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„Ich nähe eine glückliche Welt“

Foto: © Veronika HubkováFoto: © Veronika Hubková
Modedesignerin Veronika Hubková: „Ich möchte so produzieren und leben, dass ich selbst dazu stehen kann.“

Von Buchhaltung über Marketing und Management zur Nähmaschine – diesen Weg schlug Veronika Hubková ein. Dank dieser Richtungsänderung ihres Lebenslaufes begann sie Kleidung zu entwerfen und herzustellen. „Eigentlich habe ich etwas von einer Bohème, einer Träumerin“, sagt die Designerin über sich selbst. Vor allem aber gehe es ihr darum, Freude zu machen. Deswegen spielt für sie auch der ethische Aspekt der Mode eine große Rolle. Sie möchte wissen, wo und unter welchen Bedingungen die Stoffe und Materialien entstehen, mit denen sie arbeitet, und dieses Wissen an ihre Kundinnen und Kunden weitergeben.

Du hast ursprünglich eine wirtschaftliche Ausbildung. Wie kam es dazu, dass du heute Mode entwirfst?

Ich habe schon nach der Grundschule überlegt, Näherin zu werden, weil ich sehr gern Entwürfe gezeichnet habe und es mir Spaß gemacht hat, mit Stoffen zu spielen. Äußere Umstände haben mich aber eher glauben gemacht, dass das Handwerk rückläufig sei, und es deshalb besser wäre, in die Wirtschaft zu gehen und das Nähen nur als Hobby zu betreiben. Als ich dann später an der Wirtschaftsuni in Prag angefangen habe, kam es in unserer Familie zu einem unangenehmen Vorfall. Meine Oma ist schwer krank geworden. Ich hatte eine sehr enge Beziehung zu ihr, und da habe ich auf einmal angefangen, den Sinn des Lebens zu suchen, und mich zu fragen, warum wir eigentlich hier sind. Mir wurde bewusst, dass ich etwas studiere, das ich nie studieren wollte, und dass ich mich sehr auf mein Umfeld konzentriere und auf das, was man von mir erwartet.

Deshalb hast du dich entschieden, zu dem zurückzukehren, was dir schon von klein auf Spaß gemacht hat, und hast mit dem Nähen angefangen?

Genau, und jetzt weiß ich, dass es genau das Richtige ist. Es kommt mir vor, als ob ich meinen Weg schon als Kind gekannt hätte, allerdings habe ich ihn erst später wiedergefunden und musste auch einen kleinen Umweg gehen. Dabei möchte ich die Hochschule, die ich auch abgeschlossen habe, keineswegs verurteilen. Auch wenn ich Meinungen gehört habe, dass das verlorene Jahre gewesen seien, wenn ich jetzt sowieso an der Nähmaschine sitze. Mir hat die Uni den Horizont unglaublich erweitert, ich habe viele interessante Leute getroffen und weiß dank des Studiums auch, wie man richtig rechnet, verkauft oder ein Produkt an den Kunden bringen kann.


War dir der ethische Aspekt deiner Tätigkeit als Modedesignerin schon immer so wichtig Rolle wie heute?

Überhaupt nicht, zu Beginn bin ich nicht einmal auf die Idee gekommen, dass etwas falsch sein könnte. Ich habe mir schöne Klamotten genäht, mit denen ich mich in Schale werfen konnte, es hat mir Spaß gemacht und ich war froh, dass ich für mich selbst nähen konnte. Aber als ich dann festgestellt habe, wie viel die Stoffe kosten, oder gesehen habe, wie aufwändig es ist, einen Schnitt zu kreieren, der auch mehrere Male Waschen übersteht, wurde mir klar, dass ein T-Shirt für 120 Kronen (rund 4, 40 Euro) Unsinn ist. Ich habe dann nach und nach entdeckt, was nachhaltige und „langsame“ Mode ist. Mir wurde bewusst, dass ich aus Stoffen nähe, über die ich nichts weiß, und das einzig Ethische an meiner Arbeit ist, dass ich selbst niemanden ausnutze. Nach einiger Zeit aber wurde ich auch auf die Problematik des textilen Abfalls aufmerksam. Ich stellte fest, dass ich zwar nähe, aber mich überhaupt nicht darum kümmere, wie oft die Kleidungsstücke auch getragen werden.

Wie schwierig war es, die eigenen Zugänge, die Philosophie und die bewährte Arbeitsweise zu ändern?

Ich befand mich in einer Art Karussell und wusste nicht wirklich, wie ich da rauskomme. Es war undenkbar, von einem Tag auf den anderen umzuschalten und zeitlose, schlichte Kleidung aus tschechischen oder zumindest europäischen Stoffen zu nähen. Ich habe sie Schritt für Schritt in mein Angebot eingeführt. Außerdem habe ich alles Bunte und Gemusterte weggelassen und mich auf einfarbige Stücke konzentriert – in Weiß, Grau, Schwarz und Rot. Aber auch das reicht mir immer noch nicht, und ich suche nach einem Weg, um ein Modell zu finden, das überhaupt keinen Schaden anrichtet. In meinem Angebot befinden sich zum Großteil Kleidungsstücke, die aus Textilabfall bestehen. Ich habe auch begonnen, Second Hand Kleidung zu verarbeiten. Wenn ich mir meine Kreationen jetzt ansehe und mit denen vor vier Jahren vergleiche, dann ist wahrscheinlich mein Gesicht auf den Fotos das einzige, was sich nicht verändert hat.

Wie funktioniert die Verarbeitung von Textilabfall und auf welche Besonderheiten musst du dabei Rücksicht nehmen?

Die Ausgaben für das Material sind zwar gesunken, aber auf der anderen Seite verbringe ich viel mehr Zeit damit, überhaupt an Material zu kommen. Außerdem kann ich das Endprodukt nicht gänzlich meinen Vorstellungen anpassen, auch nicht die Farben oder Muster, sondern ich muss zuerst schauen, was ich zur Verfügung habe und dementsprechend kann ich dann entwerfen. Oft nehme ich mir zwei riesige Säcke mit Stoffen und werfe einen Teil davon weg, weil ich Löcher, Flecken oder Laufmaschen finde. Ich denke, ich habe fünf Meter Stoff und im Kopf fange ich schon zu Zeichnen an, überlege, was ich daraus mache, aber am Ende bleiben mir oft nur eineinhalb Meter. Das sogenannte Upcycling erfordert außerdem ein hohes Maß an Kreativität – meiner Meinung nach sogar mehr als das klassische Design.

Du fügst deinen Kleidungsstücken auch eine „Geburtsurkunde“ bei. Was kann man auf der alles finden und warum ist das für dich wichtig?

Ich will, dass die Leute wissen, wofür sie zahlen und dass sie sich entscheiden können, ob sie das Produkt und den Gedanken dahinter unterstützen wollen. Ich wurde schon oft gefragt, warum ein schwarzes Kleid bei mir so teuer ist, wenn Handelsketten es für 300 Kronen (rund 11 Euro) verkaufen. Als ich aber begann die einzelnen Posten aufzulisten, sind die Leute anders damit umgegangen. Der Kunde erfährt, aus welcher Weberei der Stoff kommt, woraus er zusammengesetzt ist und welches Flächengewicht er hat. Dann steht dort auch, woraus sich der Preis zusammensetzt, und die Herkunft sämtlicher verwendeter Komponenten. Außerdem gebe ich an, wie viel Zeit ich mit Nähen verbracht habe, den Preis für die Arbeit und das Material, meine Marge, indirekte Kosten und den daraus resultierenden Preis.


Gehst du überhaupt noch in Läden, um Kleidung zu kaufen, oder nähst du dir schon selbst alles, was du brauchst?

Zu Ketten gehe ich eigentlich nur, um mich über das Angebot und die Preise zu erkundigen. Gekauft habe ich mir dort aber schon lange nichts mehr. Entweder nähe ich mir etwas selbst, oder ich gehe in einen Second Hand Shop, das ist mein großes Hobby. Aber ich verurteile niemanden, der bei Ketten einkauft, weil es nicht die Lösung ist, damit aufzuhören. An erster Stelle sollte man verantwortungsbewusst sein und überlegen, ob man ein T-Shirt dann auch wirklich tragen wird, ob man etwas hat, mit dem man es kombinieren kann, sich das Material anschauen, die Art, wie es genäht ist und mit gesundem Menschenverstand bewerten, ob es länger hält als eine Saison und ob man es gern tragen wird.

Hilft dir jemand beim Nähen?

Erst seit Kurzem habe ich eine Aushilfe, Lenka, und das schätze ich sehr. Vier Jahre war ich nämlich ganz allein mit allem. Es lief immer so, dass ich mir ein Kleidungsstück ausgedacht habe, das Material dafür gesucht und es genäht habe. Dann habe ich es an mir selbst mit dem Selbstauslöser fotografiert, das Foto am Computer bearbeitet und in den E-Shop hochgeladen. Wenn dann Bestellungen eingingen, habe ich alles selbst eingepackt und auf die Post gebracht. Wichtig sind auch die Kommunikation mit den Kunden, Weiterbildung oder das Pflegen meines Blogs. Ich habe aber auf einmal gemerkt, dass ich in einen Stopp-Zustand gekommen bin, in dem ich meine Gedanken selbst nicht mehr weiterentwickeln kann. Dank Lenka habe ich jetzt viel mehr Zeit, vor allem um die Philosophie und Identität meiner Arbeit weiterzuentwickeln.

Du sagst, dass dir noch ein langer Weg und viel Arbeit bevorstehen. Hast du einen Traum oder ein Ziel, das du mit deinen Kreationen erreichen möchtest?

Ich träume von etwas, das auf den ersten Blick mit Mode nichts zu tun. Ich habe meinen Weg gefunden und habe das Gefühl, innerlich ausgefüllt zu sein, und das möchte ich auch allen anderen wünschen. Deshalb bemühe ich mich, die Menschen durch meine Schöpfungen zu inspirieren und sie glücklich zu machen. Ich habe aber auch kleinere Ziele – zum Beispiel möchte ich noch nachhaltiger produzieren und Second Hand Kleidung soll ein wesentlicher Bestandteil meiner Kollektion werden. Auch möchte ich mich dem Schreiben und der ganzheitlichen Aufklärung widmen. Ich möchte auf eine Art und Weise produzieren und leben, dass ich selbst dazu stehen kann, anderen damit Freude mache und allem, was ich tue, einen Sinn geben. Mir gefällt der Gedanke, dass sich der Sinn des Lebens nicht finden lässt, sondern dass man ihn selbst ins Leben bringen muss.

Das Gespräch führte Alice Zoubková.
Übersetzung: Julia Miesenböck
 
Copyright: jádu | Goethe-Institut Prag
November 2016
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Veronika Hubková

Veronika Hubková ist Absolventin der Wirtschaftsuniversität Prag. Schon während ihres Studiums fing sie an, Kleidung selbst zu entwerfen und zu nähen, später machte sie es zu ihrem Beruf. Sie ist sich im Klaren über die negativen Auswirkungen der Modeindustrie und versucht, durch ihre Arbeit so gut es geht gegenzusteuern. Veronika ist eine Vertreterin der sogenannten langsamen und nachhaltigen Mode. So bilden einen Großteil ihres Angebots Kleidungsstücke, die aus Textilabfall hergestellt wurden, wodurch sie auf das weltweite Problem der Überproduktion von Kleidung aufmerksam machen möchte.

www.veronikahubkova.cz

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