichbare Wünsche zum Ausdruck brachten und überall in Chinatown aufgehängt wurden. Außerdem schickte es seinen Freund*innen und Familienangehörigen ein gemeinsam mit der Künstlerkollegin Arezu Salamzadeh entwickeltes Bastelset zum Töpfern von Mandarinen. Und wenn das Wetter endlich wieder warm wird, wird Yee wieder im Anti-Displacement Garden sein, Unkraut und Unrat beseitigen, die Erde umgraben und die neue Saat für die kommende Saison anpflanzen.

„Das Beispiel des Gartens zeigt: Dadurch, dass wir uns um diese Fläche kümmern, entsteht eine Verbindung zwischen uns, den Geschäften ringsherum und den Passanten“, bemerkt Yee. „Für mich gibt es da Parallelen zu den alten Damen, die auf der Spadina Avenue ihr Gemüse verkaufen. Leider sind sie zurzeit nicht mehr da, aber hoffentlich kommen sie zurück.”

Acht Jahre lang fotografierte er Chinatowns von San Francisco bis Halifax. „Ich möchte Abstammung und Herkunft besser begreifen” — Morris Lum

In den vergangenen acht Jahren reiste der Torontoer Fotograf Morris Lum durch ganz Nordamerika, um typische architektonische und kommunale Merkmale der Chinatowns zu dokumentieren, wie „Mom-and-Pop-Stores“ (Tante-Emma-Läden), beliebte Restaurants und vitale Kulturzentren, die dem Auge des Passanten verborgen bleiben. Inzwischen hat er die Chinatowns von Toronto, Victoria, Vancouver, Calgary, Edmonton, Winnipeg, Ottawa, Montreal, Halifax, San Francisco, Los Angeles, New York und Boston fotografiert.

Lum verfolgt mit dem Projekt das Ziel, ein Chinatown-Bildarchiv zu schaffen und die Entwicklungen im Kontext der Gentrifizierung, des wirtschaftlichen Wandels und des Wohnverhaltens der neuen chinesischen Einwanderergenerationen zu dokumentieren. „Ursprünglich waren die Chinatowns ein Zufluchtsort für neu Zugewanderte, da nur dort Menschen lebten, die die gleiche Sprache sprachen. Das war eine wichtige Voraussetzung, um Dienstleistungen [in Anspruch nehmen zu können], eine Arbeitsstelle zu finden, Englisch zu lernen und überleben zu können. Die frühere Generation gehörte eher der Arbeiterklasse an, und dort musste man zusammenhalten“, so Lum. „In jüngerer Zeit können Zuwanderer es sich leisten, in bessere Gegenden [im Großraum Toronto] zu ziehen, sie sprechen besser Englisch und haben eine höhere gesellschaftliche Stellung – daher bringen sie bessere Voraussetzungen mit, um sich anzupassen“.
 
Shopfront © © Morris Lum Shopfront © Morris Lum

Neben einem Fotoarchiv der Chinatowns möchte Lum auch eine Dokumentation der Architektur erstellen, an der man die Niederlassungsmuster der chinesischen Diaspora in den Randgebieten der Stadt ablesen kann. Hinter dem Projekt steht sein Wunsch, die Geschichte seiner Familie näher zu ergründen. „Ich stamme aus China, bin aber in Trinidad geboren und in Mississauga aufgewachsen“, erklärt Lum. „Ich möchte mehr über Abstammung und Herkunft erfahren. Wie kam es, dass die Chinesen nach Trinidad zogen? Darauf habe ich noch keine Antwort gefunden.”

Vorerst liegt der Schwerpunkt seiner fotografischen Arbeit aber auf den von den ersten chinesischen Einwanderer*innen in Nordamerika erbauten Chinatowns – teils, um Restaurants und Läden zu dokumentieren, bevor sie von der Bildfläche verschwinden, und teils, um ein Archiv aufzubauen, von dem künftige Generationen profitieren können. „Ich bin in der Vorstadt aufgewachsen und wusste über die Geschichte der Chinatowns rein gar nichts”, erklärt er. „Aber dieses Projekt hat mir bewusst gemacht, dass ich diese Geschichte kennenlernen musste, verstehen muss, warum es Chinatowns gibt und warum sie es meiner Generation einfacher gemacht haben, nach Kanada zu ziehen.”


Ihre Bilder von Ladenbesitzer*innen in der Chinatown Centre Mall „entstanden aus dem Wunsch heraus, Rassenschmerz zu bekämpfen, ohne Rassenpräsenz zu ignorieren”
— Christie Jia Wen Carrière 


In den letzten Jahren beschäftigte sich die Malerin und Illustratorin Christie Jia Wen Carrière, auch Chris genannt, mit ihrer chinesisch-kanadischer Identität und der langen Geschichte der Sexualisierung asiatischer Frauen. Sie malte Portraits von sich selbst in traditioneller chinesischer Kleidung und bearbeitete in Mischtechnik das Thema der kulturellen Aneignung und des weißen, männlichen Blickwinkels. Mit der Zeichnung einer Frau, die sich in einem roten Cheongsam in eine Imbissschale für Nudeln schmiegt, reagierte sie auf eine rassistische Handtasche von Kylie and Kendall Jenner in Form einer Takeaway-Tüte eines Chinarestaurants.

In ihren neueren Arbeiten findet Carrière aber auch zu freudvollen Darstellungen des Lebens in der chinesischen Gemeinschaft und in Chinatown.

Im vergangenen Jahr ging Carrière durch die Chinatown Centre Mall und fotografierte Inhaber*innen verschiedener kleiner Läden in den Winkeln und Ecken der Mall. Mit der Hilfe anderer Tea-Base-Mitglieder, die für sie übersetzten, sprach Carrière, eine der kreativen Leiter*innen der Kunstinitiative, die Ladenbesitzer*innen an, die ihr Geschichten über die Mall erzählten und voller Stolz ausgefallene Stücke vorzeigten. „Die Besitzerin des Jadegeschäfts zeigte uns uralte Antiquitäten, beispielsweise einen kleinen Topf mit einer pornografischen Zeichnung aus der Ming-Dynastie”, so Carrière. „Alle sagen immer, die Mall sei tot. Aber es gibt dort äußerst interessante Fundstücke.”

Bei dem „Chinatown Mall Project“ handelt es sich um eine Reihe von Werken, die in leuchtenden Farben Ladenbesitzer*innen zeigen, wie etwa eine grauhaarige Frau hinter einem Schaukasten voller hübscher Jaderinge, einen lächelnden Süßwarenladenbesitzer hinter Reihen von Pocky- und Hello-Kitty-Produkten und die Inhaberin eines Heilmittelladens umgeben von Apothekengläsern mit traditionellen chinesischen Kräutern.

Inspiration zu dem Projekt gab ihr der von der südasiatischen Künstlerin Vivek Shraya geprägte Begriff des „Traumaclowns“, der auf die Erwartung Bezug nimmt, dass marginalisierte Künstler*innen in ihren Werken ihre Traumata verarbeiten, um besser vermarktet werden zu können. Davon ausgehend wollte Carrière den Blick auf die Freude richten, die sie in ihrer Gemeinschaft erlebt. „Das Projekt entstand aus dem Wunsch, Rassenschmerz zu bekämpfen, ohne Rassenpräsenz zu ignorieren“, erklärt Carrière. „Ich möchte die Freude der Gemeinschaft in Chinatown darstellen.”
  • Portrait 1 © Christine Jia Wen Carrière

  • Portrait 2 © Christine Jia Wen Carrière



 

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