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Anja Hilling in Barcelona
Übersetzung von poetischer Größe

Schauspieler auf einer Bühne
© Sala Beckett

Die Übersetzung von dramatischen Texten ist eine Kunst, die immer wieder gelingt - so auch bei dem kürzlich in Barcelona aufgeführten Stück „Schwarzes Tier Traurigkeit“ von Anja Hilling. Der von ihr geleitete Workshop mit Simultanübersetzung ermöglicht Kulturverständigung mit großem Potenzial.

Von Meta C. Friedrich

Seit vielen Jahren setzen sich Goethe-Institute weltweit für die Förderung und Übersetzung von Theaterstücken der neuen deutschen Dramatik ein. Die Adaption der Dramentexte in andere kulturelle Kontexte ist immer wieder eine Überraschung und spannend für Zuschauende und Autor*innen. Gesammelt werden die Übersetzungen in der digitalen Theaterbibliothek. So sind übersetzte Stücke für Theaterinteressierte weltweit zugänglich. Stöbern lohnt sich!

Animal Negre Tristesa

Schwarzes Tier Traurigkeit, Massiver Kuss, wie kann ich dich finden, zu mir ziehen und überreden zu bleiben. Die Titel der Stücke von Anja Hilling bleiben im Kopf – und schreien danach, ins Katalanische übersetzt zu werden. Mit Animal Negre Tristesa ist es endlich so weit. Übersetzt von Maria Bosom, wurde das Stück von Januar bis März unter Regie von Julio Manrique in der Sala Beckett aufgeführt. Von der Kritik wurden Inszenierung und Übersetzung gelobt: So beschreibt El País den Text als „Ein Text […] mit erschütternden und zugleich bewegenden Momenten, von großer poetischer Größe“ (Jacinto Antón, El País, 27.01.2022). Die schauspielerische Interpretation des Textes lobt Elia Tabuenca: „Jede Figur erzählt, wie sie diesen Moment erlebt, wie sie atmet, aber friert, wie sie sich nicht bewegen kann, wie der Tod immer näher rückt“ (Elia Tabuenca, Espectáculos BCN, 02.02.22).
Den krönenden Abschluss der Spielzeit bot der Aufenthalt von Anja Hilling in Barcelona mit einem persönlich geleiteten Workshop für fortgeschrittene Dramaturg*innen. Aus Berlin angereist, sprach die Dramaturgin an drei Tagen mit 12 Teilnehmenden über das Schreiben, den Rahmen, die Form. Poetisch kündigte Hilling den Workshop an:

Im Zentrum steht der Rahmen. Die Form, in der ein Stück erscheint oder eine einzelne Szene. Dort kann ein Mensch allein sein oder zu zweit oder mit vielen, nur Stimme, Chor oder fühlender Charakter, streitend, hoffend oder nichts als Theorie, dennoch erschrocken, offen für Veränderung, unermessliche Orte, ein leerer Raum zum Beispiel oder ein Wald oder ein nie gehörtes Wort, tausendmal in den Boden getreten.

Im Zentrum steht der Rahmen: der Theaterworkshop mit Anja Hilling

Ganz nüchtern hingegen beginnt der Workshop. Zunächst werden die Teilnehmenden gebeten, Namensschilder aufzustellen. Es sei altmodisch, gibt Hilling zu, aber helfe ihr, die Personen anzusprechen. Das Ansprechen soll im Verlauf des Workshops noch interessant werden, denn nicht nur Hilling sitzt an der Stirnseite der in U-Form aufgestellten Tische. Neben ihr sitzt Übersetzer und Dramatiker Albert Tola, welcher die schwierige Aufgabe meistert, abstrakte Texte, Gedanken und Worte zu übersetzen und so den Mediator zwischen Anja Hilling und den überwiegend katalanischsprachigen Teilnehmenden bildet.
Die Dramaturg*innen stellen sich nun vor, viele kommen aus dem Theaterbereich, studier(t)en Regie, Kino, szenisches Schreiben, Schauspiel, es gibt aber auch einen theaterbegeisterten Mediziner und eine Übersetzerin. Eins haben alle gemeinsam: Sie haben fünf Sätze zu ihrem aktuellen Textprojekt mitgebracht und lesen diese nacheinander vor. Anschließend stellt Hilling Fragen – eine Teilnehmende bemerkt später: wie eine Psychologin! Sie bringt die Schreibenden zum Nachdenken, rührt sie zu Tränen, lässt sie sprachlos zurück. Doch am Ende bedanken sich alle überschwänglich und die Diskussion im Plenum wird eröffnet. Die Themen der Texte könnten unterschiedlicher nicht sein: Mutterschaft, Tod, Klima, Arbeit, Schuld, Olivenbäume eines Dorfes. Sie alle tragen eine Schwere in sich, der sich die Dramaturg*innen nähern möchten. Sie suchen eine Form. Dabei soll der Workshop helfen. „Wollen wir diesen Schutzraum, oder wollen wir eigentlich schutzlos schreiben?“, fragt Hilling und entlässt die Gruppe in die Pause, in der im Café der Sala Beckett angeregt weiter diskutiert wird.

Den zweiten Tag beginnt Hilling mit einem neuen Gedanken: Wie kann ich mit dem Schreiben überleben - und nicht im wirtschaftlichen Sinne? Hilling hat am Vorabend die Inszenierung ihres Stückes in der Sala Beckett gesehen und bemerkt, sie könne immer noch etwas ihres Anfangsgedankens in dem Stück wieder finden – obwohl dessen Veröffentlichung nun schon 15 Jahre zurück liegt. Ihr Gerüst hält. Nachdem weitere Kurztexte verlesen wurden, gibt es die Aufgabe für den nächsten Tag. Eine Regieanweisung soll geschrieben werden, denn die Regieanweisung stellt Kontakt zu den Personen her, die das Stück einmal lesen werden – egal in welcher Sprache.

Übersetzer*innen, Hände und Füße

Den letzten Workshoptag beginnt Hilling also mit einigen Gedenken zu Regieanweisungen. „Würde ich mir eine Bühne vorstellen, würde ich aufhören zu schreiben“ liest sie und Albert Tola übersetzt. Die formulierten Regieanweisungen eröffnen nun eine neue Ebene zum Verständnis der Texte, man erinnert sich an die fünf Sätze und Szenen manifestieren sich. Währendessen wird eine von einer Teilnehmerin erstellte Kontaktliste herumgegeben. Mit 15 Minuten Verspätung endet der Kurs. Hilling bedankt sich für die Offenheit der Teilnehmenden, einige stellen ihr noch kurze Fragen. Direkt nach dem Kurs wird eine WhatsApp Gruppe erstellt. Die Teilnehmenden verbindet die Hoffnung, dort irgendwann die Premiere ihres Stückes anzukündigen. Man versteht sich – trotz Mix aus deutsch-katalanisch-spanisch-englisch. Die verschiedenen Sprachen sind dank Übersetzer*innen, Händen und Füßen keine Barriere, sondern nur noch mehr Wortschatz, der genutzt werden kann. Ähnlich sieht es bei Theaterübersetzungen aus.
Wir freuen uns, dass Hillings Stück Animal Negro Tristeza vom 23.04.2022 bis zum 20.05.2022 in spanischer Sprache im Teatro Español Madrid aufgeführt wird, und auf alle Übersetzungen, die noch kommen! Sprache ist schließlich auch eine Fassade -  das Gerüst hält.
 

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