Francesc Abad
Erinnern ist ein kreativer Akt

Francesc Abad | © Claudia Kalász
Francesc Abad | © Claudia Kalász | Foto: © Claudia Kalász

Der katalanische Künstler über seine Beziehung zu Walter Benjamin.

Francesc Abad (Terrassa, 1944) ist ein katalanischer Konzept- und Multimediakünstler. Anfang der siebziger Jahre gründete er, noch unter der Franko-Diktatur, mit anderen eine Künstlergruppe, die sogenannten Grup de Treball, die neue künstlerische Formen mit politischem Engagement verband. 1972 nahm die Gruppe an der Documenta V in Kassel teil. In seiner langen künstlerischen Laufbahn mit Ausstellungen in ganz Spanien und Deutschland hat Francesc Abad sich immer wieder von deutschsprachigen Lyrikern und Philosophen anregen lassen, vor allem aus dem Umkreis der Frankfurter Schule. Walter Benjamin kommt dabei ein ganz besonderer Stellenwert zu.

Francesc Abad, wann hat Ihr Interesse für Walter Benjamin begonnen?
 
Zum ersten Mal habe ich von Benjamin etwas in Marseille gehört, als ich über das Exil in der sogenannten Freien Zone arbeitete. Benjamin hatte dort, wie so viele andere, die sein Schicksal als Flüchtling und Staatenloser teilten, mehrere Wochen auf ein Ausreisevisum in die USA gewartet. Am Anfang stand das ganz starke Gefühl, dass Walter Benjamin etwas mit meiner Biografie zu tun hatte, mit der Geschichte meiner Familie und unzähliger Menschen in meinem Land.
 
Die Thesen „Über den Begriff der Geschichte” scheinen Ihnen besonders wichtig zu sein?

Ich fühle mich bei meinen Projekten dem Gedächtnis der Opfer verpflichtet, seien es die Opfer der Kriege und Diktaturen oder die des Fordismus und der kapitalistischen Globalisierung. In den Essays Walter Benjamins entdeckte ich eine neue Weise, Erinnerung und historisches Bewusstsein zu denken. Besonders interessant finde ich seinen nicht linearen Geschichtsbegriff, die Auffassung, dass wir die Geschichte aus der Gegenwart heraus konstruieren müssen und seine Kritik am blinden Fortschrittsglauben. Benjamin erklärt die historische Erinnerung mit dem Begriff des dialektischen Bilds. Dieses Denkbild blitzt in einem Augenblick des Wiedererkennens auf, bei dem Gegenwart und Vergangenheit in eine flüchtige Konstellation treten. Ich verstehe das auch so, dass man die Vergangenheit aus einem bestimmten Interesse heraus zitieren muss. Ich versuche, all diese Ideen in meiner Arbeit visuell umzusetzen.

Einige Ihrer Installationen beziehen sich auf Benjamins Flucht und Tod.

Ja, aber sogar die Projekte mit stark biografischen Bezügen gehen weit über das biografische Interesse hinaus. Ich denke da an Spuren von 1988.

Francesc Abad: Spuren (Huellas), 1988
Francesc Abad: Spuren (Huellas), 1988 | © Claudia Kalász

Das Stück besteht aus der Fotografie eines anonymen Grabs auf dem Friedhof von Portbou, wo auch Benjamin bestattet wurde, und zwei schwarzen Koffern. Die Koffer sind natürlich eine Anspielung auf die angeblich nach der gescheiterten Flucht durch die Pyrenäen verlorene Aktentasche Benjamins. In Wirklichkeit handelt es sich um Musterkoffer, mit denen ich für eine Textilfabrik von Terrassa Spanien bereist habe. Wie in einem Palimpsest überlagern sich autobiografische Elemente mit historischen und mit der Biografie Walter Benjamins.
 
Auch die Installation Endstation Portbou von 1990/91, die erste in Deutschland gezeigte (Historisches Museum, Frankfurt a.M.), enthielt Elemente einer erfundenen Biografie.
Francesc Abad: Endstation Portbou (La línea de Portbou), 1990/1991
Francesc Abad: Endstation Portbou (La línea de Portbou), 1990/1991 | © Claudia Kalász

Ich betrachte mich weder als Historiker noch als Dokumentar. Mich interessieren die Symbole und die Ikonografie. Die Ausstellung evozierte Orte der Flucht, aber auch Begriffe, die mir wichtig schienen. Um sie darzustellen beauftragte ich eine Spezialwerkstatt in Deutschland mit der Herstellung von Straßenschildern. Sie sollten mit ihrer Schrifttype und der blauen Emaillierung den Straßenschilder zu Benjamins Zeit gleichen. Dabei dachte ich an das Buch Einbahnstraße.
 
Sprechen wir über Ihren Dialog mit den Begriffen.
 
Die ganze Realisierung des Projekts block W.B. Die Idee eines Denkens, das Bilder erzeugt von 2006 basierte auf benjaminschen Begriffen, wie etwa Fragment, Zitat oder offener Prozess. Die strukturelle Grundlage bildeten die 18 Thesen Über den Begriff der Geschichte. Ihnen entsprachen 18 Computer, die Material zu Projekten im Zusammenhang mit Benjamins Person und Philosophie speicherten. Jede Themengruppe stand in Beziehung zu einem Schlüsselsatz aus den Thesen. Gliedernd fungierten Konzepte wie Erinnern und Vergessen – die Flüchtigkeit des Vergangenen – Spuren – Passagen – die Geschichte der Opfer – Schmerz – Zivilisation und Barbarei – Fortschrittskritik – utopische Überschreitung. Es ging mir darum, all dies neu zu überdenken. Nicht ohne Grund formten die Tische mit den Bildschirmen eine Spirale, eine sowohl für Benjamin als auch für mich äußerst wichtige Figur, denn sie stellt eine nicht lineare, offene Erfahrungsform dar.

Francesc Abad: Tagebuch W.B. (Diario W.B.), 2000/2001
Francesc Abad: Tagebuch W.B. (Diario W.B.), 2000/2001 | © Claudia Kalász
Ich widme ihr ebenfalls eins der fünf Blätter aus meinem Zyklus Korrespondenzen von 2012, der sich an grafischen Elementen in fünf Manuskripten Walter Benjamins inspiriert. Der Titel ist Labyrinth – Spirale. Was sich im Innern einer Spirale befindet, kann mit der Außenwelt in Berührung kommen. Darum verbinde ich diese Figur mit meiner Arbeit und mit meinen Erinnerungen.

Der Text basiert auf Gesprächen mit Francesc Abad. Ein detaillierterer autobiografischer Rückblick, Meine Wege zu Walter Benjamin erschien in der Zeitschrift La Maleta de Portbou Nr. 6, Juli/August 2014. Die vollständige Version davon findet sich auf der Website Abad – Benjamin. Korrespondenzen.

 

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