DOCUMENTA 14
Zwischen Improvisation und fernem Glitzern

Die Residentinnen und Residenten | Collage: Cordula Flegel
Die Residentinnen und Residenten | Collage: Cordula Flegel | Die Residentinnen und Residenten | Collage: Cordula Flegel

Die Goethe-Institute in Südamerika sind mit mehreren Projekten an der documenta 14 beteiligt. Dazu gehört auch das in Rio de Janeiro ansässige Residenzprogramm Capacete, das Künstlerinnen und Künstlern einen zehnmonatigen Aufenthalt in Athen ermöglicht. Sechs der Residentinnen und Residenten berichten über Athen und ihre ersten Erfahrungen vor Ort.

Die zwölf Teilnehmenden aus Südamerika und Griechenland erkunden das kulturelle Leben in Athen. Sie treffen Organisatoren, Künstlerinnen und Besucher der documenta. Von März bis Dezember 2017 entwickeln sie, unter der Leitung von Capacete-Direktor Helmut Batista, vor Ort künstlerische Interventionen. Die Goethe-Institute in Südamerika werden 2018 einige Ideen aufgreifen und mit den Künstlerinnen und Künstlern vor Ort weiterentwickeln.
Einige der Capacete-Residentinnen und –Residenten schildern im Folgenden ihre ersten, ungefilterten Eindrücke von der documenta in Athen:
 

GIAN SPINA, BRASILIEN

Gian Spina | Foto: privat Gian Spina | Foto: privat „In den ersten Wochen der documenta 14 schien es, als seien die „Weltausstellungen“ von vor langer Zeit wiederauferstanden. Diese waren seit 1844 die Keimzelle einer Haltung, deren Ausgangspunkt die „Leistungsschau der Imperien“ mit ihren Unternehmen, Industrien und Kolonien, riesigen Ländereien und „unentwegt rauchenden Schornsteinen“ war. Aus diesen „Weltausstellungen“ entstand das Modell der Biennalen und 1955 dann die documenta, die nun ihr Territorium auf Athen ausweitet. Möglich, dass solche Veranstaltungen Veränderung bewirken wollen. Keinesfalls dürfen aber solche Events dazu dienen, Geschichte „vergessen zu machen“.”

Gian Spina hat unter anderem in São Paulo, San Diego, Vancouver, Bordeaux, Berlin, Frankfurt und Ramallah gelebt, studiert und gearbeitet.


GRIS GARCÍA, MEXICO

Gris García | Foto: privat Gris García | Foto: privat „Eine „14” kündigt die Veranstaltung in der ganzen Stadt an, eine „14”, die nichts weiter verrät und die den Einwohnern der Stadt Athen nichts zu bedeuten scheint. Zwischen zwiespältigen Schildern versuchen wir zu erraten und zu erahnen, wie wir zu einer documenta gelangen, die sich in einen Kontext einfügt, der offensichtlich nicht der ihre ist. Und sie versucht uns zwischen Improvisationen und fernem Glitzern zu sagen, dass sie dort in dem Bestreben ist, von Athen zu lernen.”

Gris García ist Künstlerin und freie Kuratorin. Aktuell ist sie Teil des multidisziplinären Teams TuerCo., das technischen Rat für Kunstprojekte gibt.


RAUL HÓTT, CHILE

Raoul Hótt | Foto: privat Raoul Hótt | Foto: privat „Von Athen zu lernen, ist keine leichte Aufgabe. Der Ausstellung bleiben die Griechen und die Vielschichtigkeit der aktuellen Situation fremd; und die Präsenz ersterer in der Ausstellung ist kaum wahrnehmbar. Klar, es gibt Ausnahmen, doch man bekommt den Eindruck, man stünde vor einer großen intellektuellen Übung, die weder passend noch wirkungsvoll ist. Vielleicht wäre “South as a state of mind” (eines der ‘Motti’ dieser Ausgabe) die Chance, uns als soziale und Verbindungen eingehende Wesen zu erkennen.”

Raul Hótt ist Architekt, Künstler und Lehrer, der über den Körper arbeitet.



RODRIGO ANDREOLLI, BRASILIEN

Rodrigo Andreolli | Foto: privat Rodrigo Andreolli | Foto: privat „Mit der Ankunft der documenta 14 in der Stadt [mit dem Motto „Learning from Athens“] entstehen Probleme, die zu Spannungen in den Kreisen führen, in denen die politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Aktion diskutiert werden. Dieser Effekt tritt allerdings stärker in den Randbereichen der Veranstaltung auf. Außerhalb dieser Sphäre scheint die Stadt sie mehr als weitere touristische Attraktion zu behandeln, die das tägliche Leben wenig beeinflusst. Die documenta 14 versammelt eine Vielzahl von Künstlern und Diskussionsplattformen in Museen und an öffentlichen Orten Athens.  Dabei werden unter anderen Themen wie Immigration / Flüchtlinge / Schulden / EU / Erinnerung / Nachkriegszeit / Kolonialisierung /Tradition / Gender angeschnitten. Doch trotz der Reihe von Fragen, die sie in ihrer Umgebung aufgeworfen hat, scheint ihre Struktur immun gegenüber den Einflüsse des Ortes zu sein, an den sie geraten ist. Es liegen deshalb Frangen in der Luft wie: Warum ist die documenta überhaupt hier? Wie verändert sie die Choreographie des Ortes und das Feld der Interessen der Kunst? Welche Kräfte wirken in dieser Struktur? Was bedeutet die Geste und was wird ihr Nachhall sein?“

Rodrigo Andreolli ist Performancekünstler, der sich insbesondere mit dem Körper in der Öffentlichkeit beschäftigt.


NIKOS DOULOS, GRIECHENLAND

Nikos Doulos | Foto: privat Nikos Doulos | Foto: privat „Ich suche vorrangig nach Lücken der documenta 14, die es mir erlauben, die Institution zu `humanisieren´. Während die Ankunft der documenta in der Stadt die Kulturszene Athens geteilt hat, hat sie nichtsdestotrotz den Grundstein für einen wahrhaft bedeutenden Ort für Konflikte gelegt. Das ruft unmissverständlich nicht zu einer Wahl der Seiten, sondern vielmehr zu einer aktiven Teilnahme am Füllen der Flächen zwischen den Konflikten auf.“

Nikos Doulos ist Visual Artist und Co-Regisseur von Expodium. Er lebt und arbeitet in den Niederlanden.


 

Jota Mombaça

Jota Mombaça. Foto: Privat Jota Mombaça. Foto: Privat „Postkoloniale – oder sogar dekoloniale – Positionen innerhalb der herrschenden Kunstwelt zu beanspruchen, scheint in gewisser Weise im Trend zu sein heutzutage. Und manchmal macht es mir Sorge, auch wenn ich mich nicht außerhalb dieser Bewegung positionieren kann. Dennoch muss ich fragen: Was bedeutet es für die documenta 14, zeitgenössische Formen des Widerspruchs auf globaler Ebene anzusprechen und zugleich die Spannungen und widersprüchliche Dimensionen ihrer eigenen Verortung innerhalb des griechischen kulturellen und politischen Kontexts zu verwischen? Darüber hinaus, wie konnte Dekolonisierung für die vom kolonialen Erbe geschaffenen und erhaltenen Institutionen und Kräfte zum Thema werden? Welche Art von politischer Übersetzung müsste geleistet werden, um den radikalen Ruf nach Zerstörung von kolonialen Standpunkten zu einer passenden Metapher innerhalb von Kunst-Großereignissen werden zu lassen? Ist es tatsächlich möglich, über den Süden als eine Geisteshaltung zu sprechen, oder ist es nur Teil des gleichen Verfahrens, das konkrete Konflikte und Ausnahmezustände zu abstrakten Objekten der Kontemplation und Analyse macht?“

Jota Mombaça ist Schriftsteller und Performance-Künstler. Sein derzeitiges Werk ist die Zusammenarbeit mit der Oficina de Imaginação Política (Werkstat für politische Vorstellungskraft / São Paulo)
 

Musa Michelle Mattiuzzi

Michelle Mattiuzzi. Foto: Hirosuke Kitamura Michelle Mattiuzzi. Foto: Hirosuke Kitamura „Zuletzt hat die weiße Hetero-Vorherrschaft im Kontext von Forschung und Praxis der zeitgenössischen Kunst einige Anstrengungen unternommen, die Stimmen der dissidenten Körper und das Nachdenken über Körperpolitiken, Praktiken und Gender wahrzunehmen. Die privilegierte Vorherrschaft schöpft aus dem Widerhall der Narrative und den Prämissen über dieses dissidente Denken in Bezug auf die Asymmetrien, welche diese Körper historisch zur Unterwürfigkeit konditioniert haben. Ich denke diese Extraktion als ein Merkmal der in Brasilien gelebten Kolonialität in den Gesten der neoliberalen Inklusionspolitik: die den Widerhall unserer vielfachen Stimmen in einer Liste der Erforderlichkeiten und Forderungen nach Repräsentativität zum Klingen bringt. Und schon wird diese Liste zum wahren Zwang im Zusammenhang unserer Differenz unter der Annahme, dass unsere dissidenten Körper durch die Besetzung der Räume der privilegierten Weißheit als Ästhetik und Produkt in der Lage sein würden in einem zivilisierten Kontext eine Rettung aus den Trümmern der patriarchalen, heterosexuellen, weißen Welt zu performen.“

Musa Michelle Mattiuzzi, schwarz, Autorin, Performerin, bewegt sich interdisziplinär durch die Künste.
 

Eliana Otta, Peru

Eliana Otta. Foto: Privat Eliana Otta. Foto: Privat „Paul Preciado lud uns ein, uns eine Zukunft vorzustellen, in der das Geld keinen Wert hat. Neben ihm lag auf einem kleinen Tisch ein Exemplar von The living currency von Pierre Klossowski – das Buch war Tage zuvor die Achse einer Performance gewesen, die von der Biennale von Athen organisiert worden war, die parallel zur documenta stattfindet und von den dortigen Künstlern organisiert wird. Allem Anschein nach gibt es Ideen, die von denen, die in beiden Veranstaltungen die treibende Kraft sind, geteilt werden. Vielleicht ist es noch nicht zu spät zu versuchen, noch mehr über diese Ideen zu diskutieren.“

Eliana Otta ist multidisziplinäre Künstlerin. Sie arbeitet u.a. zu Themen wie wirtschaftliches Ungleichheit, prekäre Arbeitsverhältnisse und genderspezifische Gewalt.