Future Perfect
Von der Bauerntochter zur international erfolgreichen Geschäftsfrau

Rawiya Mohamed, Evelyns erste Schülerin und erfolgreiche Geschäftsfrau.
©Sameh Fayez

Die junge Ägypterin Rawiya erlernt gegen den Willen ihrer Familie das Töpferhandwerk und ihr Mut zahlt sich aus.

Die Schweizerin Evelyne Porret zog in den frühen 60iger Jahren in das ägyptische Dorf Tunis in der Provinz Fayoum, circa 100 km südwestlich von Kairo. Dort eröffnete sie eine Töpferschule, die das Leben der Dorfgemeinschaft nachhaltig veränderte.


Die erste Schülerin


Die Suche nach Porrets erster Schülerin führte uns zu Frau Rawiya Muhammad, die heute eine der berühmtesten Keramikerinnen des Dorfs ist, bereits an lokalen und internationalen Messen teilgenommen hat und als Fünfzehnjährige nach Frankreich reiste, um dort als erste Frau Ägyptens an einer internationalen Keramikmesse teilzunehmen. Rawiya Muhammad erzählt, wie alles begann: „Wir haben als Kinder in den Straßen des Dorfs mit Ton gespielt, daraus Naturgebilde geformt. Evelyne sah das und schlug uns vor, in ihre Schule zu kommen, um Töpfern zu lernen. Für uns Kinder zwischen zehn und zwölf Jahren war das nur eine Fortsetzung des Spielens, also gingen wir alle hin. Irgendwann waren aber unsere Eltern dagegen, weil sie keinen Nutzen darin sahen, dass Kinder mit Ton spielen.“ Rawiya ist die älteste Tochter einer armen Familie. Als ihre Eltern ihr verboten, weiter in die Töpferschule zu gehen, widersetzte sich die junge Rawiya der Entscheidung ihrer Familie und wurde Porrets erste – und damals einzige – Schülerin.

Als Rawiya ins Teenageralter kam, schlug Evelyne ihr eine Reise nach Europa vor, um ihre Produkte auf den dortigen Messen zu präsentieren. Wieder waren die Eltern dagegen, wie Rawiya berichtet: „Auf dem Land heiraten wir jung, Mädchen in meinem Alter wurden schon Mütter. Dass ein Mädchen vom Land ohne elterliche Aufsicht in ein fremdes Land geht, ist etwas, das die Sitten der Gesellschaft, in der ich lebe, untersagen.“ Rawiya lehnte es anfangs ab, zu heiraten. Sie erläutert: „Alle Männer, die mir einen Antrag machten, stellten die Bedingung, dass ich die Töpferei sein lasse, zuhause bleibe und Kinder erziehe. Das war so üblich in meinem Dorf. Aber ich hatte mich selbst in diesem Beruf gefunden. Mittlerweile habe ich mich selbst verwirklicht und auf meinen Erfolg möchte ich nicht mehr verzichten.“

Heiratskandidaten hatten weiterhin keine Chance bei ihr – doch eines Tages lernte sie einen jungen Mann kennen, der ebenfalls Schüler an Porrets Schule war. Gemeinsam entschieden sie, dass die Töpferkunst ihre Einnahmequelle werden sollte und gründeten ihr eigenes Unternehmen für die Herstellung und den Verkauf von Keramiken. Mit den Jahren wurde aus der Bauerntochter aus einer armen Familie eine erfolgreiche Geschäftsfrau.

Rawiya schaut lächelnd auf die Keramikprodukte, die sie am Eingang ihres Hauses in Tunis ausgestellt hat, und sagt: „Meine Familie, die anfangs gegen mein Vorhaben war, hat ebenfalls begonnen, Keramik herzustellen, nachdem sie gesehen hat, wie erfolgreich ich war. Ich habe sie selbst unterrichtet und nun arbeiten sie unter meiner Anleitung.“ An dieser Stelle kehrt Rawiya mit den Gedanken zu ihrer ersten Lehrerin Evelyne zurück, die den Weg dafür ebnete, dass dieses Bauerndorf zu einem Reiseziel für Besucher aus allen Ländern der Welt wurde. Mit einem Lächeln spricht Rawiya über sie: „Evelyne ist wie eine Mutter für mich, die mir den Weg wies. Ich habe 14 Jahre lang in ihrer Schule Keramik hergestellt, bevor ich mich mit meiner Arbeit selbstständig machte. Ich schulde ihr Dank für das, was ich bis heute erreicht habe.“

 
  • Der Eingang zum Dorf Tunis im Regierungsbezirk Fayoum. ©Sameh Fayez

    Der Eingang zum Dorf Tunis im Regierungsbezirk Fayoum.

  • Rawiya Mohamed, Evelyns erste Schülerin und erfolgreiche Geschäftsfrau. ©Sameh Fayez

    Rawiya Mohamed, Evelyns erste Schülerin und erfolgreiche Geschäftsfrau.

  • Rawiya Mohamed, Evelyns erste Schülerin und erfolgreiche Geschäftsfrau in Begleitung ihres Mannes. ©Sameh Fayez

    Rawiya Mohamed, Evelyns erste Schülerin und erfolgreiche Geschäftsfrau in Begleitung ihres Mannes.

  • Eingang zur Keramikschule im Dorf Tunis ©Sameh Fayez

    Eingang zur Keramikschule im Dorf Tunis

  • Keramikschule im Dorf Tunis. ©Sameh Fayez

    Keramikschule im Dorf Tunis.

  • Keramikschule im Dorf Tunis. ©Sameh Fayez

    Keramikschule im Dorf Tunis.

  • Einige der Produkte der Keramikschule von Tunis. ©Sameh Fayez

    Einige der Produkte der Keramikschule von Tunis.

  • Einige der Produkte der Keramikschule von Tunis. ©Sameh Fayez

    Einige der Produkte der Keramikschule von Tunis.

  • Ausstellung mit den Produkten von Rawiya Mohamed. ©Sameh Fayez

    Ausstellung mit den Produkten von Rawiya Mohamed.


Der Wunsch nach Veränderung


Zwei Frauen haben das Schicksal des Dorfs Tunis maßgeblich mitbestimmt: Zunächst war da die Schweizerin Evelyne, die aus Europa nach Ägypten kam und sich für das einfache Landleben entschied, ohne dabei zu ahnen, dass man 50 Jahre später auf sie als den Grund des tiefgreifenden Wandels eines kleinen Dorfs zurückblicken würde; und zweitens Rawiya Muhammad, die für ihre Liebe zur Töpferschule einen Weg fernab ihrer ländlichen Traditionen einschlug, denen zufolge ein Mädchen von zwölf Jahren nur noch zu heiraten hatte und die Pflichten der Frau nicht über die Hilfe des Manns in der Landwirtschaft und die Erziehung der Kinder hinausgingen. Rawiyas Entschlossenheit zu lernen ist heute Grund dafür, dass viele Einwohner des Dorfs ihre Kinder unbedingt in Evelyne Porrets Schule schicken wollen. Der Andrang ist so groß, dass die Organisatoren jedes Jahr unter den Bewerbern eine gewisse Zahl von Kindern auswählen müssen, die für die Ausbildung zugelassen werden. Auch ist die Entschlossenheit Rawiyas der Grund, warum mittlerweile ihre gesamte Familie ihren Lebensunterhalt mit der Töpferei verdient, nachdem sie ursprünglich dem Wunsch ihrer Tochter, aus ihrer Liebe zum Spiel mit Ton eine Karriere zu machen, ablehnend gegenüber gestanden hatte.
 
Dieser Artikel entstand im Rahmen von „Future Perfect“, einem Gemeinschaftsprojekt des Goethe-Instituts, der FuturZwei-Stiftung und der Zeitung al-Qahira.

Für mehr Informationen zum Projekt und weitere Erfolgsgeschichten aus aller Welt, siehe: www.goethe.de/futureperfect

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