Virtuelle Realität in Spanien
Die Kunst der Immersion

Immersion in die Welt der Insekten von Raiz Media für Google Expeditions.
Immersion in die Welt der Insekten von Raiz Media für Google Expeditions. | Foto: © Raiz Media

Können Sie sich ein Theaterstück vorstellen, deren weiterer Verlauf von Ihren Entscheidungen abhängt? Oder einen Film, der in Ihrer Umgebung spielt? Virtuelle Realitäten (VR) machen dies jetzt möglich. In Spanien widmen sich etwa 20 Unternehmen dieser Kreativbranche.

Wer sich einen Eindruck verschaffen will vom spanischen VR-Sektor, muss sich bewusst machen, dass sich die wichtigsten Branchenakteure an einer Hnad abzählen lassen und sogar eine Whatsapp-Gruppe gemeinsam nutzen. Ihre Mitglieder sind Gestalter, Produzenten, Kreative, Informatiker und Kommunikationsexperten. Die VR wird in Spanien in enger Zusammenarbeit zwischen kleinen und mittleren Unternehmen produziert.

„Es handelt sich um ein sehr stark verknüpftes Ökosystem, in dem alle zusammenarbeiten“, erläutert Xavi Conesa, Leiter des Kundendienstes von VISYON, einem der wichtigsten auf VR spezialisierten spanischen Unternehmen. Conesa zufolge erlebte der Sektor in Spanien 2016 einen Boom. 2014 und 2015 gab es zwar schon einige Unternehmen, die sich irgendwie mit virtueller Realität beschäftigten. Aber 2016 entstanden Hunderte davon. Im September 2016 gab es im VR-Bereich über 150 Unternehmen, laut einer Übersicht über die VR-Branche in Spanien, veröffentlicht von der Website The App Date, die spanische Apps empfiehlt. Es gibt jedoch Zweifel an dieser Zahl: „Im Moment gibt es nur etwa 20 Unternehmen, die den Laden wirklich am Laufen halten”, betont Conesa. Für 2017 erwartet er eine Neuausrichtung.

Marktführer im Content-Bereich

Wie viele spanische Unternehmen zurzeit im VR-Bereich tätig sind, ist also nicht ganz klar. Einfacher ist es dagegen, in Erfahrung zu bringen, woran sie arbeiten. Spanische Unternehmen widmen sich Conesa zufolge vor allem zwei Bereichen der Content-Gestaltung: „Es gibt Unternehmen mit eigenen Produkten, zum Beispiel Future Lighthouse. Andere, wir zum Beispiel, produzieren Content und maßgeschneiderte Lösungen für Kunden in Form von VR-Applikationen oder VR-Erlebnissen.“
 

Das Produktionsstudio Future Lighthouse hat sich auf Immersions-Content spezialisiert. In diesem Spezialgebiet galt es schon immer als Vorreiter. In den vergangenen Monaten nahm seine Popularität allerdings schlagartig zu, weil zwei seiner Produktionen (Melita von Nicolás Alcalá und Snatch VR Heist Experience von Rafa Pavón) zu den 22 Nominierten zählten, die für das Festival von Venedig ausgewählt wurden. Erstmals hatte ein Festival der A-Kategorie eine eigene VR-Sektion. „Die Nominierungen sind wie eine Auszeichnung und Anerkennung der eigenen Branche“, erklärt Roberto Romero, CTO und Gründer von Future Lighthouse. Neben Filmen entwickelt Future Lighthouse immersive Theaterprojekte. Die Zuschauer sind dabei nicht mehr bloß Zuschauer sondern werden Teil der Handlung und interagieren im Theaterraum mit den Schauspielern. „Virtuelle Realität ermöglicht uns, die bisher geltenden Regeln zu brechen“, betont Romero.

Anwendungsmöglichkeiten in verschiedenen Sektoren

Neben interaktivem Kino und Theater, Werbefilmen – dem eigentlichen Branchenmotor – und Unternehmenslösungen bestehen für die virtuelle Realität in Spanien auch Anwendungsmöglichkeiten in anderen Sektoren, etwa im Bildungsbereich. Raíz Media, eines der ältesten spanischen Studios, produziert die „Expeditions“ von Google, eine Art virtuelle Klassenfahrt für Schüler. Die Kinder bewegen sich dabei im Inneren des menschlichen Körpers, beobachten das Leben der Insekten bis ins kleinste Detail oder besuchen das Museum für Naturkunde in Berlin. Das kleine Unternehmen All VR Education hat sich auf virtuelle Realität im Bildungsbereich spezialisiert. Sein Projekt „Emotions VR“ ist ein Immersionserlebnis zur Evaluierung der Emotionssteuerung. Zurzeit befindet es sich noch im Entwicklungsstadium.
Die Computerspielbranche wird praktisch dominiert von den großen internationalen Studios. In Spanien gibt es allerdings einige als unabhängig geltende Studios wie Tequila Works, die auch im Bereich der virtuellen Realität arbeiten. Das Unternehmen ist bekannt, weil es „Rime“ produziert hat, eines der bedeutendsten spanischen Computerspiele der letzten Jahre. Den Wechsel zur virtuellen Realität vollzog Tequila Works mit The Invisible Hours, einem Echtzeitspiel, bei dem man einen Mord in einer viktorianischen Villa aufklären muss.

Realität mit offener Zukunft

Roberto Romero von Future Lighthouse verweist auf die weltweiten Verkaufszahlen: Bei zwei bis drei Millionen Brillen – die Unternehmen veröffentlichen keine genauen Zahlen – und etwa 16 Millionen VR-Geräten für Mobiltelefone kann der VR-Bereich 2019 oder 2020 zum massentauglichen Markt werden, je nachdem, wie sich die Hardware entwickelt und ob es zu einem Mentalitätswandel kommt. „Es geht nicht nur um virtuelle Realität, sondern um Immersionserlebnisse. Die ganzen Abkürzungen [VR, virtuelle Realität, ER, erweiterte Realität und GR, gemischte Realität, eine Kombination aus beidem] bedeuten letztlich, dass wir neue Erlebnisse und neue Bedürfnisse schaffen. Es geht darum, dass Nutzer diese Art von Erlebnissen nicht nur gelegentlich konsumieren, sondern regelmäßig“, erläutert Romero.

2018 wird für die Entwicklung der immersiven Realität besonders interessant, weil neue Geräte für erweiterte Realität auf den Markt kommen. Dann wird sich zeigen, wofür sich die Verbraucher entscheiden: VR, ER, GR oder lieber doch NR (normale Realität).

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