Meinungsbilder
Madrid
Gonzalo Frasca | 2004
„MADRID“ ist ein Videospiel, das sich mit den Terroranschlägen auf Madrid im Jahr 2004 auseinandersetzt. Entwickelt und publiziert wurde es 2004 von Gonzalo Frasca innerhalb von nur zwei Tagen nach den Anschlägen. Das Ziel dieses Spiels ist es, den Opfern der Anschläge von Madrid und weiteren Städten, die Terroranschläge erlitten, zu gedenken.
Ein stummer Bildschirm zeigt eine Gruppe von Menschen, die brennende Kerzen in den Händen halten. Die Menschen tragen T-Shirts mit der Aufschrift „I Love Madrid“, „I Love New York“ und „I Love Baghdad“. Die Aufgabe des Spielenden ist es, mit der Maus auf so viele Kerzen wie möglich zu klicken, Jeder Klick lässt die Flamme der Kerze für einen kurzen Moment heller brennen. Ziel ist es, so viel Licht wie möglich zu generieren.
Frasca wollte damit das Konzept des „newsgaming“ weiterentwickeln; das Spiele als Ergänzung oder Erweiterung von Nachrichten. Er sieht Newsgames als kontemporäres Equivalent der Zeitungskarrikatur.
The Cat and the Coup
Peter Brinson and Kurosh Vala Nejad | 2011
Das Spiel wurde mit Hilfe des The Advancing Scholarship for the Humanities and Social Sciences und dem Game Innovation Lab an der University of Southern California entwickelt und 2011 veröffentlicht.
Yellow Umbrella
Awesapp | 2014
Das Puzzle-Spiel „Yellow Umbrella“, das per App auf dem Smartphone gespielt wird, setzt sich mit den Studentenprotesten in Hongkong 2014 auseinander, die sich für freie Wahlen und gegen die chinesische Zentralregierung aussprachen. Als Spieler_in nimmt man an den pro-demokratischen Demonstrationen teil und verteidigt sich gewaltfrei gegen tränengaswerfende Polizisten, Triadenschläger oder den umstrittenen Regierungschef CY Leung im Wolfskostüm. Angriffe sind einem als gewaltloser Demonstrant nichtmöglich – stattdessen stehen einem Regenschirme, Räucherstäbchen und Stinkfrüchte zur Verteidigung zur Verfügung. Entwickelt wurde das Spiel von der in Hongkong ansässigen App-Entwicklerfirma Awesapp Limited.
Militärisches
Killbox
Joseph DeLappe with Malath Abbas, Tom Demajo and Albert Elwin of Biome Collective | 2016
„Killbox“ ist ein Online-Spiel und eine interaktive Installation, das sich kritisch mit der Natur des Drohnenkrieges und seinen Konsequenzen auseinandersetzt. Es untersucht den Gebrauch von Technologie für die Transformation und Ausweitung von politischer und militärischer Macht und die Abstraktion des Tötens durch Virtualisierung. „Killbox“ ist der militärische Fachausdruck für einen Abschnitt in einem Koordinatennetz, der bei der Einsatzplanung für die gezielte Zerstörung definiert wird. Die Spieler werden als Drohnenpiloten in eine fiktionale virtuelle Umwelt involviert, die auf dokumentierten Drohnenschlägen/angriffen in Nordwasiristan in Pakistan basieren, und dabei vor moralische Entscheidungen gestellt.
Die Arbeit ist eine internationale Kollaboration des US-basierten Künstlers und Aktivisten Joseph DaLappe und dem Biome Kollektiv aus Dundee, Schottland, das unter anderem aus den Künstlern und Spieleentwicklern Malath Abbas, Tom Demajo, und Albert Elwin besteht.
Unmanned
Molleindustria and No Media Kings | 2012
Beim Online-Videospiel „Unmanned“, das 2012 von Molleindustria und No Media Kongs entwickelt wurde, ist der Protagonist kein typischer Soldat in einem Kriegsspiel: Statt sich durch actiongeladene Bodenkämpfe zu manövrieren steuert er eine Drohne aus der Ferne um nach Ende der Schicht in sein Vorstadtleben zurückzukehren.
Das Spiel wird parallel auf zwei Bildschirmen gespielt, die das Berufs- und das Alltagsleben des Protagonisten darstellen. Der Spieler navigiert den Protagonisten durch beide Felder, wobei die Benutzeroberfläche, die ihm zur Verfügung steht, in ihrer Einfachheit der ähnelt, mit der der Protagonist die Drohne steuert.
Der Konflikt, mit dem sich dieser Soldat auseinandersetzen muss, findet allen in seinem Kopf statt. Ein einfacher Knopfdruck kann am anderen Ende der Welt tödliche Konsequenzen haben. Gleichzeitig wird dem Spieler die Absurdität dieser alltäglichen Art der Kriegsführung vor Augen geführt, indem er z. B. statt für die in Kriegsspielen üblichen „Headshots“ Punkte dafür bekommt, sich morgens nicht beim Rasieren zu schneiden.
This War of Mine
11 bit studios | 2014
„This War of Mine“, das 2014 vom Entwicklerstudio „11 bit studios“ aus Warschau, Polen, veröffentlicht wurde, vertauscht die Perspektiven des Kriegsspiels. Die Spieler finden sich in einem nicht näher definierten Kriegsgebiet wieder und müssen das Überleben für eine Gruppe von drei Zivilisten in den Ruinen sichern. Dabei gibt es keine Levels, keine Highscores – das einzige Ziel ist, bis zum Ende des Krieges zu Überleben.
Oft genug befindet man sich dabei in Konkurrenz mit anderen Überlebenden. Um genügend Nahrung, Medikamente und andere Ressourcen für die Gruppe zu erlangen, findet sich der Spieler in zunehmend härteren Dilemmata wieder: Nimmt man einem alten Ehepaar die letzten Nahrungsvorräte weg, damit das eigene Team endlich wieder zu essen bekommt? Opfert man Freunde, um ein Familienmitglied zu retten? Hilft man einer Frau, sich gegen einen betrunkenen Soldaten zu wehren und riskiert dabei den eigenen Tod?
„This War of Mine“ präsentiert kein schwarzweißes Szenario mit klarem Feind. Böse und Gut verschwimmen in einer Situation, in der die Protagonisten durch die extreme Lage in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt werden und in der sich moralischer Integrität kaum waren lässt.
Multiperspektivität
Perfect Woman
Peter Lu & Lea Schönfelder | 2014
Das Spiel „Perfect Women“ setzt sich spielerisch mit den unterschiedlichen und oft widerstreitenden Erwartungen auseinander, die die Gesellschaft an Frauenrollen stellt.
Die Spieler durchlaufen ein Frauenleben vom Mutterleib bis ins Grab, das in verschiedenen Abschnitten unterteilt ist. Zu Beginn jedes Abschnitts können die Spieler aus vier Optionen mit verschiedenen Schwierigkeitsgraden wählen. Die Rollenvorschläge decken dabei eine breite Palette von Klischees wie Prinzessin (mittelschwer) bis zu eher untypischen Rollen wie Pro Gamer (leicht) oder Außenministerin (schwer) ab.
Anschließend muss der Spieler über Kinect-Erfassung mit seinen Bewegungen die gewählte Figur in die vom Simulator geforderten Positionen biegen – je nach gewählter Rolle keine leichte Aufgabe. Man erfährt am eigenen Leib: Jede Frauenrolle erfordert es, sich mehr oder weniger zu verbiegen, um sie zu erfüllen. Gleichzeitig erlaubt das Spiel jedem, seine eigene Version einer „Perfect Woman“ zu kreieren – bestehend aus vielen unterschiedlichen Facetten.
Dys4ia
Anna Anthropy | 2012
„Dys4ia“ ist ein Flash-Spiel von Anna Antrophy mit autobiographischen Zügen. Sie beschäftigt sich darin mit ihrer eigenen Geschichte als Transgenderfrau und ihrer Hormontherapie. Das Spiel ist eine künstlerisch Reflexion ihrer ganz persönlichen Erfahrung und nicht als Empathiespiel gedacht.
Das klassische 8Bit-Game Design ist bewusst schlicht: Jedes Level ist ein einfache Puzzle. Die Darstellung ist abstrakt gehalten. Manchmal muss der Spiel nicht mehr tun, als sich darin zu bewegen. Gesteuert wird das Spiel ganz einfach mit Pfeiltasten. Damit bewegt sie der Spieler durch mehrere Levels und erforscht die Erfahrungswelt von Anthropy.
Coming Out Simulator
Nicky Case | 2014
Der Spieler beginnt ein Messenger-Gespräch mit einem virtuellen Alter Ego von Nicky Case. Mit den angebotenen Frageoptionen steuert er das Gespräch und erfährt so nach und nach die Geschichte seines Coming Out gegenüber seinen Eltern.
Dabei gibt es immer wieder längere Passagen, in denen der Spieler sich nicht für einen Gesprächsverlauf entscheiden kann. Oder die drei angebotenen Optionen entsprechen nicht der Richtung, die man dem Gespräch gern geben würde – als Spieler ist man gefangen in der Gesprächsdynamik zwischen dem fiktiven Nicky und seinen konservativen Eltern. Ein Spiel, das sich an der Schnittstelle zur interaktiven Erzählung bewegt.
Medienkritik
Phone Story
Molleindustria I 2011
„Phone Story” hinterfragt mit dem Medium des Smartphone-Spiels die ökonomischen Prozesse hinter der Entstehung desselben. Das Spiel setzt sich kritisch mit den Produktionsbedingungen und dem Ursprung der in Smartphones verarbeiteten Materialien auseinander – eine beunruhigende Kette, die sich rund um den Globus spannt und die sich unter der glatten, glänzenden Oberfläche des Smartphones verbirgt. Exemplarisch wird der Spieler hineingezogen in den Coltanabbau im Kongo, in die chinesischen Fabriken, die über Outsourcing-Verträge die Produktion für die global agierenden Tech-Firmen übernehmen, nach Pakistan, wo Elektroschrott Probleme verursacht und den Konsumrausch nach immer neueren Gadgets im Westen. Der Spieler muss sich mit seiner Komplizenschaft an dieser Kette auseinandersetzten, deren Beweis das Gerät ist, das er gerade zum Spielen in der Hand hält. Mollindustria spendet alle Einnahmen, die mit „Phone Story” generiert werden, an NGOs, die daran arbeiten, die Bedingungen für Arbeiter zu verbessern und die Umweltschäden, die die Handyproduktion mit sich bringt, zu stoppen.
TouchTone
Mike Boxleiter & Greg Wohlwend I 2015
Ursprünglich in einem Game Jam entwickelt, wurden Boxleiter und Wohlwend nach den Enthüllungen von Edward Snowden zusätzlich motiviert, das Spiel für die Veröffentlichung weiterzuentwickeln. Es besticht dabei durch seine sehr simple, abstrakte Grafik im 90er-Jahre-Stil.
Orwell
Osmotic Studios I 2016
Migrationsgeschichten
Papers, Please!
Lucas Pope I 2013
1378(km)
Jens M. Stober I 2010 (Nur Let's Play)
In „1378 (km)“ übernehmen bis zu 16 Spieler_innen die Rolle eines ostdeutschen Grenzsoldaten oder eines Republikflüchtling. Für die Soldaten wird als Zielvorgabe das Erschießen oder Verhaften von „Grenzverletzern“ gegeben. Flüchtlinge dagegen müssen über die Grenzanlagen in die Bundesrepublik entkommen. Als Grenzsoldaten agierende Spieler können das Spiel langfristig nur gewinnen, indem sie den Schießbefehl verweigern.
Trotz der zunächst heftigen Kritik und des Vorwurfs, unsensibel mit einem so ernsten Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte umzugehen, wird das Spiel seit seiner Veröffentlichung in der Gaming Community sehr positiv bewertet: Mittlerweile wurde es mehr als 750.000 Mal heruntergeladen und von Computerbild Spiele und der Welt als eines der besten deutschen Spiele der letzten 25 Jahre ausgezeichnet.
Escape From Woomera
The Escape From Woomera Collective I 2004 (Nur Let's Play)
Das Videospiel „Escape From Woomera“, ebenfalls eine Modifikation von „Half-Life“, widmet sich dem Umgang mit Geflüchteten. Die Spieler_innen schlüpfen in die Rolle von Geflüchteten im australischen Auffanglager Lager Woomera, das wegen seiner unmenschlichen Bedingungen berüchtigt war und nach Protesten und Anschuldigungen wegen Menschenrechtsverletzungen im Jahr 2003 geschlossen wurde. Die Situationen und Charaktere basieren auf realen Vorlagen.
Spieler_innen können versuchen, nachdem ihr Asylantrag gescheitert ist, aus Woomera zu entkommen. Beide Methoden sind extrem schwierig angelegt. Entscheidend für den Erfolg ist das Maß an Hoffnung, das dem Charakter bleibt. Wenn eine Mission, z. B. das Schmuggeln von Nachrichten, erfolgreich abgeschlossen wurde, steigt das Hoffnungslevel. Ohne Hoffnung verliert die Figur ihre Handlungsfähigkeit und sieht sich zunehmenden psychischen Problemen ausgesetzt, die sie bis in den Selbstmordversuch und die anschließende Deportation führen können.
Das Entwicklerteam wollte mit „Woomera“ zum einen Auf die Misstände in den Flüchtlichgslagern hinweisen, zum anderen aber auch zeigen, dass Videospiele genau wie etablierte Medien die Kapazität haben, sich mit diesen Fragen zu Beschäftigen. Ähnlich wie „1378 (km)“ löste dies 2004 eine Welle der Entrüstung in der Öffentlichkeit aus, da den Entwicklern vorgeworfen wurde, das Thema mit einem Spiel zu bagatellisieren. Dabei sind die Inhalte von „Escape From Woomera“ heute, 14 Jahre später, so relevant wie je zuvor.
Machtspiele
Sunset
Auriea Harvey & Michaël Samyn, Tale of Tales I 2015
Das Single-Player-Spiel „Sunset“ setzt sich virtuos mit Partizipation, Handlungsmacht und Klassenunterschieden auseinander. In einem nicht näher benannten lateinamerikanischen Land übernehmen die Spieler_innen die Rolle einer Haushälterin, die jede Woche vor Sonnenuntergang das Appartement eines einflussreichen Mannes aufräumt, während vor den Fenstern in der Stadt eine Revolution tobt.
Während man die Arbeit erledigt, findet man in den Unterlagen des Hauseigentümers immer mehr Informationen über den über den Bürgerkrieg und den das Land regierenden Diktator heraus. Über Tagebucheinträge und Notizen liefern die beiden Hauptfiguren, die sich nie begegnet sind, Informationen und bauen eine Beziehung auf, die der Spieler beeinflussen kann.
Jede Entscheidung verändert das Spiel. Nicht die Geschichte, aber die eigene Rolle darin, so dass die vermeintlich marginalisierte Haushälterin plötzlich eine Schlüsselfigur im politischen Widerstand wird.
Democracy 3
C.P. Harris I 2013
Dabei wird die Verzahnung aller Akteure der Gesellschaft und die Reichweite von politischen Entscheidungen klar: So könnte die gewählte Handelspolitik z.B. das BIP beeinflussen, was sich wiederum auf die Arbeitslosigkeit und dann auf die Armut und Kriminalität auswirkt, was wiederum den Tourismus und letztlich wiederum das BIP beeinflussen könnte.
In Fachkreisen wird „Democracy 3“als eines der besten Gesellschaftssimulationsspiele gelobt, die je geschaffen wurden.
The Westport Independent
Coffee Stain Studios I 2016
„The Westport Independent“ ist ein Simulationsspiel für mobile Endgeräte, dass sich mit der Rolle des Journalismus befasst.
In der Rolle des Chefredakteurs trifft man die Entscheidung, welche Artikel man publizieren und welche Ausrichtung man seiner Zeitung geben soll. Man hat die Wahl zwischen einer regierungskritischen Haltung, der Unterstützung von Staatspropaganda, einem harmlosen Klatschblatt ohne inhaltliche Tiefe oder einer Mischung aus diesen Komponenten.
Die besondere Brisanz: Die Zeitung erscheint in einem autoritären Staat mit rigiden Pressegesetzen. Die Spieler_innen müssen also antizipieren, welche Inhalte die Zensur passieren werden, um Restriktion zu vermeiden, und gleichzeitig ihren journalistischen Standards gerecht werden. Wie viel Selbstzensur ist notwendig, wann wird sie zum Selbstzweck? „The Westport Independent“ gibt einen kleinen Eindruck von den Mechanismen, die auf die Öffentlichkeit wirken.