Nahaufnahme 2016
Trister Rekord – Im Land der armen Kinder

Von zwei Millionen armen Kindern in Deutschland leben über 35.000 im Land Bremen
Foto: Christian Hager (dpa)

Obwohl die Wirtschaft wächst – wenn wir den Statistiken glauben dürfen – erreicht die Entwicklung der Gesellschaft die Schwächsten nicht: Heute gibt es fast zwei Millionen Kinder in Deutschland, die kein unabhängiges Leben führen können.

Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung macht auf eine weitere bittere Tatsache deutlich: In den vergangenen vier Jahren gab es den gravierendsten Zuwachs von Armutsindikatoren bei Kindern im Land Bremen.

Die folgenden Infografiken geben, gestützt auf die Studie, einen Überblick über die Situation in Bremen. Sie basiert auf der Statistik von Familien, die Grundsicherungsleistungen erhalten:
  Infografik Kinderarmut Grafik: Kinderarmut in Bremen © taz.de


Die Grafik zeigt unter anderem: 2015 lebten in Deutschland insgesamt 1.931.474 Kinder unter 18 Jahren in Familien, die Grundsicherungs-leistungen erhalten (so genannten Bedarfsgemeinschaften). In Bremen sind es rund 3.320 Kinder mehr, als noch im Jahr 2011. Das entspricht einer durchschnittlichen SGB-II-Quote von 31,6 Prozent (2011: 28,8 Prozent).

Die Projekt-Managerin Sarah Menne von der Bertelsmann-Stiftung erklärt der taz, dass, in Bezug auf Bremen, ein Indikator besonders herausragt: Die Statistik zeigt, dass zwei Drittel aller betroffenen Kinder bereits seit mehr als drei Jahren in Armut leben. „Das bedeutet, dass sogar mehr Kinder als im deutschen Durchschnitt (57,8 Prozent) lange Zeit in Armut leben“, ergänzt sie. 

Andauernde Armutserfahrungen wirken sich besonders negativ auf die Teilhabe und die Entwicklung von Kindern aus, haben Forscher festgestellt.

Kinderarmut beeinträchtigt Kinder noch bis ins Erwachsenenalter. „Es ist wahr, dass es für Kinder aus armen Verhältnissen alles sehr viel schwieriger ist. Kinder können nicht aus eigener Kraft der Armut entkommen. Deshalb hat die Regierung eine besondere Verantwortung für alle Kinder“, sagt Menne. Das bedeutet, dass die Betroffenen, wenn ihnen nicht jetzt geholfen wird, drohen, für den Rest ihres Lebens auf Hilfe angewiesen zu sein.

Menne erklärt, dass zwar die Landespolitik und das Sozialsystem Bremens sicher eine wichtige Rolle dabei spielen, wie die Lage geändert werden kann. Was aber wichtiger sei, ist, dass das Wohlfahrtssystem für Kinder in ganz Deutschland eine umfassende Neuorganistation bedürfe. 

„Kinder können nicht lediglich als kleine Erwachsene betrachtet werden. Sie haben spezifische Bedürfnisse", stellt Menne klar. Forscher seien im Begriff, ein neues Konzept zu entwickeln, das auf kindliche Bedürfnisse fokussiert. Was brauchen sie um wirklich an unserer heutigen Gesellschaft teilnehmen zu können? Diese Frage sollte der Ausgangspunkt aller Sozialprogramme sein. 

Menne drängt darauf, dass die Regierung Verantwortung übernehmen solle. So habe NRW das Programm „Kein Kind zurück lassen“ zusammen mit der Bertelsmann Stiftung aufgelegt. Aber die Last ist zu schwer, als dass Länder und örtliche Initiativen sie schultern könnten, meint sie. Das gesamtstaatliche System sei reparaturbedürftig. „Wenn nichts getan wird, ist das Risiko hoch, dass Armut sich weiter verfestigt – für Kinder von heute und künftige Erwachsene“, so Menne.