Interview mit Diana Rico  “Unsere Mission ist es, die Coca-Kultur in Kolumbien zu vermitteln”

 © Erika Torres, 2019.

Die kolumbianische Künstlerin und Filmemacherin Diana Rico gründete mit Richard Décaillet die Produktionsfirma 4direcciones. Gemeinsam verfolgen sie das Ziel, Kultur und Traditionen der indigenen Gemeinschaften im Amazonasgebiet sichtbar zu machen. 

Frau Rico, wie sind Sie dazu gekommen, Dokumentarfilme über indigene Themen zu drehen?

Am Anfang stand unsere erste Serie El lado B de la historia (Die B-Seite der Geschichte) in Zusammenarbeit mit dem Museo Nacional in Bogotá, in der wir die Objekte des Museums beleben und ihre Geschichte erzählen wollten. Die Funktion dieser Objekte für Zeremonien und ihre rituelle Daseinsberechtigung war uns bekannt. Nun wollten wir diese Objekte als Erinnerung zeigen. Später arbeiteten wir an Animationen, kurzen und langen Dokumentarfilmen und Serien.

Richard und ich kommen von der bildenden Kunst, was unsere Arbeitsweise beeinflusst. Das Format Video ist einerseits ein Kunstwerk und andererseits auch ein aktivistisches Werkzeug. So haben wir etwa die Konsolidierung des Nationalparks Yaigojé Apaporis mit Videomaterial begleitet. Mit Hilfe dieses Materials hat die UNESCO verstanden, worum es bei diesem Territorium geht und warum es so schützenswert ist.

Ebenso haben wir die vorausgegangene Befragung der Bewohner des Parks audiovisuell begleitet. Wir arbeiten Hand in Hand mit der Stiftung Gaia Amazonas und begleiten die Entwicklungsstrategien im Departamento Vaupés, unserem wichtigsten Arbeitsort. Das alles hat uns zu der Frage geführt, wozu das Audiovisuelle dienen kann, unabhängig vom Format. Schließlich schlug uns 2016 María Belén Sáez de Ibarra, Direktorin der Abteilung Kulturerbe an der Universidad Nacional de Colombia, vor, mit dem Material unseres Klangarchivs ein größeres Projekt umzusetzen. So entstand El origen de la noche (Die Entstehung der Nacht), eine Ausstellung über die Coca-Kultur

Hat diese Arbeit Sie gewissermaßen an die virtuelle Realität  herangeführt?

Ja, weil sich beide Formate auf den Klang konzentrieren. Gerade in diesem Moment – und ohne genau zu wissen, was wir taten – fingen wir an, mit Virtual Reality zu arbeiten, gemeinsam mit einem Kanadier, der über die entsprechende Ausrüstung verfügte. Zusammen fuhren wir zum Río Pirá Paraná, wo eine unserer ersten Virtual-Reality-Werke in Kolumbien entstand. 

Dabei entdeckten wir, dass die virtuelle Realität mit dem Zeitstrahl des Kinos bricht, der vom Lesen und Schreiben her stammt. Das Kino ist ein lineares Lesen, ein Lesen in der Zeit. Aber wenn man mit mündlichen Kulturen arbeitet – und ich glaube, dass hier der Grund liegt, warum das indigene Kino in Kolumbien praktisch nicht existiert – merkt man, dass das Kino ein ausschließendes Format ist. Um Geschichten zu erzählen, ist es nötig, eine Sprache zu lernen, die nicht natürlich und gegeben ist. Mit dieser Sprache eine Erfahrung von einer anderen Ordnung zusammenzufassen, der eine nichtlineare Weltwahrnehmung zugrunde liegt, ist beinah unmöglich. Virtual Reality ermöglicht es uns schließlich, keine Geschichte, sondern eine Erfahrung zu kommunizieren. Sie erlaubt uns, die Geschehnisse im Urwald auf eine Art darzustellen, die sich mehr der Weise annähert, wie die Indigenen sie erleben. So entstand im Jahr 2018 Sacred Coca.

Was zeigt Sacred Coca?

Der Film zeigt die Menschen. Sacred Coca ist ein kurzer, immersiver Dokumentarfilm, der im Format Virtual Reality beim Río Pirá Paraná entstanden ist. Er enthüllt den Prozess der Coca-Pflanze, die Momente dieser täglichen Tätigkeit, der die amazonischen Indigenen seit dem Beginn der Zeit nachgehen; die Schönheit des Blättersammelns, des Röstens, da zu sein; einfach da zu sein. Aber dem Zuschauer stößt vor allem das zu, was wir mit dem Klang erschaffen. Was in ihm geschieht, entsteht nicht über das Sehen, sondern in erster Linie über das Gehörte. Genau das passiert, wenn man Coca oder andere Pflanzen kaut: Man nimmt sie ein, hört etwas und dieses Geräusch schafft im Inneren eine Vision. Und für mich ist die Kunst dieses mentale Bild, das sich öffnet.

Was ist das Mambe, das Einnehmen der Coca-Pflanze?

Mambe ist das, was die indigenen Männer praktizieren, die sich jede Nacht von 18 Uhr bis Mitternacht in den Gemeinschaftshäusern, Malocas genannt, in Amazonien oder in der Sierra Nevada zusammensetzen, um die Welt zu organisieren. Sie treffen sich, um sich tief mit allem Existierenden zu verbinden und die Gemeinschaft zu betrachten. Es ist ein Raum der Politik und der Wissensvermittlung. Und zweifellos gibt es eine Verbindung zwischen dem Mann, der in Pirá Paraná Coca einnimmt und dem, der 50 Millionen Kilometer entfernt ist. Beide betrachten diese Themen von ihren Orten aus.

Das heißt, wie Humboldt sagte: Alles hängt mit allem zusammen.

So ist es, aber Humboldt, der ein sehr starkes Vermächtnis in uns ist, gab diesem Zusammenhang keine menschliche Dimension. Sein Blick auf die Natur war der Blick eines Mannes, der noch Gefangener seiner selbst war: mächtig, aristokratisch, weiß, zu diesen Territorien gekommen, um sie anzusehen, zu studieren und eine Meinung zu haben. Humboldt kam, um uns “wiederzuentdecken”. Dennoch war er eine sehr notwendige Figur, weil die Übersetzer zwischen den Welten notwendig sind.

Mit welchem Projekt haben Sie den vom Goethe-Institut veranstalteten Humboldt Virtual Reality Jam in Bogotá gewonnen, welches dann auch im Humboldt Forum vorgestellt wurde?

Unser Team: ein Hacker, ein Programmierer, ein Musiker – Aimema Urue, ein junger Mann aus Chorrera, Amazonien – Richard und ich. Wir präsentierten das Projekt Juyeco, was zwei Bedeutungen hat: “Totuma”, ein pflanzliches Gefäß, und “das, was etwas enthält”. Es zeigt die Maloca als wissenschaftliches Zentrum. Als Humboldt nach Amerika kam, haben die Indigenen ihn sicherlich behandelt, um seine Kenntnisse zu stärken, damit er sehen, seine Reise gesund vollenden und als Bote zurückkehren könne. Humboldt war unser Instrument. Dann haben wir seine Gedanken gehackt.

Wir entwarfen eine Maloca, die für die Indigenen eine Repräsentation des Territoriums darstellt, welche mittels Humboldts Illustrationen die Orte zeigte, die er besucht hat. Der Zuschauer bereiste diese Karte zu Fuß, er war der Entdecker, aber mit der Technologie der amazonischen Maloca. Wenn er an ein Bild kam, konnte er diesen Ort mit einem Smartphone und Augmented-Reality-Anwendungen beleben und die zugehörige Musik und Geräusche hören. Zudem konnten sich die Besucherinnen und Besucher in die Maloca setzen und das Mambe kennenlernen. Außerdem benutzten wir die Piktogramme, die Tanzsymbole, als lesbare Zeichen, welche die Erfahrung während des Rundgangs mit einer App anregten. Von außen war dann ein Tanz in der Maloca zu sehen.

Was bleibt Ihnen von dieser Erfahrung?

Es war eine sehr wichtige politische Chance, weil wir erreicht haben, was wir beabsichtigten und was wir weiter versuchen werden: die Coca-Pflanze zeigen und bewirken, dass sich das Zentrum ändert; dass es hier ist.

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