Leben

Nahwärme statt Fernwärme

Foto: © SPOTsFoto: © SPOTs
Nachtansicht der Fernwärmeübergabestation Wuppertálska im slowakischen Košice, Foto: © SPOTs

In den Plattenbausiedlungen des slowakischen Košice sind aus Gebäuden des alten Fernwärmenetzes kulturelle HotSPOTs geworden, die von den Anwohnern mit Leben gefüllt werden.

Mehr als die Hälfte der Menschen in der Slowakei lebt in Großsiedlungen am Stadtrand. Aber die heutigen Plattenbauviertel sind längst nicht mehr das, was sie einmal waren. Die soziale Infrastruktur ändert sich, mehr Grünflächen kommen hinzu und es gibt Bemühungen um die Entfaltung eines gemeinschaftlichen Lebens. Ein Beleg dafür ist auch Košice.

Eine Gruppe von Architekten kam in der ostslowakischen Metropole auf die Idee, leer stehende Objekte als Kultur- und Kunsträume zu nutzen: die Gebäude der Fernwärmeübergabestationen. Entstanden in den 1960er und 1970er Jahren, dienten sie ursprünglich zur Verteilung von Heizwärme und Warmwasser. Dank einer neuen Wärmetauschertechnik, die viel weniger Platz benötigt, konnten in den nunmehr ungenutzten Gebäuden kleine Brennpunkte lokaler Kultur entstehen.

Keimzellen für gemeinschaftliches Leben

Filmvorführungen, Theater, Modenschauen, Kreativworkshops, Tanz, Sticken, Inline-Skaten und vieles mehr werden heute in den Räumen von sieben ehemaligen Übergabestationen angeboten. Dabei ist jeder dieser kulturellen SPOTs ist auf bestimmte Aktivitäten spezialisiert. In einem SPOT skatet die Community und sprüht Graffiti, in anderen spielt sie Theater, pflegt einen Gemeinschaftsgarten oder veranstaltet Kreativworkshops.

Bis die SPOTs zum Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens in den vier größten Plattenbauvierteln von Košice werden konnten, war es jedoch ein langer Weg. Einen Raum lediglich zu renovieren, genügte nämlich nicht. Man brauchte auch Menschen, die wussten, wie man Gebäuden eine Seele einhaucht und wie man Bewohner unterschiedlichen Alters anspricht. Es sei eine unglaubliche Herausforderung gewesen, alle Akteure mit einzubeziehen: die Bewohner, Nichtregierungsorganisationen, die Stadt und die Institutionen in den Plattenbauvierteln, sagt die ehemalige Managerin des Projekts SPOTs, Blanka Berkyová.

Zweifler wurden eines Besseren belehrt

Als Košice 2008 zur Kulturhauptstadt Europas für das Jahr 2013 gekürt wurde, begann die Arbeit. Dem Projekt schlossen sich weitere Menschen an. Aus den insgesamt 147 Košicer Übergabestationen wurden sieben ausgewählt, um sie zu SPOTs zu machen. „Gemeinsam haben wir geplant, was wo getan werden soll, mit welchen Künstlern wir zusammenarbeiten und welche Arten von Kunst wir in die Wohngebiete bringen können“, erläutert Blanka Berkyová.


Es begann ein Marathon von Treffen mit Bürgermeistern, Nichtregierungsorganisationen, Plattenbaubewohnern, Architekten und Künstlern. „Am schwierigsten war es wohl, den Menschen zu erklären, was diese Übergabestationen eigentlich sind und was wir dort drin machen werden, wenn sie renoviert sind, und wie sich die Leute dann auch selbst einbringen können“, sagt Blanka Berkyová.

Das Projekt stieß allerdings auch auf Skepsis von Seiten einiger Aktivisten und Journalisten, die nicht recht daran glauben mochten, dass die ehemaligen Übergabestationen auch nach dem Kulturhauptstadtjahr 2013 noch genutzt würden. Denn es ist oft ein Kulturhauptstadtproblem, dass hinterher wieder Tristesse einkehrt. Die Zweifler wurden eines Besseren belehrt, denn die Anwohner füllen ihre kulturellen SPOTs bis heute mit Leben. Und sie ziehen dabei an einem Strang. Die Menschen in Kosice haben durch diese Erfolgsgeschichte einen Impuls bekommen, der ihr Engagement für ihre unmittelbare Umgebung nachhaltig gefördert hat.

Jeder der 7 SPOTs hat einen Mediator. Seine Aufgabe ist es, die Menschen aus der jeweiligen Community anzusprechen, dem Künstler die ersten Kontakte mit den Anwohnern zu vermitteln und bei Bewilligungen von Projekten in der Kommunikation mit den Behörden behilflich zu sein. Aber auch die Vernetzung der bereits existierenden Communitys zu fördern, gehört zu seinem Tätigkeitsbereich.

Raum und Freiheit für künstlerisches Schaffen

„Die Gemeinschaft von Menschen, die heute in den Plattenbauvierteln aufeinandertrifft, ist vielfältig. Sie wird gebildet von Künstlern, jungen Menschen, ja sogar Senioren mit großartigen Einfällen, die sie gemeinsam in die Tat umsetzen“, sagt der derzeitige Manager des Projekts Ján Hološ. Dabei komme es nicht darauf an, ob das Musik, Literatur, Tanz oder Theater ist und ob die Aktivitäten im Innern der SPOTs stattfinden oder im öffentlichen Raum. „Es kommt darauf an, dass unsere gemeinsamen Projekte auch weiterhin den Appetit auf Kultur und Kunst verstärken, dass sie den Mut unterstützen, nicht-traditionelle Kunstformen auszuprobieren und zu erleben, dass sie für die Košicer Satellitenstädte weitere positive Veränderungen mit sich bringen“, so Hološ.

Das Modell der SPOTs trägt erfolgreich zur Entfaltung von Gemeinschaft mit Hilfe von Kunst und Kultur bei. Die renovierten Übergabestationen beleben auch den öffentlichen Raum in ihrer Nachbarschaft und heben so auch das Image der Plattenbauviertel. Sie bieten professionellen und Amateurkünstlern einen riesigen Raum und eine gewaltige Freiheit für ihr künstlerisches Schaffen und wirken so weit über ihre unmittelbare Nachbarschaft hinaus. „Wir alle sind an dem Projektunglaublich gewachsen, und ich bin stolz darauf, dass wir eine große Übergabestationen-Familie geschaffen haben, zu der Anwohner, Wissenschaftler, Künstler, Designer und Musiker gehören, sowohl Leute von hier als auch Ausländer“, ergänzt Blanka Berkyová.

Petra Nagyová
ist Kommunikationsexpertin und Journalistin. Sie arbeitet für die Stiftung Nadácia Pontis und schreibt regelmäßig für die Obdachlosenzeitschrift Nota Bene, die von Menschen in Not in slowakischen Städten verkauft wird.

Übersetzung: Mirko Kraetsch

Juli 2016

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