Europäischer Tag der Sprachen
Ins Gespräch kommen

Mehrsprachigkeit ist die Voraussetzung für eine produktive europäische Kultur.
Mehrsprachigkeit ist die Voraussetzung für eine produktive europäische Kultur. | Foto: © treenabeena - fotolia.com

Jedes Jahr am 26. September feiert Europa die Mehrsprachigkeit. Zahlreiche Kulturinstitute beteiligen sich am Europäischen Tag der Sprachen. Doch worum geht es dabei eigentlich?

Wenn Menschen mehr als eine Sprache sprechen, profitiert davon nicht nur jeder Einzelne, sondern die ganze Gesellschaft. Kompetenzen in mehreren Sprachen können das Verständnis für andere Kulturen, aber auch die Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen und sind eine wichtige Voraussetzung dafür, dass einzelne Unternehmen wachsen. Auch bei politischen Zielen wie Völkerverständigung und Demokratieförderung kann Mehrsprachigkeit einen großen Beitrag leisten.

Europa bietet aufgrund seiner sprachlichen Vielfalt die besten Voraussetzungen, um Mehrsprachigkeit zu leben. Nicht nur Sprachen wie Deutsch, Englisch oder Französisch, sondern auch Baskisch, Katalanisch oder Galizisch sind Teil der europäischen Tradition. Um diesen Sprachen Schutz zu gewähren, einigte sich die EU schon im Jahr 1992 auf die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen. Geschützt wird zum einen das Recht, sowohl im privaten Bereich als auch in der Öffentlichkeit eine Regional- und Minderheitensprache zu benutzen. Zum anderen enthält die Charta die Verpflichtung, Gelegenheiten für die Benutzung von Regional- oder Minderheitensprachen zu schaffen oder zu erhalten.

Auch das Europäische Jahr der Sprachen, das 2001 von Europarat und EU organisiert wurde, ist in der Tradition zu verstehen, sprachliche Vielfalt zu fördern und das Erlernen von Sprachen zu ermöglichen. Aus dem Erfolg des Projektes entstand die Idee zu einem Europäischen Tag der Sprachen, der seit 2002 jedes Jahr am 26. September stattfindet und an dem sich Sprach- und Kulturinstitute, Verbände, Universitäten und vor allem Schulen beteiligen.

Sprachkurs in der Straßenbahn

Ob mittels Sprachcafé oder E-Magazin, Schreibwettbewerb oder Radioprogramm, Sprachkurs oder Konferenz – jeder ist eingeladen, die Mehrsprachigkeit Europas an diesem Tag als wertvolle Ressource sichtbar zu machen. Das Europäische Fremdsprachenzentrum des Europarates (EFSZ) in Graz bietet für Veranstaltungen in Europa und weltweit mithilfe seiner internationalen Partner eine Plattform und bündelt alle Informationen auf seiner Website. Als Einrichtung des Europarats, der den Feiertag 2001, im Europäischen Jahr der Sprachen, eingeführt hat, kooperiert das EFSZ auch mit der EU.

Allein 2014 waren mehr als 640 Veranstaltungen registriert und die Website zum Europäischen Tag der Sprachen hatte drei Millionen Zugriffe. „In Graz gab es zum Beispiel eine Sprachenreise durch die Stadt mit dem Sprachenbus mit Sprachkursangeboten von Sprechern der unterschiedlichsten, zum Teil wenig bekannten Sprachen. Dadurch können Menschen ins Gespräch kommen, was sich im besten Fall positiv auf die Lebenswege der Einzelnen auswirkt“, sagt Susanna Slivensky, Vize- und Programmdirektorin des EFSZ. Auch über Europas Grenzen hinweg werde der Europäische Tag der Sprachen aufgenommen, etwa durch Kooperationspartner in Kanada oder Hongkong.

Wunderbare Mehrsprachigkeitsrhetorik

Aber es gibt durchaus auch kritische Stimmen. „Es ist wichtig, dass Bildungsinstitutionen sich an diesem Tag der Bedeutung der Mehrsprachigkeit vergewissern. Doch die Wirkung des Feiertags ist nicht nachhaltig, sondern verpufft leider sehr schnell wieder“, sagt beispielsweise Ingrid Gogolin, Erziehungswissenschaftlerin an der Universität Hamburg und Expertin für Mehrsprachigkeit.

Zwar gebe es, so Gogolin, auf der Ebene der europäischen Politik eine „wunderbare Mehrsprachigkeitsrhetorik“ und in Forschung wie Praxis zahlreiche Einzelinitiativen wie den Forschungsschwerpunkt Mehrsprachigkeit an der Universität Hamburg und das Mehrsprachigkeitsportal der Stadt Manchester. Doch von einer durchgängigen Strategie könne man nicht sprechen. „Solange Politiker in Bayern öffentlich vorschlagen, Türkisch auf Schulhöfen zu verbieten, kann man auch nicht erwarten, dass sich Eltern, die in bevorteilten Stadtvierteln leben, für Mehrsprachigkeit einsetzen. Hier ist der Europäische Tag der Sprachen nur so etwas wie ein Tropfen auf den heißen Stein.“

Englisch dominiert

Tatsächlich zeigen Studien, dass in Europa Wunsch und Realität in Sachen Mehrsprachigkeit noch weit auseinanderklaffen. Schon 2002 hat der Europäische Rat beschlossen, dass jeder EU-Bürger neben seiner Muttersprache zwei weitere Sprachen beherrschen soll. Und in kleinen Ländern wie Luxemburg, Malta oder Schweden ist das auch tatsächlich der Fall. In größeren Ländern sieht das anders aus. Statt der geforderten sprachlichen Vielfalt Europas dominiert hier das Englische als Fremdsprache. Darüber hinaus kommen Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass insgesamt nur die Hälfte aller Europäer überhaupt eine Fremdsprache spricht. Lediglich 42 Prozent aller Kinder und Jugendlichen unter 14 Jahren sagen, dass sie ihre erste Fremdsprache gut beherrschen.

Auch Slivensky sieht noch großen Handlungsbedarf: „Eine wichtige Botschaft ist, dass Englisch allein keine Mehrsprachigkeit ausmacht. Stattdessen müssen wir die Nachbar- und Migrantensprachen einbeziehen. Und obwohl wir wissen, dass Verständigung über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg ein sehr vitaler Aspekt der Kommunikation auf europäischer Ebene ist, hat das Sprachenthema auf höchster politischer Ebene noch nicht die Priorität, die es haben sollte.“ Es bleibt also zu hoffen, dass der Europäische Tag der Sprachen nachhaltig ein neues Bewusstsein für die Bedeutung von Mehrsprachigkeit in Europa weckt.