Podiumsgespräch Können Stare das Urheberrecht verletzen?

Di, 15.11.2016

Goethe-Institut

Im Rahmen der Ausstellung "Die Stare singen Kurt Schwitters"

„Die Stare von Hjertøya singen Kurt Schwitters“ ist der Titel der Ausstellung von Wolfgang Müller, in der Vogelkunde auf Dada trifft und das Goethe-Institut erstmals mit der Walther von Goethe Foundation mit Sitz in Reykjavík und Berlin kooperiert

Es war ein Aufenthalt in Prag im September 1921, bei dem der Dada-Künstler Kurt Schwitters von der Lautpoesie seines Kollegen Raoul Hausmann die ausschlaggebende Inspiration für seine „Ursonate“, dem wohl berühmtesten dadaistischen Lautgedicht, erhielt.
Über 70 Jahre später reist der Berliner Konzept-Künstler, Vogel-Liebhaber und Schwitters-Enthusiast Wolfgang Müller auf die norwegische Insel Hjertøya. Eigentlich will er die Hütte fotografieren, in der Schwitters seit 1932 seine Sommer verbrachte. Während der Dokumentation der Überreste von Schwitters Kunstobjekten innerhalb des Häuschens macht Müller allerdings eine überaus kuriose Entdeckung: Die Stare von Hjertøya zwitschern nicht einfach nur fröhlich vor sich hin. Vielmehr erkennt der Künstler im Gesang der Vögel eine Imitation von Schwitters‘ Ursonate. Die Aufnahmen dieser Starengesänge stellt Müller im Jahr 2000 zusammen mit den Fotografien von Schwitters‘ Hjertøya-Merzbau in der Berliner Galerie „Katze 5“ aus.

Eine absurde Wendung bringt ein auf die Berliner Ausstellung reagierendes Schreiben der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs GmbH, die den Nachlass des Dada-Künstlers verwalten. Der Verlag vermutet in den von Müller aufgenommenen Vogelstimmen eine Urheberrechtsverletzung. Müllers Hinweis auf die Schwierigkeit, die betroffenen Stare zum Einstellen der Rezitation des urheberrechtlich geschützten Klangmaterials zu überzeugen, führt schließlich zu einem bemerkenswerten Urteil des Max-Planck-Instituts für Geistiges Eigentum: Da es sich bei den Aufnahmen um Naturgeräusche handelt, ist hier keineswegs von einer Urheberrechtsverletzung auszugehen. Von juristischer Seite steht der Ausstellung sowie der weiteren freien Rezitation der Ursonate durch die folgenden Starengenerationen auf Hjertøya nichts mehr im Wege.

Im Rahmen der Ausstellung “Die Stare von Hjertøya singen Kurt Schwitters“ werden der Berliner Künstler Wolfgang Müller, der Zoologe Frank Steinheimer von der Martin Luther Universität in Halle/Saale und der Ornitologe und Schriftsteller Vít Zavadil eine Diskussion im Grenzbereich von Kunst und Wissenschaft führen, die nicht nur dem Gesang der Stare und ihrer exzellenten Imitationskunst gewidmet sein wird.

Frank D. Steinheimer studierte Biologie, Zoologie und Ökologie an den Universitäten Erlangen und Wien. 2005 promovierte er im Schnittfeld Wissenschaftsgeschichte und Ornithologie an der Universität Rostock. 1994-1998 studentischer Mitarbeiter am Naturhistorischen Museum Wien, 1998-2002 Kustos der Vogelsammlung am Natural History Museum London/Tring, 2002-2004 wiss. Mitarbeiter am Museum für Naturkunde Berlin, 2002-2008 freie Tätigkeit, u.a. für BirdLife International in Myanmar, für das MPI Ornithologie am American Museum of Natural History New York und für Lynx-Edicions Barcelona im Projekt Handbook of the Birds oft he World, seit 2008 Projektleiter und seit 2010 Leiter des Zentralmagazins Naturwissenschaftlicher Sammlungen an der Martin-Luther-Universität in Halle (Saale). Mitglied in verschiedenen Vorständen von wissenschaftlichen Gesellschaften und internationalen Kommissionen.


 

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