Bilder der Erinnerung
Ein glückliches Haus

Das Familienhaus
Das Familienhaus | © Mariana Garcés

In der Reihe „Bilder der Erinnerung“ lassen verschiedene Autoren Orte wiederaufleben, die eine besondere Bedeutung für sie haben. Die kolumbianische Kulturministerin Mariana Garcés erzählt uns von ihrem Erinnerungsort: die Hazienda ihrer Familie.

Wenn man mich nach dem Erinnerungsort fragt, bin ich ein bisschen verwirrt. Es soll ein Erinnerungsort sein. In Wirklichkeit sind es viele. Das Leben ist voller Erinnerungen und diese Erinnerungen werden durch Orte versinnbildlicht, die uns geprägt haben.

Auch wenn es mir also schwerfällt einen auszuwählen, würde ich sagen, mein Ort ist: „Hato Viejo“, die Hazienda meiner Familie. Es ist eine der typischen, schönen und riesigen alten Villen in der Region Valle del Cauca. Sie gehörte schon immer meiner Familie, zeitlebens. Der Valle del Cauca erstreckt sich von den Anden bis zur Pazifikküste. Bekannt ist er für die gedehnte Sprechweise seiner Bewohner, seine wirtschaftliche, soziale und kulturelle Lebendigkeit und für den Charme seiner Küche.

Meine glücklichsten Kindheitserinnerungen stammen von dort. Jede oder fast jede Ferien verbrachten wir in unserer Hazienda. Wenn man an unser „Hato Viejo“ denkt, muss man gleichzeitig an die Hazienda „El Paraíso“ denken, die der Schriftsteller Jorge Isaacs in La María (1867), einem der wichtigsten Romane der kolumbianischen Literatur, verewigt hat. Ich möchte meinen, dass die Hazienda meiner Familie genauso schön und zauberhaft war.

Dort lernte ich, Natur und Stille zu genießen. Ich lernte, die Tiere zu lieben, die Bäume zu bestimmen und die Großartigkeit der Landschaft meiner Region zu verstehen. Außerdem lernte ich, Zeit für Dinge zu haben, für die es sonst keine gab: Bücher, Reiten, an den Fluss gehen, neue Freunde kennenlernen, wie die Kinder der Arbeiter, mit denen ich nur spielen konnte, wenn wir auf der Hazienda waren.

Die Wände des Hauses wurden nach der Bahareque-Bauweise mit Pfosten hochgezogen und weiß angestrichen. Die Möbel sind sehr alt, so alt wie das Haus selbst oder sogar älter. Die Räume sind groß und dadurch zieht, egal bei welchem Wetter, eine Brise hindurch. Im Esszimmer, das groß ist und genügend Stühle für die verschiedenen Generationen von Kindern, Enkeln, Nichten und Neffen bereit hält, wurden schon alle erdenklichen Köstlichkeiten der regionalen Küche aufgetragen, wie zum Beispiel Champús, ein Getränk aus Lulo-Früchten, Mais, Ananas, Panela, Nelken und Orangenblättern. Oder Cholado: eine Kombination aus zerkleinertem Eis, Obststückchen und Kondensmilch.

Für meine Familie und mich war die Hazienda der glücklichste Ort auf Erden. Sie war es für meine Generation, für die meiner Eltern und meiner Großeltern. Und sie ist es heute noch. Wir nutzen jede Gelegenheit, um hinzufahren. Sie ist unser Treffpunkt und wird es, da bin ich sicher, auch in Zukunft bleiben.
 

Mariana Garcés wurde vom aktuellen kolumbianischen Präsidenten Juan Manuel Santos zur Kulturministerin ernannt. Sie stammt aus der Region Valle del Cauca und studierte Jura an der Universidad de los Andes in Bogotá. Ihre Erfahrungen im Kulturbereich umfassen ihre Tätigkeit als Direktorin des Internationalen Kunstfestivals in Cali und als Geschäftsführerin des regionalen Fernsehsenders Telepacífico.

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