„Das freiwillige Jahr“
Die Flucht und der Kater danach

Die Regisseure erforschen eine unausgeglichene Vater-Tochter-Beziehung, mit der sie die Grundthemen von Köhlers Filmen aufgreifen und neu befragen.
Von Miguel Muñoz Garnica
Das freiwillige Jahr beginnt in typischer Ulrich-Köhler-Manier. Die Kamera befindet sich zwischen den beiden Vordersitzen eines Autos und zeigt ein Gespräch zwischen Urs (dem Vater) und Jette (der Tochter) durch Schnitte zwischen Nahaufnahmen hinter ihren Rücken: Schrägansichten, die um neunzig Grad auf der Bildachse variieren. So wird der Konflikt auf der visuellen Ebene offengelegt. Warum der Schnitt anstatt einer einzelnen Aufnahme von der Rückbank aus? Weil beide auf ein Schicksal zufahren, das sich hinter der Windschutzscheibe auftut – Jettes im Titel angekündigtes Freiwilligenjahr –, aber beide schauen jeweils aus einer ganz anderen Perspektive darauf. Kleine Gesten des Vaters, die durch die Kameraführung verstärkt werden, deuten seine autoritäre Persönlichkeit an. Es liegt auf der Hand: Das Freiwilligenjahr dieses Mädchens ist nicht wirklich freiwillig.
Ausbruch
Wie in Köhlers Bungalow (2002) entlädt sich die Spannung dieser aufgezwungenen Situation in einer plötzlichen Flucht der jugendlichen Protagonistin. Im entscheidenden Moment, als sie vor dem Flughafen aus dem Auto steigen, setzt Jette sich wieder hinein und flüchtet mit ihrem Freund ins Ungewisse. In diesem Augenblick kommt der Wagen als Motor für die Handlung erneut ins Spiel. Im Gegensatz zu den statischen Einstellungen am Anfang experimentieren die Regisseure mit Perspektiven und Kamerafahrten, die den Wagen als Raum neu erforschen, in dem sich die kleine Revolution der Liebenden abspielt. So entsteht dieser Ausnahmezustand, den Köhler in seinen Filmen auslotet: alltäglichen Pflichten werden ausgesetzt und lösen Euphorie aus.
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