Lie & Theft as Practice

Lie & Theft as Practice © Darko Dragičević

27.04.-10.05.2020

Online

Phase VI: 27. April – 10. Mai 2020

Der letzte Absatz aus der Beschreibung der vorangegangene Projektphase, in dem die Begriffe Lie und Theft, – zu Dt. Lügen und Stehlen – näher erörtert werden, lautet wie folgt: „Sollten sie auf bereits existierenden Konstrukten basieren, könnten daraus alternative Mittel und Wege hervorgehen, wie Misserfolg, Mitgefühl oder aber unterschiedliche Typen von Verletzlichkeit zur Entwicklung von neuen Widerstandsinstrumenten gegen die Macht des Konsums beitragen können – einer Macht, die von der politischen und wirtschaftlichen Maschinerie erzeugt wird.“
 
Der obige Satz wurde Ende Januar 2020 formuliert. Bereits Ende Februar ist die weltweite Corona-Epidemie ausgebrochen und der Coronavirus hat sich über den Globus ausgebreitet. Viele Menschen haben ihr Leben verloren und die Ungewissheit, in der wir seitdem leben, macht uns, – und zwar im positiven Sinne – erheblich sensibler, als wir es vor der aktuellen Pandemie waren.
 
Jeden Tag werden wir mit Informationen über die Folgen der aktuellen Lage überschüttet, wobei diese „Folgen“ in erster Linie im Kontext der wirtschaftlichen Entwicklung erörtert werden. Die Coronaepidemie hat uns anscheinend endlich dazu gebracht, sich mit einigen Schlüsselaspekten unseres Alltags auseinanderzusetzen und uns noch einmal, womöglich zum allerletzten Mal, die Frage zu stellen, ob wir wirklich weiterhin in einer Welt leben wollen, deren düstere Zukunft uns bereits seit Langem bestens bekannt ist?
 
Wenn es um Lügen und Stehlen geht, habe ich oft den Eindruck, dies wären eigentlich die grundlegenden Werte unserer Gesellschaft von heute. Um sich dessen zu vergewissern, genügt es, die Kultureinrichtungen als Beispiel zu nehmen, z. B. die größten Museen der Welt, bzw. sich ihre Sponsoren-Listen näher anzuschauen. Auf diesen Listen stehen nämlich hauptsächlich große Öl-Konzerne und sogar Konzerne, die in der Vergangenheit an Finanzierung etlicher Kriege beteiligt waren, natürlich in der Hoffnung, diese würden sich positiv auf ihre eigenen Interessen auswirken. 
 
Damit im Blick müssen wir die unvermeidliche Frage nach der Rolle des Einzelnen in solch einer Gesellschaft stellen. Inwieweit haben einzelne Menschen oder Gesellschaftsgruppen, – geschweige denn Minderheiten! – überhaupt noch ein Mitbestimmungsrecht? Und zwar in irgendeinem der Gesellschaftssysteme, die es aktuell auf unserem Planeten gibt? Haben sie überhaupt noch die Kraft, Systeme zu verändern, die sich bereits während des vorigen Jahrhunderts jahrzehntelang entwickelt haben, um dann ihre Entwicklung in diesem Jahrhundert fortzusetzen? Große Konzerne, hinter welchen eine kleine Zahl an Menschen mit einer schier unglaublichen Macht steht, sind in Wirklichkeit diejenigen, die über die Zukunft unseres Planeten entscheiden, und damit auch über die Zukunft aller Lebewesen auf dieser Erde.
 
Meiner Meinung nach hat die Coronaepidemie einen Raum geschaffen, in dem neue Ideen entstehen können, um einen Dialog aufzunehmen, neue Diskurse zu entfachen, und letztendlich auch um die Möglichkeiten zu eröffnen, ein System zu verändern, welches bereits an und für sich schlecht ist, während seine Konsequenzen einfach haarsträubend sind. Es liegt jetzt an uns, den Moment zu ergreifen und die Gelegenheit zu nutzen.
 
Gerade unter solchen Bedingungen ist es besonders wichtig, mit kleinen Schritten anzufangen, ohne dabei das Gesamtbild aus den Augen zu verlieren, und ohne die Rolle des Einzelnen als Teil einer Gemeinschaft außer Acht zu lassen.
 
Die Rolle der Kunst besteht darin, mit ihren Inhalten mit den aktuellen Entwicklungen Schritt zu halten. Darüber hinaus ist es ihre Aufgabe, den Entwicklungen immer einen Schritt voraus zu sein, im Geiste von Joseph Beuys’ Motto: „Jeder Mensch ist ein Künstler“. Nur auf diese Art und Weise kann die Kunst aufhören, ausschließlich elitär zu sein, um durch und durch aktivistisch zu werden.
 
In der Phase VI des Projektes „Lie und Theft as Practice“ werden die 6 Teilnehmerinnen und -teilnehmer statt der ursprünglich geplanten Interventionen im öffentlichen Raum neue Aufgaben definieren, um sich dadurch noch intensiver zu vernetzen, und um ihren kollektiven Körper zu stählen, dies alles natürlich im aktuellen Kontext der Coronaepidemie. Das Ziel dieser neuen Aufgaben besteht vorrangig in Selbstreflexion, Hinterfragung und Kritik. Diese Prozesse werden von Dokumentationsarbeiten begleitet, um dauerhafte Spuren zu hinterlassen, die in der künftigen Gesellschaftsentwicklung das eine oder andere Echo haben könnten. Womöglich als eine Art Sieg oder, ganz im Gegenteil, als eine totale Niederlage – das wird sich noch herausstellen.
 
Am Ende möchte ich diese Einführung in die VI. Projektphase von „Lie und Theft as Practice“ mit einem Zitat von Ann Cotten abschließen, die ich in ihrem Buch „Lather in Haeven“ aus 2016 gelesen habe:
 
„Die Schönheit kann nicht lügen, ohne ihre absolute Existenz zu verlieren. Natürlich könnte man sagen, die Schönheit des Lügens bestünde darin, dass es unser Dasein komplett verändert.“
 
Darko Dragićević

 
Konzept: Darko Dragičević und Zorica Milisavljević
Künstlerische Leitung: Darko Dragičević
Projektmanagerin: Zorica Milisavljević
Zuständiger Institutsleiter: Frank Baumann
Künstlerische Mitarbeit (und Teilnahme am Workshop): Stevan Beljić, Miloš Janjić, Katarina Kostandinović, Lana Pavkov, Dušan Savić, Ana Vuković
Lie & Theft as Practice ist ein Projekt des Goethe-Instituts in Serbien im Rahmen der Platform „Next Generation“.

Lie &Theft as Practice - Projektseite

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