Ausstellung Dejan Atanacković: Deutschstunden

Ö © Dejan Atanacković

Do, 05.09.2019 –
Sa, 28.09.2019

19:30 Uhr

Gradska biblioteka u Novom Sadu, Bibliotečki ogranak "Anica Savić Rebac"

Schaufensterausstellung

 
Ausstellungseröffnung: 05.09.2019 um 19:30 Uhr

Psychodramatische Führung: 21.09.2019 um 14:30 Uhr

Kunstcafé: 27.09.2019 um 20:00 Uhr
Mit Dejan Atacković und Tamara Krstić


Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges setzte in den osteuropäischen Ländern, darunter auch in Jugoslawien, eine mehrjährige Unterdrückung der einheimischen deutschen Bevölkerung ein. Unter dem Vorwand, man möchte durch die eingeleiteten Maßnahmen nur die Komplizen der deutschen Besatzer bestrafen und dazu noch dafür sorgen, dass die Kriegsreparationen im vollen Umfang bezahlt werden, wurden der deutschsprachigen Bevölkerung alle Bürgerrechte entzogen und ihr bewegliches und unbewegliches Eigentum konfisziert. Und dies obwohl die Donauschwaben, auch als Volksdeutsche bekannt, bereits seit dem frühen 18. Jahrhundert dort gelebt und einen großen Beitrag zur kulturellen Entwicklung der Südslawen geleistet hatten, unter anderem im Hinblick auf Werte, Bräuche, Alltagskultur u. v. a. m.
 
In den ersten Nachkriegsjahren wurden die Donauschwaben entweder zu Sklavenarbeitern degradiert, oder aber dazu verurteilt, an Hunger und an Seuchen zu sterben. Wer stark und robust genug zu sein schien, wurde als Zwangsarbeiter in die Sowjetunion verschleppt oder in einem der Arbeitslager auf dem jugoslawischen Boden eingesperrt. Diejenigen, die als arbeitsunfähig eingestuft wurden, wurden dagegen in ein paar donauschwäbische Dörfer zusammengedrängt, wo sie, von Stacheldraht umzäunt, gezwungen waren, monate- oder gar jahrelang ein kümmerliches Dasein zu fristen. Nur im serbischen Teil des Banats sind unter solchen Bedingungen über 60.000 Kinder, Frauen und alte Menschen an Hunger, Typhus oder Dysenterie gestorben. Viele wurden auch auf andere Art und Weise getötet, wofür es bis heute nicht an schriftlichen Beweisen fehlt.
 
Die systematische Tötung und Vertreibung der Donauschwaben aus dem Banat, der Vojvodina und aus ganz Jugoslawien zwischen 1945 und 1948 wurde in der Öffentlichkeit jahrzehntelang kaum diskutiert. Erst seit relativ kurzer Zeit werden vermehrt Forschungsstudien und Zeugenberichte zu diesem Thema veröffentlicht.
 
Die verstärkte Aufmerksamkeit, die dieser vernachlässigte bzw. verdrängte Aspekt der Geschichte in letzter Zeit zu genießen scheint, hat jedoch weder zu einer spürbaren Stärkung des öffentlichen Bewusstseins über die Verbrechen von damals geführt, noch ein authentisches Bedürfnis nach Vergangenheitsbewältigung erzeugt. Das Problem an sich sorgt zwar inzwischen für ein gewisses Interesse, aber die Beschäftigung damit leidet immer noch an alten Schwächen und Fehlern. Es sind in der Region erneut Massenverbrechen verübt worden, auf die schon wieder Verneinung und Selbstbetrug folgten. Besonders beunruhigend ist dabei die fehlende Bereitschaft von kulturellen und politischen „Eliten“, die Verantwortung für das Geschehene zu übernehmen oder den universellen Wert eines jeden Menschenlebens wirklich als unantastbar anzuerkennen.
 
Mit dem Projekt „Deutschstunden“ möchte der bildende Künstler und Buchautor Dejan Atanacković weder einen neuen „Wettstreit“ darüber auslösen, welche Seite die meisten Opfer zu beklagen hatte, noch eine erneute Diskussion über die Gräber der Vorfahren entfachen, wie dies in der 1990er-Jahren im jugoslawischen Bürgerkrieg üblich war. (Wobei nicht unerwähnt bleiben sollte, dass sich die Gräber vieler Vorfahren, obwohl so viele mit patriotischer Inbrunst daran hängen, eigentlich in einem sehr traurigen Zustand befinden, vollkommen vergessen oder vernachlässigt.) Ein solcher Wettstreit über Opferzahlen und eine solche Diskussion über Vorfahren wären heute anachronistisch und vor allem äußerst riskant, da die Kriegsrhetorik der 1990er-Jahre mit ihrer aggressiven Berufung auf Ahnen, Gräbern und  heimische Herde erst seit kurzem überwunden zu sein scheint.
 
Der Künstler blickt deswegen keinesfalls nur auf die Vergangenheit zurück, vielmehr gibt ihm das gewählte Thema einen zusätzlichen Ansporn dafür, sich mit der heutigen Zeit und mit der heutigen Gesellschaft auseinanderzusetzen, darunter auch mit der Angst der Zeitgenossen vor der eigenen Vergangenheit und mit den spezifischen Identitätsformen, die sich inzwischen aus vielen unterdrückten Erinnerungen entwickelt haben.
 
Darüber hinaus setzen sich die „Deutschstunden“ mit der Sprache eines Teils von Atanacković’ eigener Verwandtschaft auseinander. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich für diejenigen unter seinen Angehörigen, die es geschafft haben, nach dem Zweiten Weltkrieg die Internierung im Lager zu überleben, Deutsch sozusagen zu einer Sprache des diskreten Schweigens entwickelt. Nachdem die Mutter des Künstlers vor einiger Zeit damit angefangen hatte, intensiv Deutsch zu lernen, konnte jedoch die deutsche Sprache endlich wieder in die Familie zurückkehren.
 
Die deutsche Sprache – für Atanacković sind es Teile eines parallelen, unausgesprochenen Textes, es ist ein besonderes Schweigen zwischen den Wörtern, ein Schweigen mit seinen eigenen orthographischen, grammatischen und syntaktischen Regeln. Das Projekt „Deutschstunden“ ist diesem vielsagenden Schweigen gewidmet.
 
Aus dem Katalog „Deutschstunden“, Dejan Atanacković, Artget-Galerie Belgrad, 2010​

 
Seit 2009 wurde das Projekt „Deutschstunden“, in unterschiedlichen Kontexten und Formen, in folgenden Stätten vorgestellt: Florenz (Villa Romana, Open Studios, 2009), Belgrad (Artget-Galerie des Kulturzentrums Belgrad, Deutschstunden, 2010), Triest (Magazzini 26, Free Port of Art, 2011), Tirana (Qendra multifunksionale TEN, Social Dialogue and Cultural Policies in the Post-Communist Context, 2014) und Kraljevo (Nationalmuseum, Dejan Atanacković: Nešto poput ogledala, 2014). Seit 2017 gehören bestimmte Segmente der Arbeit „Deutschstunden“ zur Sammlung des Nationalmuseums Kraljevo (Zentralserbien).
 
Dejan Atanacković lebt und arbeitet als Künstler, Autor und Kunstdozent in Florenz. Seit seinem Abschluss an der Accademia die Belle Arti in Florenz 1996 stellt er regelmäßig aus und kuratiert zahlreiche Projekte.
Zwischen 2002 und 2005 arbeitete Atanacković als Kunstdozent an seiner Alma Mater. Seit 2000 unterrichtet er Multimediale Kunst an SACI Florenz, einer Kunstschule mit amerikanischer Akkreditierung. Dort hat er 2014 einen neuen Kurs unter dem Titel „Body Archives“ eingeführt, der sich schwerpunktmäßig mit der Frage von Darstellung des menschlichen Körpers im Laufe der Geschichte auseinandersetzt. Dieses spannende und wichtige Thema wird dabei in Zusammenarbeit mit dem naturhistorischen Museum La Specola sowie mit Unterstützung von Sozialzentren und Zentren für seelische Gesundheit erforscht und unterrichtet.
Von 2005 bis 2010 leitete Atanacković „Outside“, ein Programm für kulturellen und pädagogischen Austausch zwischen Belgrad und Florenz, mit Unterstützung des Belgrader Kultursenats und in Zusammenarbeit mit der Kunsthochschule Belgrad, der Accademia di Belle Arti Florenz und dem italienischen Instituto di Cultura. 2009 reif der Künstler in Zusammenarbeit mit dem Zeitgenössischen Kunstmuseum Belgrad (MSU) ein Projekt unter dem Namen „Initiative für neue Narrative – Das Blick der Anderen“ ins Leben. Dabei handelt es sich um ein Projekt, bei dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mithilfe von „alternativen Führern“ aus verschiedenen marginalisierten Gruppen die Stadt aus einer neuen Perspektive sehen und verstehen lernen.
Dejan Atanacković’ Video- und Audio-Installationen, Fotoserien, Interventionen im öffentlichen Raum wurden bei zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen in Serbien, Italien, Kanada, den USA, Bosnien und Herzegowina, Albanien und in anderen Ländern ausgestellt bzw. ausgeführt. Für sein literarisches Debüt, den Roman „Lusitania“, wurde er 2017 mit dem prestigeträchtigen NIN-Preis für den besten serbischen Roman des Jahres ausgezeichnet.

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