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„Liebe, D-Mark und Tod“, Cem Kaya
Deutsche Filme auf der Berlinale 2022 (IV)

Filmstil aus „Liebe, D-Mark und Tod“ von Cem Kaya, 2022
Filmstil aus „Liebe, D-Mark und Tod“ von Cem Kaya, 2022 | © filmfaust, Film Five

Eine der erfreulichsten Überraschungen des Festivals war dieser lebendige Dokumentarfilm, der aus der Perspektive der türkischen Musikszene vom jüngsten kulturellen Wandel in Deutschland erzählt.
 

Von Luis Enrique Forero Varela

Der türkische Regisseur Cem Kaya zeigte in der Sektion Panorama Documenta den Spielfilm Liebe, D-Mark und Tod, in dem er sich nach Remake, Remix, Rip-Off: Kopierkultur und das türkische Pop-Kino weiter mit der türkischen Popkultur und ihrer Interaktion mit dem Westen auseinandersetzt. In diesem Fall dient Populärmusik als thematisches Gerüst, um auf den Migrationsprozess der so genannten „Gastarbeiter“ einzugehen – Bürger*innen aus Griechenland, Spanien, Portugal und vor allem der Türkei, die in den frühen 1960er-Jahren in die BRD eingeladen wurden, um als Arbeiter*innen in der wieder aufblühenden Industrie tätig zu sein – sowie auf ihren anschließenden Anpassungsprozess an das soziokulturelle Umfeld der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dies ist die Geschichte eines gesellschaftlichen Wandels, erzählt in Form eines Soundtracks.

Pop-Chronik eines kulturellen Wandels

Kaya teilt seinen Dokumentarfilm in drei Teile und grenzt die Phasen des Migrationsprozesses der türkischen Gemeinschaft mit den drei Begriffen aus dem Titel voneinander ab: Liebe, Geld und Tod. Die erste Phase entspricht dem Exil, dem traurigen Aufbruch der Männer, die in endlosen Zugfahrten von der Türkei nach Hamburg, Frankfurt oder Berlin reisten, und den nostalgischen Melodien, die sie schrieben, Musik, die von der Sehnsucht nach ihren Familien handelte – als Trost angesichts der ungeheuren Einsamkeit in einem unbekannten Land, dessen Sprache sie nicht kannten. Nach und nach baute die migrantische Gemeinschaft eine kulturelle Infrastruktur auf. In Deutschland entstanden kleine Plattenfirmen und es taten sich Künstler*innen hervor, die für die türkische Community in ihrer Muttersprache sangen.

Filmstil aus „Liebe, D-Mark und Tod“ von Cem Kaya, 2022 Filmstil aus „Liebe, D-Mark und Tod“ von Cem Kaya, 2022 | © filmfaust, Film Five

Musik als Katalysator

Das zweite Kapitel befasst sich damit, wie sich dieses Kollektiv in der Gesellschaft der siebziger und achtziger Jahre konsolidierte. Es war die Zeit wirtschaftlichen Aufschwungs und populärer Ikonen wie dem charismatischen Cem Karaca und seiner deutschen Single Die Kanaken (1984), die zu jener Zeit bemerkenswert populär wurde und einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel symbolisierte. Umgebungen wie der Berliner U-Bahnhof Bülowstraße, der quasi zu einem Kulturzentrum umfunktioniert wurde, haben dazu beigetragen, dass die Stadt zunehmend multikultureller wurde.

Das dritte Kapitel des Films mit dem Titel Tod konzentriert sich schließlich auf die 1990er-Jahre und bezieht sich direkt auf den Rassismus und die Fremdenfeindlichkeit, die dieser bikulturellen Gruppe entgegenschlug. Die Frustration junger Deutschtürk*innen der zweiten Generation, die in gewisser Weise als Bürger*innen zweiter Klasse angesehen wurden, ließ eine ausgeprägte Hip-Hop-Szene entstehen, die als Katalysator für ihre Wut und den Wunsch nach Protest diente.

Unabdingbares gesellschaftliches Porträt

Liebe, D-Mark und Tod stellt diese Sänger*innen und Musiker*innen als leidenschaftliche Held*innen vor, die ein halbes Jahrhundert lang das soziale Gefüge bereichert haben. Es gelingt dem Film, nicht nur eine großartige Musik-Dokumentation zu sein, sondern auf dieser Grundlage einen soziologischen Essay über den aufkeimenden und sich konsolidierenden Multikulturalismus zu entwickeln, der Deutschland heute prägt. Ein Film, der jede Etappe mit einer mitreißenden, sinnlichen Neugierde einfängt.

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