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Mach dir deine erste App!

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Tomáš Staník, Foto: © privat

Er sah keinen Sinn im Geldverdienen und wollte die moderne Technologie nutzen, um Blinden und Sehbehinderten zu helfen. „Meinen Erfolg kann ich nicht über die Zahl der Nullen auf meinem Konto definieren, sondern über die Zahl der menschlichen Schicksale, die ich berührt habe“, sagt der App-Entwickler Tomáš Staník. Sein Lebensmotto lautet: „Das Leben ist wie Fahrradfahren. Solange du in die Pedale trittst, fällst du nicht hin.“

Schon während des Studiums arbeiteten Sie in Unternehmen als Software-Entwickler, waren an zahlreichen Projekten beteiligt und nahmen an Wettbewerben teil. Hat sich das gelohnt?

Mit dem Programmieren habe ich im Alter von 17 Jahren angefangen, was in dieser Branche relativ spät ist, also wollte ich so gut es geht mit meinen Altersgenossen gleichziehen. Deshalb wollte ich alles machen, was nur ging. Heute spüre ich allerdings eine gewisse Aversion gegen Wettbewerbe; sie zwingen einen zwar, bessere Leistungen abzuliefern und wirken motivierend, aber oft bringen sie einen vom Weg ab. Im Rahmen des Projektes haben wir nämlich viel Zeit damit verbracht, Präsentationen vorzubereiten, und gerade deshalb haben wir uns das fertige Produkt erst nach mehreren Jahren erarbeitet.

Welchen Nutzen hatte das für die Praxis?

Dank der Teilnahme an dem Projekt habe ich gelernt, den Wert des Programmierens wahrzunehmen. Mir wurde klar, welche Aktivitäten mich weiterbringen und dass es notwendig ist, sich diesen Aktivitäten so viel wie möglich zu widmen – und auf der anderen Seite alles Überflüssige auf ein Minimum zu reduzieren.

Viele IT-Studenten haben kein Interesse an Praktika oder zusätzlichen Aktivitäten. Die meisten verlassen sich darauf, dass sie nach der Uni einen gut bezahlten Job bekommen, weil sie „Mangelware“ sind. Was halten Sie von dieser Einstellung?

Es stimmt, dass es heutzutage nicht schwierig ist, eine gut bezahlte Stelle in der IT-Branche zu finden. Ich kenne aber viele Kollegen, die davon keine Ahnung haben, weil es sie während des Studiums lediglich interessierte, genügend Scheine zu machen, um den Abschluss zu bekommen. Wenn die Studenten die richtigen Fragen stellen würden – beispielsweise welche Wahlfächer man in der Praxis tatsächlich braucht–, dann wüssten sie, was für großartige Möglichkeiten sie haben. Viele meiner ehemaligen Kommilitonen, die sich diese Fragen während des Studiums nicht gestellt haben, arbeiten jetzt in Bereichen, für die gar kein Universitätsabschluss nötig wäre. Andererseits hatte ich einen Kommilitonen, der bereits im dritten Studienjahr ein Praktikum bei Twitter absolvierte. Wir hatten alle die gleichen Möglichkeiten und Chancen, aber nicht jeder hat sie genutzt.

Bereiten die Hochschulen die Studenten in ausreichendem Maße auf die Praxis vor?

Ich bin davon überzeugt, dass das gesamte Bildungssystem vor allem auf der Qualität der Lehrer und Professoren basiert. Die besten Universitäten der Welt wissen das, und deshalb wertschätzen sie ihre Fachleute auch in Form einer entsprechend guten Bezahlung. In der Slowakei sieht das ganz anders aus, und weil die Lehrergehälter niedrig sind, gelingt es den Universitäten nicht, talentierte Leute anzuziehen. Wenn die Hochschulen bereit wären, für qualifizierte Fachleute aus der Praxis Geld in die Hand zu nehmen, dann würden sie nicht nur ihr Image verbessern, sondern auch mehr Studenten anlocken, und diese Studenten wären viel besser vorbereitet auf das reale Leben. Wenn an den Universitäten Leute lehren, die zwar viele Titel haben, aber in dem Bereich, in dem sie unterrichten, niemals richtig gearbeitet haben, dann ist das vermittelte Wissen in der Praxis oft irrelevant.

Was ist das Schwerste, wenn man ein eigenes Startup gründet?

Ein eigenes Unternehmen zu leiten ist eine große Verantwortung und bringt zahlreiche Unannehmlichkeiten mit sich, wie zum Beispiel eine Menge Papierkram. Das schreckt viele Leute ab. Die werden dann lieber Angestellte in einem Unternehmen.

Wie kamen Sie dazu, ausgerechnet Apps für Blinde und Sehbehinderte zu entwickeln?

Während meines Studiums habe ich an einem Projekt teilgenommen, bei dem die Aufgabe darin bestand, etwas zu entwickeln, das die Welt besser macht. Da es in einem höheren Jahrgang einen blinden Studenten gab, schlug unser Professor vor, Smartphones, die bei uns zu der Zeit erst neu auf den Markt kamen, so nutzbar zu machen, dass sie ihm den Alltag erleichtern.

Wer ist ihr Vorbild als Unternehmer? Und was haben sie durch diese frühe unternehmerische Tätigkeit gelernt?

Mein unternehmerisches Vorbild ist Jozef Vodička (trashout.me), weil er ein Mensch ist, der vom ganzen Herzen an sein Projekt glaubt und es nicht wegen des Geldes macht. Mich motiviert insgesamt das Feedback der User – sei es nun positiv oder negativ. Denn dadurch ergibt sich Raum für Verbesserungen. Das Schwierigste als Unternehmer ist es, die Menge an Bürokratie zu verstehen. Das Wichtigste, was ich gelernt habe, ist die Fähigkeit, sich nur auf den wichtigsten Teil eines Projektes zu konzentrieren.

Was würden sie Menschen mit auf den Weg geben, die ein eigenes Startup gründen wollen?

Der erste Schritt ist immer gleich, ob man nun eine eigene Firma gründen will oder eine interessante Stelle sucht. Wenn man noch keine eigene App hat, dann sollte man etwas Einfaches entwickeln und dies gratis zugänglich machen, um so viele User wie möglich zu gewinnen. Wenn man sich dann um einen Job in seiner Traumfirma bewirbt, muss man nur auf die eigene App und die aktuelle Anzahl der Downloads verweisen. Damit macht man sicherlich Eindruck und unterscheidet sich von den Mitbewerbern.

Klára Unzeitigová
Übersetzung: Ivan Dramlitsch

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
Oktober 2014

    Tomáš Staník

    Der Software-Entwickler Tomáš Staník hatte während seines Studiums die Idee, moderne Technologie als Hilfe für Blinde und Sehbehinderte zu nutzen. Er ist Co-Autor eines Navigationssystems und eines Tools zur Entwicklung eines interaktiven Führers für Blinde und Sehbehinderte. Seit Juni 2013 widmet er sich gänzlich der Entwicklung einer mobilen App, die es Blinden erlaubt, durch Video und Lokalisierungen die Sehkraft eines Freundes über eine Distanz hinweg zu nutzen. Die App Remote Assistant funktioniert wie folgt: Im Bedarfsfall (zum Beispiel, wenn er sich verläuft oder irgendwo hin navigiert werden muss) ruft der Blinde einen Freund an, der dann ein Video sieht, das vom Handy des Blinden in Echtzeit übertragen wird. Die zweite Hälfte des Displays zeigt die Position des Blinden auf einer Karte. Somit kann man dem sehbehinderten Freund helfen, auch wenn man kilometerweit entfernt ist. Für die Entwicklung dieser App wurde Tomáš Staník mehrfach ausgezeichnet.

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