Bildende Kunst
Li Dan

Li Dan setzt in ihrer Kunst vielfältige Medien wie 3D-Simulation, interaktive Websites/Computerspiele, Audio, Video, Installation und Text ein. In ihrer künstlerischen Praxis verknüpft sie Raumforschung mit Reflexionen über internationale Politik und Ideologie. Sie interessiert sich für die Räume, die sich zwischen Existenz und Nichtexistenz auftun. Räume, die scheinbar ewig unerreichbar bleiben, deren Spuren sich jedoch verfolgen lassen. Mittels solcher Räumlichkeiten erforscht sie in ihren Projekten die Exotik des Orientalismus, den kolonialen Blick, die Macht der Namensgebung sowie die räumlichen Vehikel ideologischer Transformationen und untersucht dabei, wie der Raum im virtuellen Zeitalter neu zu denken ist.

Vom 26. Juli bis 30. September 2021 hat Li Dan sich im Beijinger Kunstraums CACHE Space (缓存空间) aufgehalten, um ihr Langzeitprojekt The Politics of Sand (沙的政治) zu realisieren. Vom 22. bis 30. September 2021 war ihre Ausstellung „PLEASE WATCH AGAIN“ (请再看一遍) als Ergebnis ihres Residenzaufenthalts im CACHE Space zu sehen.

 

  • Please Watch Again © Li Dan

  • Please Watch Again2 © Li Dan

  • Please Watch Again3 © Li Dan

  • Please Watch Again4 © Li Dan

Li Dan über sich:

Die Ausstellung „PLEASE WATCH AGAIN“

In diesem Frühjahr gab es in Beijing und an vielen anderen Orten die größten Sandstürme seit über zehn Jahren. In der Öffentlichkeit existieren bezüglich Entstehung und Bekämpfung solcher Stürme viele Irrtümer. Da der Sand aus den Sandebenen der Mongolei stammt, beschuldigt man die Mongolen im Internet „nicht genug Bäume zu pflanzen“, und das „Risiko“ auf diese Weise nach China zu holen. Als ich mir die Medienberichte ansah, wurde mir klar, dass die Sandstürme tatsächlich auf hochinteressante geographische Vorstellungen sowie bestimmte Bilder von Raum und Zeit hinweisen.

Ein Sandsturm, der sich bereits im Frühjahr 2002 in Beijing ereignete, wurde wie folgt beschrieben: „Das stark sandhaltige Wetter vom 19. März hatte seinen Ursprung westlich von Hami in Xinjiang und kam durch das Zusammenspiel der Luftkorridore von Nordwesten und Norden zustande. Über den Hexi-Korridor, Lanzhou, Yinchuan, Hohhot, Zhangjiakou und andere Orte erreichte die Witterung schließlich Beijing.“ Der Sand sucht sich seinen Weg also entlang der Seidenstraße bis er schließlich in Beijing ankommt, eine typische Reise von der Peripherie ins Zentrum.

Nun sind Wettervorhersagen zunehmend nur noch als Handy-App verfügbar und so endet für immer mehr Menschen die Zeit, in der der Wetterbericht von TV-Programmen ein umfassendes nationales Narrativ bildete. Nichtsdestotrotz richtet sich die Wettervorhersage, nachdem sich das Fernsehen des „Volkes“ zu einem werbe- und konsumorientierten Programm für die „Massen“ gewandelt hat, immer noch an die bäuerliche Unterschicht, wie aus den eingeblendeten Werbespots für Düngemittel und Saatgut hervorgeht. Als der Feinstaub (PM10) vor zehn Jahren mit einer ultrafeinen Staubpartikelgröße von PM2.5 auch bei der Mittelklasse zum Thema wurde und so ins Blickfeld der Öffentlichkeit rückte, wurde durch die Fixierung auf diesen Schwellenwert die dahinterliegende komplexe Dynamik jedoch meist übersehen.

Nutzloser Sand dringt aus den Randgebieten in die nützlichen Schwerpunktstädte vor. Es ist eine „Gefahr“ aus der Luft, der die Städte des Neoliberalismus ausgesetzt sind. Man hat in China den Boden in Grundstücke aufgeteilt und Gated Communities errichtet, doch der Schmutz fällt unbeirrt vom Himmel, kommt durch jede Ritze und dringt in unsere zerbrechliche und neurotische Physis ein. Es geht letztlich um die Frage, wie unser Leben verwaltet wird. Die Partikelgröße PM10 ist dabei der Indikator für die Inhalation von Feinstaub, für die Beziehung zwischen Innen und Außen.

Im Reinraum wird die Reduktion jeglicher Staubpartikel schließlich auf die Spitze getrieben. Er ist wie etwas Innenliegendes, ein zerbrechliches Innenleben, wie ein Auge, das kein Staubkörnchen toleriert. Gleichzeitig wird in diesem Verfahren Sand veredelt, um digitale Welten zu generieren. Reinräume sind für die Halbleiterindustrie unverzichtbar. Da Chips weltweit Mangelware sind und die Globalisierung mit dem Nachschub nicht mehr hinterherkommt, befinden wir uns heute in einer Ära der einmaligen Politisierung von Mikrochips. Währen Sandstürme die Grenzen von Nationalstaaten überwinden, werden die Veredelungsprodukte von Sand durch den Nationalismus in Geiselhaft genommen. Der Sand wird zum Rohstoff des Nationalismus.

Der Ausstellungsraum von „PLEASE WATCH AGAIN“, ein Lagerpavillon für Baustoffe, war der Ort, an dem Fabriken für Elektrobauteile in den frühen Tagen der Volksrepublik ihr Material stapelten und Sand anhäuften. In der Projektausstellung habe ich mit Material aus der Simulationssoftware eines chinesischen Reinraums eine Wettervorhersage mit falschen Klimadaten erzeugt. Der Satz „PLEASE WATCH AGAIN“ greift dabei einen Bestandteil des chinesischen Wettervorhersageprogramms auf, eine Aufforderung, die ausdrückt, dass die Klimaveränderungen nun nochmals in Großaufnahme gezeigt werden. Doch auch bei erneutem Hinsehen scheint das Ganze keinen Sinn zu ergeben. Korrespondierend dazu gibt es ein zwischen Virtualität und Realität angesiedeltes Sandportrait sowie eine Videoinstallation.

Das Projekt Politics of Sand

Politics of Sand untersucht vor allem die an der Peripherie liegenden Wüsten und Trockenzonen. Es ist die „trockene Welt“, von der der japanische Mongoleiforscher Masaaki Sugiyama spricht. In Eurasien beziehungsweise in der Nordafrika einschließenden Region „Eurasien-Afrika“ liegen riesige „Sandfllächen“ / „Wüsten“ / „bi-a-ba-n“. Im zentralen Eurasien gehören sie sogar zu den Kerngebieten. Hier kommt es häufig zu Dürren, die dadurch verursachte Migration führt zu gesellschaftlichen Unruhen und immer wieder wurden auch ganze Dynastien gestürzt. Gleichzeitig haben Sandstürme die Kraft, die Grenzen von Nationalstaaten zu überwinden (Sahara-Sand dringt bis in die Vereinigten Staaten vor und verhält sich auf Satellitenaufnahmen von Wolken wie ein Störgeräusch und natürlich stellen sich die realen politischen und ökonomischen Beziehungen genau gegenteilig dar). Die Ströme und Verbreitungswege des Sands sind nicht kontrollierbar.

Politics of Sand handelt von nützlichen wie nutzlosen Dingen. Tatsächlich ist der Lebensstil des 21. Jahrhunderts auf Sand gebaut: Beton, Asphalt und Glas haben weltweit abertausenden architektonischen Landschaften ein neues Gesicht gegeben. Auch Dinge des täglichen Bedarfs wie Zahnpasta haben Sand als Basis. In der heutigen Zeit stehen wir allerdings vor einer weltweiten Sandknappheit: China verbrauchte allein zwischen 2011 und 2013 mehr Sand als die Vereinigten Staaten im gesamten 20. Jahrhundert. Zudem kann der Sand aus den Wüsten so gut wie nicht genutzt werden. Die Sandkörner entstehen durch Effekte von Wind und Wassermangel, sie sind zu glatt, lassen sich nicht binden und könne nicht als Baumaterial verwendet werden. Dieser Sand ist für die Moderne im wahrsten Wortsinn nicht konstruktiv. So muss auch Saudi-Arabien Jahr für Jahr Sand aus Australien importieren. Gleichzeitig ist das aus Sand raffinierte Silizium äußerst nützlich. Die Reinräume der Halbleiterindustrie sind um einiges „sauberer“ als ein Operationssaal: Hier werden einerseits Sandpartikel verwendet, während sie andererseits komplett eliminiert werden.

Politics of Sand berührt außerdem Diskussionen über Simulation und Störgeräusche in der Computergrafik.

Übersetzung aus dem Chinesischen: Julia Buddeberg