ARRIVAL CITY: ANKUNFTSSTADT

© Anna Venezia
© Anna Venezia

Wie verändert Migration eine Stadt? Wie wirkt sie sich auf die Architektur, die Anordnung von Wohnraum, Dienstleistungen und den öffentlichen Raum aus? Was passiert mit dem städtischen Raum, wenn ihn neu zugezogene Bewohner aus den verschiedensten Ecken der Welt zu nutzen beginnen? Die Ausstellung „Arrival City: Ankunftsstadt“ geht auf die Frage ein, wie sich die Prager postsozialistischen Neubaugebiete, konkret Nové Butovice, Lužiny und Hůrka (also die Südwest-Vorstadt) unter dem Einfluss von Migration aus überwiegend osteuropäischen Ländern verändern. Die Ausstellung, der die Ergebnisse aus einer anthropologischen Untersuchung zugrunde liegen, fängt die zwischen den Plattenbauten sichtbare und unsichtbare Diversität ein und zeigt, dass (und wie) eine Prager Plattenbausiedlung zur Heimat tausender neuer Zugezogener wird.

Die sich mit der Südwest-Vorstadt auseinandersetzende Prager Ausstellung knüpft frei an das deutsche Projekt „Making Heimat: Germany Arrival Country“ an, welches 2016 auf der 15. Architekturbiennale in Venedig präsentiert wurde. Es reagierte auf die Ereignisse von 2015, als fast eine Million Menschen aus dem sich im Krieg befindenden Nahen Osten nach Deutschland kamen, was in der Gesellschaft eine Welle von Reaktionen auslöste. Mit dem Thema bzw. der Flüchtlingskrise und ihren politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen für Deutschland haben sich auch die Fachleute aus dem Deutschen Architekturmuseum beschäftigt und als Ergebnis die Ausstellung „Arrival City“ realisiert, die architektonische Veränderungen in deutschen Städten und Gemeinden durch die Präsenz von Immigranten thematisiert.
Im Anschluss daran haben sich die Ausstellungsmacher in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut dazu entschieden, das Konzept „arrival city“ zu erweitern und neun Zweigstellen des Goethe-Instituts weltweit mit der Bitte anzusprechen, an neun lokalen Ausstellungsversionen mitzuarbeiten. Diese Ausstellungen sollen die Antwort auf die Frage liefern, wie verschieden „arrival cities“ unter abweichenden Bedingungen und in unterschiedlichen Kontexten aussehen können. Die Ausstellung „Arrival City: Ankunftsstadt“, die Sie hier sehen, hören und erleben können, ist die tschechische Antwort auf diese Frage. Sie prüft, wie die Prager Version einer „arrival city“ aussieht und wie das Phänomen Migration das ausgewählte Prager Neubaugebiet verändert.
 
Die Prager „Arrival city: Ankunftsstadt“:

  • Ist ein Nachbarschaftsnetzwerk, ein hybrider Raum, der die Grundideen des sozialistischen Modernismus, Kollektivismus und die Bemühung, eine vereinheitlichende Wohn- und natürliche Umgebung mit individualisierenden, privatisierenden und sich an allgemeiner Freiheit und Bedarf orientierenden post-transfortmationellen Modi des Alltags zu schaffen, in einer globalisierten Stadt miteinander verknüpft.
  • Ist die kontinuierliche Bewegung von Menschen, Dingen, Gedanken. Eine konkrete Bewegungsart ist auch Migration, deren Erscheinungsformen praktisch überall vorkommen: in der Natur, unter Tieren, in der Einrichtung des öffentlichen Raums, bei Konsum und Verbrauch sowie alltäglichen Tätigkeiten, denen der Einfluss der betreffenden Personen, Interessengruppen, Subkulturen und die ethnische Zusammensetzung der Neubaugebiete zugrunde liegt.
  • Ist eine spezifische Assemblage, ein dreidimensionales und sich ständig umgruppierendes Bild, welches einen Raum repräsentiert, dessen überdauerndes Erbe es ist, offen für alle zu sein und  bequemes Wohnen an der Grenze von Anonymität und Kollektivität des städtischen Lebens anzubieten.
  • Ist charakteristisch gesehen eine unsichtbare Vielfalt. Die Diversität des Neubaugebiets kann unserer Aufmerksamkeit auf den ersten Blick entgehen. Eine der wichtigsten Charakteristika des Neubaugebiets ist ein gewisses Maß an Anonymität. Deshalb hat in Nové Butovice, Hůrka und Lužiny eine Kategorie wie ethnische Herkunft einen spezifischen, unauffälligen und unausgesprochenen Charakter. Aus diesem Grund macht es keinen Sinn, die Andersartigkeit überzubetonen, sondern die Formen der Koexistenz verschiedener Variationen des „Anderen“ im Milleu einer modernistischen Stadt. Es zeigt sich, dass es schwierig ist zu entscheiden, welche der lokalen Subjekte und Realien heimisch und welche wiederum „fremd“ sind. Ist eine solche Unterscheidung überhaupt angebracht?
  • Ist keine Siedlung, die sich lediglich über den Einfluss neu Hinzugezogener definieren lässt. Es handelt sich um eine Stadt in (un)sichtbarer Bewegung, deren grundlegende Qualitäten auf ihrer Vielfalt, Zusammensetzung und Zugänglichkeit basieren und die so in erster Linie durch ihre Bewohner umgeformt wird. Die „arrival city“ in Prag lässt sich daher am besten mit folgenden Begriffen beschrieben: wohnen, sich niederlassen, sich Besitz aneignen oder umziehen in die/innerhalb/weg aus der sozialistisch-modernistischen Stadt.

Organisatoren der Ausstellung: Goethe-Institut Tschechien, Anthropictures
Der deutsche Teil der Ausstellung wurde vom Deutschen ArchitekturMuseum (DAM) konzipiert
Kuratoren der Ausstellung: Marie Heřmanová, Michal Lehečka
Künstlerische Gestaltung: Matyáš Trnka
Fotos: Anna Venezia, Barbora Bírová, Michal Lehečka
Koordinatoren der Forschung: Markéta Zandlová, Marie Heřmanová, Michal Lehečka
Studentisches Forschungsteam der Humanistische Fakultät der Karlsuniversität Prag: Zdena Hofmannová, Gabriela Vičanová, Tereza Pecháčková, Jitka Bůžková, Kristýna Tvrdá, Vojtěch Zemánek, Jan Kravka, David Pfann, Michal Divíšek
Dolmetscher: Maria Reznichenko

In Zusammenarbeit mit: Kasárna Karlín, Humanistische Fakultät der Karlsuniversität Prag, Integrationszentrum Prag, Shared Cities: Creative Momentum, Kofinanziert durch das Programm Kreatives Europa der Europäischen Union
 
Unterstützt von: Deutsches ArchitekturMuseum, BMI – Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat