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Klimafreundliches Bauen
Weniger ist mehr

Ziegel, Beton und Holz: Mit drei Modellhäusern in Bad Aibling erprobte das Team um den Architekten Florian Nagler, auf Grundlage von herkömmlichen Materialien energieeffiziente Häuser zu konstruieren.
Ziegel, Beton und Holz: Mit drei Modellhäusern in Bad Aibling erprobte das Team um den Architekten Florian Nagler, auf Grundlage von herkömmlichen Materialien energieeffiziente Häuser zu konstruieren. | Foto (Detail): © Sebastian Schels / PK Odessa

Ausgefeilte Gebäudetechnik und Mauerdämmung gilt seit einigen Jahren als Allheilmittel, um die Kohlendixidemissionen in der Baubranche zu senken. Doch es braucht gar nicht viel, um Häuser mit einer guten Klimabilanz zu errichten. Denn auch beim Bauen gilt: Weniger ist mehr.

Von Martina Vetter

Kohleausstieg, E-Autos, Kurzstreckenflüge: Wenn es um Klimathemen geht, stehen meist der Mobilitäts- und Energiesektor im Fokus. Dabei gerät ein wichtiger Emissionsverursacher schnell aus dem Blick: Die Baubranche ist weltweit für fast 40 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich, in Deutschland immerhin für fast ein Drittel. Nicht nur das Bauen selbst ist ein echter Klimakiller – die Herstellung von Baustoffen wie Zement oder Stahl verbraucht natürliche Ressourcen und Energie –, auch der Betrieb von Gebäuden frisst jede Menge Strom und verursacht CO2-Ausstoß.
 
Die Antwort der Bauwirtschaft auf dieses Problem lautete in Deutschland bisher meist Dämmen. Die Hülle moderner Gebäude besteht aus mehreren Schichten verschiedener Materialien, damit möglichst wenig geheizt oder gekühlt werden muss. Zudem soll intelligente Haustechnik gewährleisten, dass die Gebäude möglichst energiesparend betrieben werden. Doch ob dieser Weg der richtige ist, bezweifeln mittlerweile Expert*innen wie Florian Nagler, der an der Technischen Universität München lehrt. 

Das Modellprojekt, das Zweifel weckt

Ins Grübeln brachte Nagler ein Modellprojekt für klimafreundliches Bauen, zu dessen Team auch der Architekturprofessor selbst gehörte. Das 2015 fertig gestellte Schulgebäude des Schmuttertal-Gymnasiums im bayerischen Diedorf wurde als Plusenergiehaus errichtet. Das heißt, das Gebäude produziert mehr Energie als es verbraucht. Doch die Sache hatte einen Haken: Die Gebäudetechnik des Holzbauwerks war so komplex, dass es drei Jahre dauerte, bis alles wirklich funktionierte und zusammenspielte. 
 
Das machte Nagler stutzig: „Wenn bei einem Gebäude, das von einem hochmotivierten Team von Spezialist*innen gebaut worden ist, nicht alles von Anfang an wie gedacht und errechnet funktioniert, dann wird das keine Ausnahme sein.“ Er fragte sich, ob mehr Gebäudetechnik und ein immer aufwändigerer Materialmix tatsächlich die richtige Antwort auf den Klimawandel sind.
 
Nagler und seine Kolleg*innen wollten es wissen und starteten mit ihren Student*innen ein Forschungsprojekt. Es sollten drei Modellhäuser aus den jeweils hierzulande gängigen Baumaterialien Ziegel, Beton und Holz entstehen. Ziel war nicht nur, die Gebäude so zu konstruieren, dass die Anforderungen des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) auch ohne komplizierte technische Einbauten erfüllt würden. Der Bau sollte sogar nur 55 Prozent der Energie verbrauchen, die ein Effizienzhaus 100 – der Mindeststandard im deutschen Bauwesen – benötigt. 
 
Während der Vorbereitung des Projekts stellten die Forscher*innen Berechnungen an, um die optimale Raumgröße, Raumhöhe, Platzierung und Größe der Fenster, Dicke der Außenwände und Decken zu errechnen. Maßgabe war es, die Häuser durch eine robuste Bauweise gegen Temperaturschwankungen zu schützen, damit im Sommer nicht gekühlt und im Winter möglichst wenig geheizt werden muss. 

Energiesparen ohne aufwändige Technik

Als Vorbild diente Nagler und seinem Team das Projekt der Architekten Baumschlager Eberle, die 2011 im österreichischen Lustenau ein Bürogebäude errichteten, das ohne Heizung oder Kühlung auskommt. Das ganze Jahr über herrschen in dem Bauwerk zwischen 22 und 26 Grad. Maßgeblich verantwortlich dafür sind die 76 cm starken Außenmauern – als Wärmequelle dienen in dem Ziegelmauerwerksbau einzig die Menschen, die darin arbeiten, sowie die Abwärme von Computern und anderen Geräten. 
 
Auch Nagler und sein Team legten daher besonderes Augenmerk auf das Mauerwerk. Je nach Material wurden unterschiedlich dicke Außenwände für die in Grundriss und Kubatur baugleichen Häuser benötigt: bei dem mit Dämm-Beton gebauten Haus 50 cm, beim Ziegelmauerwerk 42,5 cm und beim Holzbau 30 cm. Damit alle Häuser über genügend thermische Speichermasse verfügen, wurden Bodenplatten und Decken aus Beton gegossen. 
 
Seit Anfang 2021 sind die drei Häuser mit je acht Wohnungen fertig und die dritte Phase des Projekts läuft: Zwei Jahre lang werden die Bauten nun evaluiert, um zu erfahren, ob sie tatsächlich wie berechnet funktionieren. Das ist Nagler wichtig, da schon bei manch einem Modellprojekt die errechneten Energieeinsparungen nicht eingetreten sind. Denn die Nutzer*innen der Gebäude handeln oft anders als vorgesehen: Sie fahren die Sonnenschutzrollos hoch, weil sie hinausschauen wollen, oder öffnen die Fenster, statt sich vollautomatisch belüften zu lassen. In Bad Aibling sind die Versuchshäuser daher sehr schlicht konzipiert: Einfache Wandheizkörper, eine Fenster-Falz-Lüftung und ein kleiner Abluft-Ventilator in den Bädern sind die einzigen technischen Einbauten. Seitdem die drei Häuser in Bad Aibling Anfang 2021 fertig gestellt wurden, wird evaluiert, ob die geplanten Energieeinsparungen tatsächlich eintreten. Seitdem die drei Häuser in Bad Aibling Anfang 2021 fertig gestellt wurden, wird evaluiert, ob die geplanten Energieeinsparungen tatsächlich eintreten. | Foto (Detail): © Sebastian Schels / PK Odessa Wichtig war dem Forschungsteam um Nagler auch, die Energie einzuberechnen, die für die Instandhaltung während der angestrebten Lebensdauer von 100 Jahren benötigt wird. Diese sogenannte „Graue Energie“ müsste Nagler zufolge unbedingt bei der Klimabilanz aller Gebäude mit einberechnet werden. Und noch ein weiterer Nachhaltigkeitsaspekt spielt bei den Forschungshäusern eine Rolle: Wenn die Häuser eines Tages abgerissen werden, kann das Material ohne Probleme wiederverwendet werden, weil die Baustoffe nicht mit anderen Materialien vermischt wurden. 
 
Nagler forscht unterdessen bereits weiter. Die nächsten Versuchshäuser des Forschungsprojekts „einfach bauen“ werden Studentenwohnungen beherbergen. „Wir müssen zeigen, dass eine Reduktion möglich ist und mit gutem Beispiel voran gehen“, ist er überzeugt. Mit diesem Zielen ist er nicht mehr allein: Mit gutem Beispiel vorangehen will auch die Projektgesellschaft der Hamburger Hafencity, die den künftigen Unternehmenssitz als Null-Emissionshaus errichten lassen will. Über den gesamten Lebenszyklus vom Bau über den Betrieb bis zum Rückbau soll das Bauwerk CO2-neutral sein. Das geplante Null-Emissionshaus in der Hamburger Hafencity soll über den gesamten Lebenszyklus vom Bau über den Betrieb bis zum Rückbau CO2-neutral sein. Das geplante Null-Emissionshaus in der Hamburger Hafencity soll über den gesamten Lebenszyklus vom Bau über den Betrieb bis zum Rückbau CO2-neutral sein. | Foto (Detail): © Heinle, Wischer und Partner, freie Architekten

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