Deutschlernangebote auf YouTube
Ein Kumpel vor der Kamera

Junge vor einer Kamera
Foto: Syda Productions © Fotolia.com

Ausspracheübungen mit Tiergeräuschen? Grammatik im Schlafzimmer? Jugendsprache in konkreten Situationen? Was beim herkömmlichen Deutschunterricht schwer vorstellbar ist, ist bei nicht-institutionellen DaF-Kanälen auf YouTube durchaus üblich. Ihre Produzentinnen und Produzenten, darunter Muttersprachlerinnen, Muttersprachler und Deutschlehrkräfte, füttern ihre Kanäle regelmäßig mit Lernvideos, die sich das Publikum gerne anschaut und kommentiert. Nicht-institutionell sind diese Videos, weil sie privat, ohne redaktionelle Vorgaben und kommerzielle Interessen produziert und publiziert werden.
 

Seit der Gründung der Plattform YouTube sind mehr als 100 Kanäle dieser Art eröffnet worden. Über 20 Anbieter widmen sich derzeit aktiv der Vermittlung der deutschen Sprache auf Deutsch und Englisch und sind von mehreren Tausend Menschen aus aller Welt abonniert.

Eigenschaften von Lernvideos

Neben der kostenfreien Rezeption zeichnen sich diese Lernangebote durch eine lockere Lernatmosphäre aus. Die meisten Lernvideos sind „hausgemacht“ nicht nur im Sinne der Eigenproduktion, sondern auch insofern, als dass das Wohnzimmer, das Schlafzimmer oder auch die Küche der Produzentinnen und Produzenten als Unterrichtsraum verwendet werden: Keine Tafel und kein Schreibtisch, nur ein Sofa und eine blanke Wand. Da fühlt man sich als Zuschauerin oder Zuschauer, als würde einem eine gute Freundin oder ein guter Freund zu Hause Deutsch beibringen. Diese aufgelockerte Stimmung zeigt sich darüber hinaus im Lerninhalt. Es werden häufig Themen angesprochen, die für Lernende interessant sind, sich jedoch in offiziellen Lehr- und Lernsituationen eher schwer thematisieren lassen, zum Beispiel jugendliche Sprache und Schimpfwörter. Auch bei den kanonischen Lernthemen, etwa der Aussprache, findet man lustige Erklärungen und Beispiele: Anstatt einer phonologischen Beschreibung des Umlauts Ä fügt die Produzentin Anja ein Video mit blökenden Schafen ein, die den entsprechenden Laut machen. Jenny gurgelt in ihrem Video Wasser vor, um zu demonstrieren, wie man die Artikulation des R übt.

DaF-Kanäle auf YouTube sind außerdem immer auf dem Laufenden: Ohne bürokratische oder verlagspolitische Hürden lässt sich Aktuelles schnell thematisieren. Kurz nach der Veröffentlichung des Spiels Pokémon Go im Jahr 2016 wurde beispielsweise ein Lernvideo zum Wortschatz rund um das Spiel publiziert.

Darüber hinaus bleiben die Nutzerinnen und Nutzer auf solchen Kanälen kaum passiv, denn sie interagieren über die Kommentarfunktion mit der Produzentin oder dem Produzenten. Letztere freuen sich auf Feedback und geben dem Publikum häufig Hausaufgaben. Da die Lernenden die Hausaufgaben in die Kommentare schreiben, werden sie zum großen Teil kontrolliert, wenn nicht von den Inhaberinnen und Inhabern der Kanäle, dann von anderen Nutzerinnen und Nutzern. Die Interaktivität kann sogar synchron erfolgen, wenn die Lernvideos über die Live-Funktion übertragen und zeitgleich vom Publikum kommentiert werden.

Charakteristisch für die Lernvideos sind zudem metasprachliche Aussagen, die beim Publikum zu anschließenden Diskussionen über Aspekte des Deutschen führen können. Die Produzentinnen und Produzenten äußern sich in ihren Videos zu bestimmten Lernthemen oder auch zur gesamten Sprache: Katja argumentiert in einem ihrer Videos, dass Deutsch keine schwere Sprache ist. Hingegen sieht Anja zwischen der deutschen Grammatik und dem Wetter eine Gemeinsamkeit: Sich darüber zu beschweren, bringt nichts. Daraufhin diskutiert das Publikum zum Beispiel didaktisch-reflektierend, was einem beim Deutschlernen schwerfällt oder warum bestimmte Lernthemen besonders schwer für eine bestimmte Lernergruppe sind. Häufig werden Stereotype über Sprache und Sprachgebrauch hinterfragt. In manchen Lernvideos und den dazugehörigen Kommentaren wird beispielsweise den Fragen nachgegangen, warum der deutschen Sprache ein aggressiver Charakter zugeschrieben wird oder ob es nur „die“ eine richtige Aussprache des R gibt. Bemerkenswert ist ferner die aktive Teilnahme von Muttersprachlerinnen und Muttersprachler, die freiwillig im Kommentarbereich mitdiskutieren und andere Deutschlernende motivieren.

Nicht-institutionelle Lernvideos zeichnen sich also durch lockere Stimmung, Aktualität, Interaktionen zwischen Produzentinnen, Produzenten und Lernenden sowie nicht zuletzt durch die Möglichkeit zur metasprachlichen Reflexion aus. Diese Eigenschaften sind Gründe für ihre Beliebtheit.

Vielfalt von Lernvideos

Trotz gemeinsamer Grundeigenschaften weisen die Lernvideos eine recht große Vielfalt auf: Je nach Anbieter sind es verschiedene Lernstufen, Lehrmethoden und inhaltliche Schwerpunktsetzungen, die sich für verschiedene Lerntypen eignen. So sind die Lernvideos von Jenny beispielorientiert: Nach präzisen Erklärungen gibt sie stets unzählige Beispielsätze, etwa zum Verb haben. Beim Kanal Deutsch für Euch findet man hingegen oft komplexe grammatikalische Auseinandersetzungen, zum Beispiel mit der Modalverbstruktur des Satzes „Der Apfel muss gegessen werden wollen können“. 

Der Lerninhalt variiert von Wortschatz- und Grammatikerklärungen über Hörübungen und Lesungen literarischer Texte zu Sprachtestvorbereitungen und landeskundlichen Themen. Die Darstellungsformen sind recht unterschiedlich: Manche Produzentinnen und Produzenten sitzen hinter dem Mikrofon und erklären, andere führen lieber ein Schauspiel auf. Ab und zu entstehen durch Zusammenarbeit von mehreren Kanälen kooperative Lernvideos, wie zum Beispiel ein Video zum Thema „Slangs", bei dem Dominik (Get Germanized) als Vertreter des norddeutschen Sprachraums und Katja (Deutsch für Euch) als Vertreterin des süddeutschen Sprachgebrauchs dem Publikum Slangs und ihre Bedeutung in Form eines Ratespiels erklären.

Im Rahmen meines Dissertationsprojekts an der Universität Hamburg untersuche ich die folgenden nicht-institutionellen DaF-Kanäle in Hinblick darauf, wie die Produzentinnen und Produzenten sich als berechtigte Sprachvermittlerinnen oder -vermittler positionieren, wie die deutsche Sprache und die Lernthemen dargestellt werden und wie sich das Publikum zu dieser Darstellung äußert. Diese sieben Kanäle sind thematisch aktuell, publizieren regelmäßig Beiträge und haben ein recht großes Stammpublikum. In den Videos wird zwischen Deutsch und Englisch gewechselt.

Ein Blick in die Lernvideosammlung lohnt sich. Sie finden bestimmt ein Video, das sich in Ihren Unterricht integrieren lässt oder für die Hausaufgaben genutzt werden kann:

Anwendungs- und Umsetzungspotenziale

Lernangebote von solchen freien Anbietern lassen sich als informelles Lernmaterial außerhalb des Unterrichts verwenden. So können Lernende ein gewisses Lernthema selbständig nachholen oder vertiefen. Allerdings ist fraglich und derzeit noch wissenschaftlich unerforscht, ob allein mit diesen Lernvideos ein bestimmtes Sprachniveau erreicht werden kann. Denn es fehlen fachliche Kontrollen und individuelle Rückmeldungen.

Als Lehrkraft stellt man sich die Frage, ob und wie sich diese Lernangebote in den Präsenzunterricht einbinden lassen. Die Lernvideos bieten sich als unterhaltsame und abwechslungsreiche Ergänzung zum regulären Lernstoff an. Dadurch können die Lernenden andere Stimmen hören, neue Gesichter sehen und manchmal auch über das Video lachen. Nehmen wir ein Lernvideo zum Thema Präpositionen von EasyGerman als Beispiel: Die an echten Orten und von echten Menschen demonstrierten, teilweise übertriebenen Beispiele können als Inhaltswiederholung und Stimmungsauflockerung den Präsenzunterricht anreichern.

Bei Easy German werden die Präpositionen visualisiert. Bei Easy German werden die Präpositionen visualisiert. | Foto (Ausschnitt): © Easy German/Easy Languages Ansonsten können die Lernvideos bei der Unterrichtsvorbereitung von Nutzen sein, weil sie reich an unterschiedlichen Merktechniken und Eselsbrücken sind, die im Unterricht weitervermittelt werden können. Im Falle des Online-Unterrichts eignen sie sich als alternative oder ergänzende Lernmaterialien.

Bei nicht-institutionellen Lernvideos ist jedoch Vorsicht geboten. Da die Produzentinnen und Produzenten sie hauptsächlich in der Freizeit produzieren, kann es dazukommen, dass manche Kanäle im Laufe der Zeit weniger oder nicht weiter gepflegt werden. Die fehlende Qualitätskontrolle führt nicht nur zu verstreuten Tippfehlern, sondern auch in einigen seltenen Fällen zu fraglichen Inhalten. In einem Video wird das „ß“ beispielsweise zu den Umlauten gezählt. Solche Fehler sind allerdings selten.

Da die nicht-institutionellen DaF-Kanäle auf YouTube sich großer Beliebtheit erfreuen, sollten etablierte Bildungsinstitutionen solche Lernvideos nicht als Konkurrenz wahrnehmen. Beim gemeinsamen Ziel der Fremdsprachenvermittlung können beide Seiten vielmehr einander ergänzen: Die DaF-Kanäle bieten eine Fundgrube an kreativen Unterrichtsideen. Die Institutionen können diese dann aufnehmen, sowohl fachlich als auch technisch weiterentwickeln. Das Ergebnis sind qualifizierte abwechslungsreiche Lerninhalte.
 

24h Deutsch – neues Format zum Deutschlernen auf YouTube

Der neue YouTube-Kanal 24h Deutsch nimmt Zuschauerinnen und Zuschauer mit auf eine Reise durch einen typischen Tag in Deutschland. Jeder Stunde des Tages ist eine Episode gewidmet, in der Userinnen und User von der jungen Deutschlehrerin Ida begleitet werden. Neben einem authentischen Einblick in das junge Deutschland widmet sich jede Episode einem Deutschlernthema: von der Grammatik über Kurioses bis hin zu Lernstrategien, vom Zungenbrecher über das Fluchen bis hin zum Konjunktiv II.

Zur Zielgruppe gehören junge Leute zwischen 12 und 25 Jahren mit Deutschkenntnissen ab A2-Niveau. 24h Deutsch ist ab dem 9.11.2017 online. Neue Folgen werden im Wochenrhythmus veröffentlicht. 24h Deutsch ist Gewinner des vom Goethe-Institut durchgeführten Wettbewerbs Deutsch lernen auf YouTube? - Zeig uns wie das geht!
Die Episoden finden Sie auf https://www.youtube.com/channel/UCHpnIL-1QIUyVhdGVJ6rW3A