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EU-Agrarreform
Systemwechsel oder alles wie gehabt?

Wenn man es keinem recht machen kann: Agrarreformen rufen nicht nur Klima- und Umweltschützer*innen auf den Plan, sondern lassen regelmäßig auch die Landwirt*innen zu Protestaktionen greifen, wie hier zu Mahnfeuern Anfang 2020.
Wenn man es keinem recht machen kann: Agrarreformen rufen nicht nur Klima- und Umweltschützer*innen auf den Plan, sondern lassen regelmäßig auch die Landwirt*innen zu Protestaktionen greifen, wie hier zu Mahnfeuern Anfang 2020. | Foto (Detail): © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild/Jens Büttner

Die Europäische Union verhandelt ihre gemeinsame Agrarpolitik für die nächsten Jahre. Dabei geht es um viel Geld – und um das Klima. In den bisherigen Entwürfen sieht es nicht so aus, als würden Umweltschutz und kleine Bauernbetriebe signifikant gestärkt.

Von Christiane Grefe

„Zieht die GAP zurück!“ Mit diesem Aufruf forderten junge Klimaschützer*innen Ende 2020, Europas Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) von Grund auf neu zu schreiben. Deren Reform liegt mit dem Trilog zwischen Kommission, Parlament und Mitgliedsstaaten zum Jahreswechsel 2020/21 in der letzten Entscheidungsrunde. Spätestens bis zum Sommer 2021 sollen die Würfel gefallen sein und neue Regeln für die Subventionierung der Landwirte feststehen. Umweltschützer*innen bei einer Demonstration gegen die Agrarindustrie und industrielle Landwirtschaft im Januar 2020. Umweltschützer*innen bei einer Demonstration gegen die Agrarindustrie und industrielle Landwirtschaft im Januar 2020. | Foto (Detail): © picture alliance/Wolfram Steinberg/dpa Dass dabei neben den Naturfreunden auf einmal auch noch junge Klimaschützer*innen mitreden wollten, empörte viele Agrarpolitiker*innen und Bauernlobbyist*innen. Doch spätestens die trockenen Sommer der vergangenen Jahre haben auch einer breiteren Öffentlichkeit gezeigt, wie sehr die Landwirtschaft bei der Erderhitzung zugleich Opfer und Täter ist – und deshalb viel stärker als bisher nachhaltig werden muss.

So mahnte Lisa Neubauer von Fridays for Future, die aktuellen Vorschläge für die Subventionspolitik hielten die Bauern und Bäuerinnen im Dauerkonflikt zwischen Wirtschaftlichkeit und ökologischer Verantwortung gefangen. „Das Denken wird gespalten“, sagte sie und plädierte für einen Systemwechsel. Und so radikal ein solcher Begriff für viele klingen mag: Mit der Forderung, die Agrarhilfen am besten vollständig an Gegenleistungen im Klima-, Wasser- und Artenschutz zu binden, können sich GAP-Kritiker*innen wie Neubauer auf die bedeutendsten wissenschaftlichen Berater berufen.

Es droht der Verlust von Biodiversität

In Deutschland gehören dazu Agrarökonom*innen, Ökolog*innen, der wissenschaftliche Beirat des Landwirtschaftsministeriums für Artenschutz und auch der für Agrarpolitik, ebenso der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltfragen (WBGU). In einer gemeinsamen Stellungnahme warnten überdies gleich drei große Forschungsgremien vor dem folgenreichen Verlust der Biodiversität in Agrarlandschaften: die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften. Sie alle fordern: Wer künftig Geld aus Brüssel erhalten will, soll damit etwas für Blühpflanzen auf dem Feld und die Vielfalt des Bodenlebens tun, das Wohl von Schweinen, Hühnern und Rindern in den Ställen mehren oder Äcker giftfreier und abwechslungsreicher bewirtschaften.
 
Bei all diesen Zielen könnte die GAP eine Menge erreichen, denn es geht um viel Geld. Fast 374 Milliarden Euro werden in den nächsten sieben Jahren in die europäische Landwirtschaft fließen. Diese rund 40 Prozent des EU-Gesamthaushaltes beeinflussen elementar Europas gesamte Agri-Kultur, und die neuen Regeln werden dann mindestens bis zum Jahr 2027 gelten. Umso größer die Enttäuschung bei vielen, dass die bereits weitgehend ausgehandelten Entwürfe noch immer direkte Einkommensstützen und Produktionssteigerungen in den Mittelpunkt stellen.

Mehr Hektar, mehr Geld

Dieses Denken hat eine lange Tradition und hält sich zäh, denn als die GAP 1962 ins Leben gerufen wurde, wollten die zuständigen EU-Politiker*innen vor allem eine sichere Versorgung mit Lebensmitteln gewährleisten. Deshalb verteilten sie Prämien für Mais, Weizen oder Milch. Das war derart erfolgreich, dass „Milchseen“ und „Butterberge“ in den Achtzigerjahren sogenannte Stilllegungsprämien erzwangen. In den Neunzigerjahren wurden dann die Weltmärkte geöffnet, und im neuen Preiswettbewerb konnten Landwirt*innen erneut nur mit Produktionssteigerungen bestehen. Direktzahlungen als Einkommensstützen sollten ihnen Zeit für die Umstellung verschaffen. „Wachse oder weiche“, hieß es, und das wurde trotz Subventionen teuer erkauft: mit Höfesterben, Monokulturen und qualvollen Haltungsbedingungen in einer intensiven Viehwirtschaft.
 
Mitte der Neunzigerjahre rüttelte der EU-Agrarkommissar Franz Fischler erstmals am Gießkannenprinzip der Agrarhilfen. Gegen den Widerstand von Bauernverbänden, Lebensmittelindustrie und Mitgliedsstaaten erreichte der Österreicher allerdings kaum mehr als eine Selbstverständlichkeit: dass Überweisungen aus Brüssel an die Einhaltung des EU-Umweltrechts gebunden wurden. Ab dem Jahr 2000 gab es immerhin einen neuen Geldstrom für Natur und Umwelt in der sogenannten „Zweiten Säule“ – allerdings mit geringen Mitteln. Entschlossener drängte der Rumäne Dacian Ciolos auf ökologische Gegenleistungen für Hektarprämien. Aber auch seine als großer Sprung geplanten Ideen für die Förderperiode ab 2014 endeten als kleiner Schritt: Nationale Regierungen und der konservative Agrarausschuss des EU-Parlamentes verwässerten alle Umweltauflagen bis zur Unkenntlichkeit. Das „Greening“, das einen geringen Teil der Einkommensstützen an Umweltauflagen band, änderte auch nichts daran, dass bevorteilt wurde, wer viel Fläche besaß. Mehr Hektar, mehr Geld.
 
So sind weiterhin große Teile Europas von jener industriellen Landwirtschaft beherrscht, die mit massivem Einsatz von Dünger, Pestiziden und schweren Maschinen hohe Erträge erzielt. Und weiterhin sind überstrapazierte Böden und das Verschwinden von Insekten und Vögeln der Preis, weiterhin verlieren viele Bauernfamilien ihre Existenzgrundlagen – oder die Lust. Gab es 1995 noch mehr als 555.000 landwirtschaftliche Betriebe, waren es 2019 mit 266.000 weniger als halb so viele.

In Mini-Schritten voran

Zwar denken mittlerweile auch Agrarlobbyist*innen an Nachhaltigkeit. Zaghaft gewöhnt man sich an den Gedanken, dass Bauern nicht nur Nahrungsmittel produzieren, sondern auch Landschaft und Klima schützen müssen. Doch der Wandel dürfe nicht zu schnell geschehen, um die Landwirt*innen nicht zu überfordern, argumentiert die Agrarlobby. Vor allem auf ihren Druck hin will die Mehrheit der Mitgliedsstaaten deshalb auch in Zukunft nur 20 Prozent der Direktzahlungen an Umweltvorgaben, sogenannte Eco-Schemes, knüpfen. Das Parlament schlägt immerhin 30 Prozent vor. Auf welchem Niveau auch immer sich die Partner des Trilogs am Ende einpendeln werden: Es ist ein Euphemismus, wenn die Bundeslandwirtschaftsministerin darin bereits den Einstieg in den geforderten Systemwechsel erkennt (auch sie machte sich den Begriff jüngst zu eigen).
 
Sind noch Verbesserungen für Bauern und Umweltschutz zu erreichen? Viele setzen da auf den Vizepräsidenten der EU-Kommission. Frans Timmermans machte seine Befürchtung deutlich, die vorliegenden Vorschläge von Parlament und Mitgliedsstaaten könnten die ökologisch ambitionierteren Ziele des geplanten Green Deals untergraben. Dieses milliardenschwere Förderprojekt der Kommission umfasst neben ehrgeizigen Klimaschutzplänen auch das Programm „From Farm to Fork“ („Vom Hof auf die Gabel“), das landwirtschaftliche Produktion und gesunde Ernährungsweisen miteinander verbinden soll. Timmermans drohte einmal sogar damit, den GAP-Entwurf neu aufzurollen. Doch zumindest bei den letzten Trilogen war die Kommission nicht der stärkste der drei Verhandlungspartner. Kühe auf einem Bio-Bauernhof in Brandenburg: Ökologische Landwirtschaft soll sich wieder lohnen, fordern Umweltschützer*innen. Im neuen GAP-Entwurf ist davon jedoch wenig zu erkennen. Kühe auf einem Bio-Bauernhof in Brandenburg: Ökologische Landwirtschaft soll sich wieder lohnen, fordern Umweltschützer*innen. Im neuen GAP-Entwurf ist davon jedoch wenig zu erkennen. | Foto (Detail): © picture alliance/Maurizio Gambarini/dpa Vor allem zwei Stellschrauben könnten jetzt noch Spielräume für wirkungsvollere Ökomaßnahmen eröffnen. Beide betreffen, was Kritiker*innen als „Renationalisierung“ der Förderpolitik bezeichnen: Denn erstmals soll jeder Mitgliedsstaat für sich beschließen, wie er die Eco-Schemes im Detail ausgestaltet. Damit es keinen Unterbietungs-Wettbewerb in der Union gibt, müsste Brüssel dafür möglichst ehrgeizige Kriterien formulieren, die für alle gelten.
 
Und dann kommt es auf die Regierungen an. Die deutsche Agrarministerin verhandelt bereits mit Landesregierungen, Verbänden und Nichtregierungsorganisationen darüber, wie anspruchsvoll die Öko-Programme hierzulande ausgestalten werden. Und auch wenn, mit Luisa Neubauer gesprochen, wohl kein konsequenter Systemwechsel die „Spaltung des Denkens“ überwinden wird: Es steht zu hoffen, dass sich ökologische Verantwortung für die Landwirt*innen in Zukunft zumindest deutlich leichter und öfter auch wirtschaftlich lohnt.

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