Filmgeschichte
Deutschland, eine Synchronnation

Im Synchronstudio
Im Synchronstudio | Foto (Ausschnitt): © Ula Brunner

Während in den meisten Ländern fremdsprachige Filme im Original mit Untertiteln gezeigt werden, haben die Deutschen eine Vorliebe für synchronisierte Dialoge entwickelt. Doch warum ist das so?

In kaum einem anderen Land ist die Synchronkultur so ausgeprägt wie in Deutschland. Das war nicht immer so: Als in der Anfangsphase des Tonfilms um 1930 internationale Filme übersetzt wurden, war das Publikum von den fremden Dialogstimmen zunächst nicht begeistert. Neben Synchronisation und Untertiteln gab damals noch eine weitere Alternative: die sogenannte Version, also ein möglichst exaktes Remake des Films für die jeweilige Landessprache. Diese Möglichkeiten wurden parallel praktiziert, und die Filmwirtschaft musste herausfinden, welche sich beim Publikum durchsetzen würde.

Von diesen Verfahren war die Untertitelung das in der Herstellung einfachste aber für den Zuschauer anstrengendste, die Version das aufwendigste aber beliebteste und die Synchronisation das umstrittenste. Die Schauspieler mit fremden, „eingeschmuggelten“ Stimmen sprechen zu lassen, kollidierte mit den tradierten Seh- und Hörgewohnheiten. Die zeitgenössische Kritik beschrieb die Synchronisation als „Hexerei“, „Homunculus“, als „Amputation“, bei der auf den „blutigen Stumpf“ eine „künstliche Stimm-Prothese“ aufgeschraubt würde.

Die Synchronisation setzt sich langsam durch

Das Unbehagen vermehrte sich durch die dogmatisch-penible Lippensynchronität dieser frühen Synchronarbeiten. Der Zwang, den Text exakt an die Lippenbewegungen anzupassen, führte zu einer starken Abweichung vom Original und einem hölzernen Deutsch. Von der Fixierung auf die Lippenbewegungen kam man im Laufe der 1930er-Jahre wieder ab. Das Publikum überwand den ersten „Homunculus-Schock“ und fand es immer bequemer, deutsche Dialoge zu hören, statt Untertitel zu entziffern.

Dennoch konnte sich die Synchronisation auch unter der nationalsozialistischen Herrschaft nicht völlig durchsetzen. Zumindest in den Großstädten liefen auch Originalfassungen mit Untertiteln, und Versionen wurden ebenfalls vereinzelt gedreht. Durch das Importverbot für Hollywood-Filme nach dem Kriegseintritt der USA im Jahr 1941 reduzierte sich die Vorführung ausländischer Filme ohnehin auf wenige spanische und italienische Produktionen.

Nicht nur Unterhaltung

Das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen markieren in der Geschichte der Filmsynchronisation den entscheidenden Wendepunkt. Ausschlaggebend für den folgenden Aufschwung waren vor allem zwei Faktoren: Zum einen liefen zunächst ausschließlich US-amerikanische, englische, französische und russische Filme in den Kinos. Zum anderen zeigten die Alliierten ihre Spielfilme nicht nur zur Unterhaltung der Massen, sondern auch zur Re-Education, der Umerziehung und Einübung demokratischer Normen und Werte. Durch diese politisch-gesellschaftliche Funktion erhielt die Übersetzungsfrage wieder oberste Priorität.

Die Adressaten dieser Filmpolitik reagierten auf diese pädagogischen Intentionen reserviert: Die Deutschen gingen nicht ins Kino, um sich belehren zu lassen, sondern um sich von der Nachkriegsmisere abzulenken. Nach jahrelanger deutschnationaler Indoktrinierung sowie Isolierung von der internationalen Kultur verhielten sie sich renitent gegenüber dem „Fremden“, das ihnen vor allem über die Tonspur vorgesetzt wurde. Denn zunächst liefen nur spärlich untertitelte Originalfassungen. Die Alliierten mussten auf diese Empfindlichkeiten reagieren. Sie sahen ein, dass der Kulturtransfer nur mittels Synchronisation zu meistern war. Genau hier, in dieser spezifischen Nachkriegs-Konstellation mit den disparaten Erwartungen von Besatzungsmächten einerseits und Bevölkerung andererseits wurde Deutschlands zur bedeutendsten Synchronnation neben Italien und Spanien.
 

Christoph Cierpka (rechts) in den Rekorder Studios in Berlin Foto (Ausschnitt): © Ula Brunner „Unser Job ist es, nicht aufzufallen“: Synchronregie
Christoph Cierpka sorgt als Regisseur und Autor dafür, dass internationale Filme ins Deutsche synchronisiert werden. Wie macht er das? Ein Blick hinter die Kulissen eines Schattengewerbes.

DAS FREMDE UND DAS VERTRAUTE

Den fremdsprachigen Film mit deutschen Dialogen auszustatten, war nun die ideale Methode, um zwischen „fremd“ und „vertraut“ zu vermitteln. Damit ließen sich die Dissonanzen entschärfen, denn das Publikum war im Kino nicht nur mit Sprachen konfrontiert, die es nicht verstand, sondern auch mit unbekannten Genres und kulturellen Codes – etwa soziale Rollenmuster oder Konfliktlösungen –, die es erst entziffern musste. Dies alles im vertrauten Sound der Muttersprache präsentiert zu bekommen, erleichterte die Rezeption erheblich: Es suggerierte Vertrautheit statt Befremden. Das Gezeigte konnte so leichter an die eigene Lebenswelt andocken.

Etwa seit 1949/50 wurde in Deutschland flächendeckend synchronisiert. Originalfassungen waren von nun an eine Rarität. Für die Deutschen war die Welt, die ihnen von der Leinwand entgegentrat, deutschsprachig. Die Dialoge passten sich geschmeidig und unauffällig an die Mentalität der Nachkriegsgesellschaft an. Peinlich genau beachtet wurde der gesellschaftliche Pakt zur Verharmlosung und Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit, der Kriegsverbrechen und des Völkermords.

Filme aus dem Ausland, die diesen Pakt zu verletzen drohten, wurden in den Synchronateliers entsprechend bearbeitet. Höhepunkt (oder besser: Tiefpunkt) war die 1952 erstellte Fassung von Casablanca (Michael Curtiz, USA 1942), gleichsam eine Sonderausgabe dieses Films für den deutschen Michel: Alle Szenen mit Uniform tragenden Nationalsozialisten wurden herausgeschnitten. Der Film war auf ein plattes Melodram zurechtgestutzt und damit seiner antifaschistischen Botschaft beraubt. In jedem Film der Siegermächte mit Deutschen als „den Bösen“ bekamen diese Figuren eine andere Herkunft. Die mit Uran-Erz handelnden Nazis in Hitchcocks Notorious mutierten zu internationalen Rauschgiftschmugglern, der deutsche Titel lautete Weißes Gift.

Wichtiges Filmisches Ausdrucksmittel

Die Praxis, negativ akzentuierte deutsche Figuren zu eliminieren, findet sich gelegentlich heute noch. Doch die Zeit der kritiklosen Akzeptanz ist vorbei, seitdem durch die Verbreitung der DVD jedem die Originalfassung zugänglich ist. Dies ist ein entscheidender Fortschritt, denn ein Synchronzwang, der auch vor japanischen, indischen und mexikanischen Filmen nicht Halt macht, führt letztlich zu einer kulturellen Uniformität. Viele kulturelle, ethnische und sprachliche Assoziationen eines Films lassen sich nicht adäquat übersetzen.

Zudem ist die Originalsprechweise einer Figur auch ein wichtiges filmisches Ausdrucksmittel. So bequem die Synchronisation auch erscheinen mag: Anderen Kulturen Sprache und Stimme wegzunehmen, verhindert den Kulturtransfer eher, statt ihn zu fördern.
 

Literatur

Thomas Bräutigam, Nils Daniel Peiler (Hrsg.): Film im Transferprozess: Transdisziplinäre Studien zur Filmsynchronisation (Marburger Schriften zur Medienforschung), Schüren Verlag GmbH, 2015


Thomas Bräutigam: Stars und ihre deutschen Stimmen. Lexikon der Synchronsprecher, Schüren Verlag GmbH, 2008