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Kulturerbe
Wie es entsteht und was es bedeutet

Die an der Lagune gelegene Altstadt von Venedig ist UNESCO-Weltkulturerbe und beliebt bei Besuchern.
Die an der Lagune gelegene Altstadt von Venedig ist UNESCO-Weltkulturerbe und beliebt bei Besuchern. Doch die Stadt leidet auch unter dem Tourismus. | Foto (Ausschnitt): © Adobe

Was ist das eigentlich, Kulturerbe? Wie verändert es unsere Kultur? Und warum bewahren wir es überhaupt? Die wichtigsten Fragen – in Kürze beantwortet.

Von Nadine Berghausen

Was ist Kulturerbe?

Berühmte Bauwerke wie die Würzburger Residenz, aber auch weniger bekannte Stätten, einzigartige Naturerscheinungen und kulturelle Traditionen und Bräuche verdienen laut der UNESCO Schutz und Würdigung. Aus diesem Grund verleiht die UN-Organisation das Prädikat „Kulturerbe“ für ausgewählte Kulturgüter – wenn diese bestimmte Standards erfüllen. Ziel ist es einerseits, kulturelle Vielfalt für die Menschheit zu schützen. Andererseits soll das Kulturerbe Frieden und Völkerverständigung fördern. Länder oder Regionen können mit ihrem Kulturerbe werben und den Tourismus ankurbeln. Sie verpflichten sich aber zugleich, das Kulturgut zu erhalten – insofern ist Kulturerbe auch ein kulturpolitisches Instrument.
Seit 1981 UNESCO-Weltkulturerbe: die Würzburger Residenz Seit 1981 UNESCO-Weltkulturerbe: die Würzburger Residenz | Foto (Ausschnitt): Karl-Josef Hildenbrand © picture alliance / dpa
Im Laufe der Jahre hat sich die Definition von Kulturerbe erweitert. Da die meisten gelisteten Kulturerbestätten in Europa zu finden waren und die UNESCO einen Ausgleich schaffen wollte, hat sie im Jahr 2003 die Kategorie „Immaterielles Kulturerbe“ geschaffen. Dazu zählen lebendige Traditionen wie der Karneval oder das Singen von Arbeiterliedern, die zumeist nicht an nationalstaatliche Grenzen gebunden sind. Darüber hinaus würdigte die UNESCO zuletzt auch häufiger junge Kulturformen, wie etwa den Poetry-Slam. Natürlich gibt es, neben dem offiziell anerkannten Kulturerbe, auch Stätten, die nicht als Kulturerbe eingetragen sind, die aber von den Bürgerinnen und Bürgern als solches angesehen und geschützt werden – wie beispielsweise das Freiburger Münster.

Wem gehört Kulturerbe?

Wenn wir von Kulturerbe sprechen, ist oft von universellem Kulturgut die Rede, das der gesamten Menschheit gehört. Dennoch gibt es – gerade bei Gegenständen und Gebäuden – meist einen konkreten Eigentümer. Meist. Denn über die Frage, wer der rechtliche Besitzer von Kulturerbe ist, wird immer wieder gestritten. Eigentumsdebatten entzünden sich beispielsweise häufig um Objekte aus außereuropäischen Kulturen, die in europäischen Museen ausgestellt sind. Ein prominentes Beispiel ist die Büste der ägyptischen Königin Nofretete auf der Berliner Museumsinsel. Rechtlich ist sie im Besitz Deutschlands, Ägypten meldete aber ebenso Besitzansprüche an. Nun könnte man argumentieren, dass die Königinnenbüste erst durch die Inszenierung im Berliner Museum zum Kulturerbe wurde – und vorher schlicht ein archäologisches Objekt unter vielen war. Ägypten sieht das anders: Für das Land zählt die Herkunft des Kunstwerks.
Die Büste der Nofretete, ausgestellt in Berlin, ist rechtlich im Besitz Deutschlands, aber auch Ägypten erhebt Besitzansprüche. Die Büste der Nofretete, ausgestellt in Berlin, ist rechtlich im Besitz Deutschlands, aber auch Ägypten erhebt Besitzansprüche. | Foto (Ausschnitt): Eventpress Herrmann © picture alliance
Noch einmal anders sieht es beim immateriellen Kulturerbe aus. Hier stellt sich die Frage nach Eigentum in der Regel nicht, denn: Wer kann schon das Recht auf eine Tradition für sich beanspruchen? In der Regel ist es aus diesem Grund allerdings auch schwerer, diejenigen zu benennen, die für den Erhalt des Kulturerbes verantwortlich sind.

Wann und wie entstand die Idee von kulturellem Erbe?

Auch wenn der Begriff der Weltwunder bereits in der Antike entstand – die Idee des Kulturguts kam erstmalig während der Französischen Revolution auf. Um Kunstwerke  zu schützen, die für das nationale Bewusstsein Frankreichs wichtig waren, wurden Archive und Museen gegründet. Aus diesem Gedanken heraus entstand beispielsweise der Louvre in Paris sowie Nationalmuseen in ganz Europa: darunter der Prado in Madrid oder die Londoner National Gallery. Ungefähr zur gleichen Zeit entwickelte sich in Europa zudem ein weiteres „Projekt“, als Staaten begannen, dem Erhalt und der Pflege nationaler Kostbarkeiten einen neuen Stellenwert beizumessen: die Denkmalpflege. Nach den beiden Weltkriegen erschien es noch notwendiger, den Schutz der Kulturgüter zu verbessern. 1954 verabschiedete man die „Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut in bewaffneten Konflikten“, die, anders als die national organisierte Denkmalpflege, als überstaatliche Instanz auf die verheerenden Kriegsverluste reagieren sollte. Laut der Haager Konvention betrifft die Schädigung von wichtigem Kulturgut die gesamte Menschheit und muss international geschützt werden. Auf diesen Gedanken geht auch die Welterbekonvention von 1975 zurück, deren Unterzeichnung die Geburtsstunde der heutigen Welterbeliste darstellt.

Welche Funktionen hat Kulturerbe?

Wenn die UNESCO das Label „Kulturerbe“ vergibt, können Länder oder Städte besser für ihr Kulturgut werben und es entsprechend vermarkten – denn in der Regel sorgen derart ausgezeichnete Stätten bei Touristen für größeres Interesse. Neben diesem attraktiven Aspekt zählt aber vor allem die geschichtskulturelle Dimension: Kulturerbe wird, sowohl für Touristen als auch für Einheimische, als Lernort verstanden. In seiner Stadt ein Kulturgut zu wissen, hat für viele Menschen eine identitätsbildende Funktion. So ist beispielsweise die 1993 im Bosnien-Krieg zerstörte Brücke Stari Most in Mostar ein Symbol für die multiethnische Identität der Bewohner.
Die brasilianische Samba de Roda, ein traditioneller Samba-Rundtanz, gehört seit 2005 zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO. Die brasilianische Samba de Roda, ein traditioneller Samba-Rundtanz, gehört seit 2005 zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO. | Foto: (Ausschnitt) © Rosino (https://www.flickr.com/photos/rosino/6244051631) / CC BY-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/de/)
Über Kulturerbe können sich Gesellschaften vergewissern, wer sie sind, was ihre Geschichte, wie vielfältig ihre Kultur ist. Auch immaterielles Kulturgut spielt dabei eine wichtige Rolle, da es im alltäglichen Leben erfahren und gelebt wird, wenn etwa Feste wie Karneval gefeiert, Gulasch zubereitet oder Kindern Märchen erzählt werden.

Welche Konflikte birgt Kulturerbe?

Gerade weil es eine identitätsstiftende Dimension hat, kann Kulturerbe auch zum Ziel von Zerstörung werden: Es wird in politischen Konflikten zur Angriffsfläche, wenn mit der Vernichtung die Identität seiner Bewohner beschädigt werden soll – wie etwa bei der Verwüstung der antiken Oasenstadt von Palmyra in Syrien. Außerdem kann auch die Ernennung zum Weltkulturerbe politischen Zündstoff bieten: Die Auszeichnung der Altstadt von Hebron als Welterbestätte Palästinas durch die UNESCO sorgte in Israel für Empörung. Nicht die Stätte an sich, sondern die Ernennung wurde hier zum Politikum.
Die jungpaläolithischen Fresken in Lascaux mussten nachgebaut werden, weil der Besucherstrom sie zu zerstören drohte. Die jungpaläolithischen Fresken in Lascaux mussten nachgebaut werden, weil der Besucherstrom sie zu zerstören drohte. | Foto (Ausschnitt): Jean Bernard © picture alliance / Leemage
Ein anderes Problem ist der Tourismus: Manche Orte sind derart beliebt, dass durch den Massentourismus gar der Erhalt der Stätten in Gefahr ist. So geschehen im französischen Lauscaux: Die Höhlenmalereien mussten nachgebaut werden, weil Ausdünstungen der Besucher die jungpaläolithischen Fresken zu zerstören drohten. Auch Bewohner ohnehin beliebter Hotspots wie zum Beispiel Venedig leiden unter den hohen Besucherzahlen – die durch das Prädikat Weltkulturerbe noch steigen. Immer wieder ist auch zu lesen, dem Kulturerbe drohe Musealisierung. Dem möchte die UNESCO aber entgegenwirken. Vor allem das immaterielle Kulturerbe kann hier als positives Beispiel herangezogen werden – schließlich wird es im Alltag der Menschen gelebt, gefeiert und auf diese Weise weiterentwickelt.

Erinnert Kulturerbe auch an dunkle Kapitel der Geschichte?

Bei ihren Auszeichnungen schließt die UNESCO auch Kulturerbe nicht aus, das mit dunklen Kapiteln der Geschichte verknüpft ist. Konkrete Beispiele sind die Ruinen des Genbaku Dome im japanischen Hiroshima, die Gefängnisinsel Robben Island in Südafrika, das Konzentrationslager Auschwitz in Deutschland und weitere Stätten faschistischer Diktaturen in Europa. Sie sollen vor allem als Gedenkstätten und Mahnmal für künftige Generationen geschützt werden. 

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