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„Alle reden übers Wetter“, Anika Pinske
Deutsche Filme auf der Berlinale 2022 (VI)

Filmstil aus „Alle reden übers Wetter“ von Anika Pinske, 2022
Filmstil aus „Alle reden übers Wetter“ von Anika Pinske, 2022 | © Ben Bernhard/DFFB

Annika Pinskes erster Spielfilm setzt sich am Beispiel der Geschichte eines Akademikers mit fragmentierter kultureller Identität auseinander.

Von Luis Enrique Forero Varela

Alle reden übers Wetter ist eine intelligente und bissige Tragikomödie, die von der fragmentierten kulturellen Identität nach dem Fall des Eisernen Vorhangs aus einer nahezu innerhistorischen Perspektive erzählt. Clara (eine großartige Anne Schäfer), eine Akademikerin, die kurz davor ist, ihre Doktorarbeit fertigzustellen, bestreitet ihren Alltag zwischen dem Philosophiestudium in Berlin und den Vorbereitungen für ihre Doktorarbeit, schreibt Aufsätze und andere wissenschaftliche Arbeiten, wirkt dabei allerdings nicht allzu ehrgeizig oder zielstrebig. Ihre ganze Energie investiert sie in die Universität, obwohl andere Bereiche ihres Lebens nicht davon losgelöst sind: Die zweideutige emotionale Beziehung zu einem Studenten, das schwierige Verhältnis zu ihrer eigenen Tochter, die bei der neuen Frau ihres Ex-Mannes, einer Art Gegenpol zu Clara, lebt.

Filmstil aus „Alle reden übers Wetter“ von Anika Pinske, 2022 Filmstil aus „Alle reden übers Wetter“ von Anika Pinske, 2022 | © Ben Bernhard/DFFB

Der Fall der Mauer als Zeichen des Generationenwechsels

Diese Hartnäckigkeit ist nachvollziehbar im Laufe eines Films, der im Wesentlichen eine Charakterstudie ist. Der bevorstehende Geburtstag der Mutter veranlasst Clara und ihre jugendliche Tochter, in die Heimat ihrer Kindheit zurückzukehren: ein kleines Dorf der ehemaligen DDR im Osten, mit Bauern, einfachen und wenig kultivierten Menschen. In diesem Umfeld, den Antipoden des intellektuellen Snobismus, der im ersten Teil des Films gezeigt wird, offenbart sich die konfliktreiche Identitätskrise der Protagonistin, eine Verachtung der eigenen Wurzeln, hinter der sich jedoch tief im Inneren eine gewisse Sehnsucht nach Zugehörigkeit verbirgt, ein gewisser offener Neid auf das einfache Leben. Das einfallsreiche, auch von Pinske verfasste, Drehbuch, baut in Alle reden übers Wetter eine Fassade aus amüsantem Zynismus und subtilen komischen Elementen, hinter der sich eine tiefe Existenzkrise verbirgt.

Mehr als eine Komödie

Dieser Film scheint auf den ersten Blick fast dem Genre der Campusliteratur bzw. Universitätsfilm zugehörig; ein Umfeld, in dem die akademische Lebensweise und theoretische Forschungsrichtungen nicht über den Druck hinwegtäuschen, in ständigem Wettbewerb zu stehen; eine Welt, der sich die Protagonistin nie zugehörig fühlt, da sie aus einem soziokulturellen Kontext stammt, der den Ärzte- und Professorenfamilien völlig fremd ist. Clara hat das Gefühl, an einem Hochstapler-Syndrom zu leiden, sich ständig hinterfragt und beobachtet zu fühlen, als ob sie ständig Gefahr liefe, als Betrügerin oder große Enttäuschung entlarvt zu werden. Und doch ändert sich der Film nach der Hälfte der Laufzeit und wechselt beinahe das Genre, hin zu einem eher volkstümlichen, alltäglichen Stil. In diesem zweiten Teil können wir so etwas wie die andere Seite des Spiegels sehen, um die Protagonistin in all ihrer Pracht und Dreidimensionalität zu erfassen. Der starke Film von Annika Pinske reflektiert gekonnt das kulturelle Erbe als Identitätsmerkmal.

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