Buchpräsentation und Diskussion mit Nadia Kamel Welttag des Buches- “Die Geborene”

„Goethe Salon“


اليوم العالمي للكتاب – "المولوده" Privat
 
Das Buch al-maulūda („Die Tochter“) ist das erste literarische Werk von Nadia Kamel, Regisseurin des aufsehenerregenden Films salaṭa baladī (frz. Titel: salade maison) aus dem Jahre 2009. Der Film erzählt die Geschichte von Nadia Kamels Familie, mit all den unterschiedlichen Familienmitgliedern aus den verschiedensten Ländern. Was sie verbindet, ist ihre persönliche Beziehung zu Ägypten. Auch das Buch widmet sich der Geschichte der Familie, ausgehend von der Biografie der Mutter, Mary Rosenthal. Und auch das Buch hat auf seine Art für Aufsehen gesorgt, indem es den renommierten Preis der Sawiris-Stiftung erhielt. In der Kulturszene gibt es Vorbehalte, vielleicht weil einige das Buch nicht für einen Roman im herkömmlichen Sinne, sondern eher für eine Biografie halten, die Nadia Kamel über ihre Mutter geschrieben hat. Andere finden hingegen, dass das Buch den Preis zu Recht bekommen hat, weil es, ihrer Ansicht nach, alle Merkmale eines dokumentarischen Romans aufweist. Doch der eigentliche Stein des Anstoßes ist die Tatsache, dass Nadia Kamel ihr Buch in ägyptischem Dialekt verfasst hat. Kritiker monieren, der Preis sei an ein Werk verliehen worden, dessen Sprache sie als „gesprochen“, nicht als „geschrieben“ einordnen würden. Über diesen Aspekt wollen wir mit der Autorin diskutieren, wobei sicherlich auch noch weitere Fragen interessant sein dürften.
Wie hat die Autorin ihr Thema ausgewählt und wie ist sie im Laufe der Jahre weiter verfahren?
Was sagt sie zu der Kritik nach der Preisverleihung?
Wie betrachtet und handhabt sie die Literatur und deren Sprache im Gegensatz zu den Ausdrucksmitteln, die ihr als hervorragender professioneller Filmregisseurin zur Verfügung stehen?
اليوم العالمي للكتاب – "المولوده" Privat Ferner sollen auch andere Themen im Zusammenhang mit dem umstrittenen Buch erörtert werden, das mit seinen Einblicken intensiv auf kulturelle und religiöse Vielfalt eingeht. Nadia Kamels Mutter, Mary Rosenthal, deren Leben man hier erzählt bekommt, ist die Tochter eines ägyptischen Juden und einer italienischen Christin. Marys Eltern hatten sich in den 1920er Jahren in Ägypten kennengelernt, wo die beiden auch nach der Heirat lebten. Mary Rosenthal wurde dann mehr oder weniger zufällig Mitglied der kommunistischen Bewegung und des geheimen Widerstands gegen die britische Besatzung, wofür sie mehrmals im Gefängnis landete. Während dieser Zeit des Widerstands verliebte sie sich in den aufrührerischen Journalisten Saad Kamel. Nach der Heirat war sie als Journalistin tätig, engagierte sich für die Belange der Frauen und schrieb darüber. Während dieser ganzen Zeit unterstützte sie ihren Mann, vor allem als dieser Verfolgung und Isolation ausgesetzt war. Sie wurde Mutter, zog zunächst zwei Töchter auf, später dann ihre Enkel.
Zu den positiven Aspekten des Buches zählen die detaillierten Erinnerungen an eine unwiederbringlich verlorene Schönheit, was jedoch nichts mit jener Nostalgie zu tun hat, die Ägypten seit ein paar Jahren heimsucht. Es handelt sich hier nämlich nicht um eine sehnsuchtsbeladene Rückkehr in die Vergangenheit, mit dem Ziel, ein idealisierendes Bild vom Ägypten der 1940er Jahre zu schaffen, sondern vielmehr um eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Träumen der Armen und Elenden, und mittendrin die Protagonistin, die mit dem bewussten Blick der kritischen Betrachterin wahrgenommen hat, was in Ägypten vor 1952 passiert ist. Dabei verweist sie jedoch auch auf Einzelheiten, die der ägyptischen Gesellschaft theoretisch die Gelegenheit geboten hätten, sich anders zu entwickeln.
Das Buch würdigt die Werte des Miteinanders und zeigt dabei vor allem auch den nicht professionellen Autoren, dass im alltäglichen Leben und in wenig beachteten künstlerischen Biografien ein Potenzial steckt, neue Formen des Schreibens zu entdecken. Somit wird man durch das Buch auf eine Technik aufmerksam, die historische Studien inzwischen als „Geschichtsschreibung von unten“ bezeichnen.
Trotz der ausführlichen Hintergrundinformationen über die ägyptische Linke und deren Organisationen setzt das Buch, historisch gesehen, weder beim Gedenken an eine bestimmte Persönlichkeit noch bei der heroisierenden Übertreibung in der Einschätzung der Rolle von Einzelpersonen an. Ebenso wenig nimmt es sich als Rachefeldzug gegen bestimmte andere Personen aus – ein weiterer Aspekt, der al-maulūda zu einem schönen Buch macht, das auf eindrucksvolle Weise zu zeigen vermag, wie Frauen historische Ereignisse darlegen und sich gegen Marginalisierung wehren können.

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