Dagegen dabei – die Geschichte deutscher Projekträume

Ausstellungsplakat von Dieter Hacker zur Eröffnung der 7. Produzentengalerie in Berlin 1971 | © Nils Bremer, flickr, CC BY-NC 2.0

Das Wort „alternativlos“ wurde 2011 in Deutschland zum Unwort des Jahres gekürt. Was in der Politik gelten sollte, gilt erst recht für die Kunst: Alternativen gibt es jede Menge, selbst wenn am Ende alle dasselbe Feld beackern. Ein Flug über die Geschichte der deutschen Projekträume von Britta Peters.

Dagegen dabei – treffender als im Titel einer 1998 in Hamburg erschienenen Textsammlung zu Strategien der Selbstorganisation lässt sich das Verhältnis der alternativen Kunsträume zu den weniger alternativen Institutionen der Kunst kaum beschreiben. Längst sind die im weiteren Sinne kunstmarktaffinen und institutionskritischen Sphären eng miteinander verstrickt. Unterscheidungsversuche zwischen „dagegen“ und „dabei“, zwischen „innen“ und „außen“, zwischen „on“ und „off“ bleiben in einem Nebel aus Unschärfe stecken.

Anschaulich belegt dies die in den 1970er-Jahren erfolgte Neueinführung von Kriterien wie „Ausstellungsteilnahmen“ oder „Besprechungen in der Fachpresse“ in die Künstler-Rankinglisten der Wirtschaftsmagazine. Entscheidend ist nicht mehr die Summe der tatsächlichen Werkverkäufe, sondern zunächst die Präsenz innerhalb der Kunstszene, gewissermaßen das symbolische Kapital innerhalb des Betriebssystems Kunst.

Die Kunstwelt als dynamisches Netzwerk

Mit einer strukturellen Trennung zwischen „institutionellen“ und „außerinstitutionellen“ Räumen kommt man leider auch nicht viel weiter: Bis heute liefert das deutsche Vereinsgesetz, nach dem für eine Gründung gerade einmal sieben Mitglieder notwendig sind, den rechtlichen Rahmen für die meisten aus Eigeninitiative entstehenden Ausstellungs- und Veranstaltungsaktivitäten. Und eh man sichs versieht, ist aus dem kleinen, ehrenamtlichen Verein ein städtisch gefördertes Haus geworden. Spricht man stattdessen von „Artist-Run-Spaces“, lassen sich sofort Beispiele anführen, in denen nicht die Kunstschaffenden selbst den Ort betreiben, sondern Galeristen oder Kuratoren.

All das beinhaltet mehr als nur begriffliche Abgrenzungsschwierigkeiten. Deutlich angezeigt wird hier die Kunstwelt als ein dynamisches Netzwerk aus persönlichen, kulturellen und politischen Interessen, dessen Knotenpunkte sich unaufhörlich neu verdichten, auflösen und verschieben. Ebenso heterogen sind die Vorstellungen davon, was genau in einem alternativen Kontext eigentlich anders laufen soll, als innerhalb des als Gegenüber vorausgesetzten Mainstreams: Mal steht die Suche nach unabhängigen Vertriebswegen im Vordergrund, mal der Wunsch nach weniger repräsentativen Ausstellungen. Kollektive Formen der Zusammenarbeit, Kunstmarktkritik oder eine gesamtpolitische Aktivierung bilden weitere Schwerpunkte.

Phase eins: unabhängig produzieren

Aus der Vogelperspektive lässt sich nach 1945 das Verhältnis zwischen der etablierten Szene und ihren jeweiligen Gegenbewegungen dennoch schemenhaft in drei Dekaden einteilen: die 1970er-Jahre, die 1990er-Jahre und die Jetztzeit. Als Stichworte für Phase eins mögen hier dienen: Die Gründung der neuen Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) 1969 in Berlin, bis heute der einzige basisdemokratische Kunstverein in Deutschland, und das Aufkommen der ersten Produzentengalerien. Den Ausschlussmechanismen des regulären Betriebs wurden so eigene Handlungsräume entgegengesetzt. „Tötet Euren Galeristen. Kollegen! Gründet Eure eigene Galerie“ heißt es auf dem Ausstellungsplakat von Dieter Hacker zur Eröffnung der 7. Produzentengaleriein Berlin 1971.

Phase zwei: einladend anders

Zwei Jahrzehnte später gerät das Vernetzen in den Vordergrund, vor allem in Berlin kommt es Anfang der 1990er-Jahre zu einem regelrechten Projektraum-Boom. Die Begriffe davon, was Kunst sein kann, erweitern sich – noch stärker als in den Jahren zuvor – um prozessorientierte Arbeitsweisen, die zum Teil keinen manifesten Ausstellungsraum mehr benötigen. Dafür mehren sich die Einladungen der großen Häuser, alternative Projekte in ihren Räumen vorzustellen – einerseits um ihnen ein Forum zu geben, anderseits um sich mit ihrem kritischen Potenzial zu schmücken. Die Behauptung, innerhalb des Kunstbetriebs eine Gegenöffentlichkeit bilden zu können, schmilzt so rapide zusammen: Über eine Außenposition auf sich aufmerksam zu machen, erweist sich als gangbarer Weg, um im Herzen des Betriebs zu landen. Umgekehrt werden alternative Formate zunehmend von engagierten Galerien und Institutionen übernommen. Diese offensichtliche Vermischung dürfte auch der Grund dafür sein, dass die lautstarke Opposition gegen das Establishment heute keine große Rolle mehr spielt.

Phase drei: zwischen Stadt und Wohnzimmer

Mit dem Wechsel zum 21. Jahrhundert wächst innerhalb der sich rasant vergrößernden Projektraumszene das Bewusstsein für die eigene Geschichte. Neben Textsammlungen wie Dagegen dabei gehören dazu zahlreiche Symposien, zum Beispiel „wirsindwoanders“, das seit 2006 in Hamburg stattfindet, oder zuletzt die Veranstaltungen von Haben & Brauchen und dem Netzwerk freier Projekträume und -initiativen in Berlin. Gemeinsam reflektiert man die eigene Rolle im Kulturleben der Städte, fordert mehr öffentliches Geld und erörtert Fragen der Qualitätssicherung sowie Strategien, der Vereinnahmung für Stadtentwicklungs- und Marketingzwecke zu entgehen.

Nora Sdun, Mitbetreiberin des Hamburger Trottoir e. V., beobachtet zudem einen ausgeprägten Pragmatismus, der bei einigen Akteuren aktuell zurück zum „Salon“-Format führt, wenn auch – durch die Verbreitung über die gängigen Social Media Tools – deutlich weniger exklusiv als dessen historische Vorläufer zu Zeiten des sich konstituierenden Bürgertums: „Die Neugründung eines Projektraums bedeutet viel Aufwand, die Mieten sind hoch und die Fördermöglichkeiten unattraktiv. Warum sollte man als freier Projektraum auf absurde Weise mit einem viel besser ausgestatteten Betrieb konkurrieren? Eine Opposition zum Kunstzirkus ist genauso lächerlich. Deshalb macht man lieber Ausstellungen im Wohnzimmer und lädt den erweiterten Freundeskreis dazu ein. So frei wie auf der Küchenbank wird man nie wieder sein.“