Geschlechtsspezifische Gewalt
Femicide / Femizid / Feminizid: Sprechen wir über dasselbe?

Feminicidio
Goethe-Institut

In allen Kontexten, Ländern und Regionen ist es relevant, die vielfältigen Formen der machistischen Gewalt gegen Frauen sichtbar zu machen, einschließlich der Fälle, in denen sie schließlich ermordet werden. Dies ist kein Hindernis für die Erkenntnis, dass die Morde an Frauen nicht überall auf die gleiche Weise geschehen und auch die Reaktionen der Behörden nicht gleich sind.  Es ist wichtig, diese Unterschiede wieder zu erkennen und sich daran zu erinnern, dass Feminizide an vielen Orten, wie zum Beispiel in Mexiko und anderen Ländern Lateinamerikas, weiterhin straffrei bleiben.

Von Patsilí Toledo Vásquez

Anlässlich des 8. März, organisierte das Goethe-Institut Barcelona ein Gespräch zum Thema Femizid/Feminizid, bei dem die Erfahrungen von Aktivistinnen und Wissenschaftlerinnen aus Mexiko, Chile/Spanien und Deutschland ausgetauscht wurden. Dabei, wie auch in so vielen anderen Gesprächen, wurden die Unterschiede in den Kontexten, in denen politische Konzepte wie Femizid und Feminizid angesiedelt sind, und die Schwierigkeiten, sie in andere Kontexte zu übersetzen oder zu importieren, deutlich. 

Die feministische Verwendung des Begriffs Femicide geht auf das Jahr 1976 zurück, als Diana Russell den Ausdruck verwendete, um den frauenfeindlichen Mord an Frauen durch Männer zu bezeichnen. Es war jedoch vor allem jener Artikel, den sie zusammen mit Jane Caputi nach dem Massaker von Montreal 1989 geschrieben hat, der diesen Gedanken vor allem in Lateinamerika auf eine neue Reise brachte.

Lateinamerikanische Feministinnen haben das Konzept des Femicide seit den frühen 1990er Jahren aufgegriffen und weiterentwickelt, wobei in Übersetzungen sowohl der Begriff Femizid als auch Feminizid verwendet wurde. In mehreren Ländern - wie Costa Rica, Honduras, Chile und Argentinien - wurde der Begriff des Femizids verwendet und erweitert. Zum Beispiel wurden Begriffe wie "vernetzter Femizid" (in Argentinien) oder "femizidale Bestrafung" (in Chile) von feministischen Organisationen entwickelt, um auch sexistische Verbrechen einzubeziehen, bei denen das Leben von Menschen, die der angegriffenen Frau nahe stehen, meist ihre Kinder, genommen wird.

Einer der wichtigsten Beiträge zu dieser begrifflichen und politischen Ausarbeitung findet sich jedoch in der Entwicklung des Wortes Feminizid, um die Verbrechen mit der Verantwortung des Staates zu verbinden. Die mexikanische Anthropologin Marcela Lagarde benutzte das Wort Feminizid (und nicht Femizid), um zu betonen, dass diese Verbrechen nicht nur frauenfeindlich waren, sondern auch ungestraft blieben. Der Hinweis auf die Straflosigkeit und damit auf die staatliche Verantwortung ist ein zentrales Element bei der Anprangerung von Feminiziden, insbesondere in Mexiko und Mittelamerika. Lagarde und viele andere Aktivistinnen prangerten die Frauenmorde als "Staatsverbrechen" an und die Verantwortung des Staates stand im Mittelpunkt des Interesses internationaler Organisationen, die sich zum Beispiel zu den paradigmatischen Fällen von Frauenmord in Ciudad Juárez, Mexiko, äußerten. Das Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Campo Algodonero verurteilte den mexikanischen Staat gerade dafür, dass er seinen Verpflichtungen bei der Prävention, Untersuchung und Bestrafung solcher Verbrechen nicht nachkam.

Der hohe Grad an Koordination der lateinamerikanischen feministischen Bewegung, der sich u.a. in den seit den 1980er Jahren alle drei Jahre stattfindenden "Feministischen Treffen" und der Existenz lateinamerikanischer feministischer Netzwerke in verschiedenen Bereichen ausdrückt, ist im Zusammenhang mit Gewalt besonders deutlich geworden. So ist es kein Zufall, dass feministische Organisationen bereits 1990 ein Netzwerk gegen Gewalt an Frauen in Lateinamerika und der Karibik gründeten und dass der erste spezifische internationale Vertrag gegen Gewalt an Frauen auf diesem Kontinent verabschiedet wurde (die Konvention von Belém do Pará 1994), mehr als 15 Jahre bevor ein ähnlicher Vertrag in Europa verabschiedet wurde. Bereits 2001 wurde die erste kontinentale Kampagne "Für das Leben der Frauen: keine ermordete Frau mehr" durchgeführt, die sich auf die Morde an Frauen konzentrierte und Anlass zu Untersuchungen und Studien in verschiedenen Ländern gab.

Das wachsende Interesse und die Sichtbarkeit dieser Verbrechen haben neben anderen Faktoren dazu geführt, dass Femizid oder Feminizid als spezifisches Verbrechen in fast zwanzig lateinamerikanischen Ländern eingestuft wird. Diese Gesetze, auch wenn sie unterschiedlich sind, haben Femizid/Feminizid "einfach" als ein Verbrechen neu verortet, das von bestimmten Angreifern an bestimmten Opfern begangen wird, wobei jeglicher Hinweis auf staatliche Verantwortung oder Fahrlässigkeit entfällt.

Einige europäische Länder, wie Großbritannien und Deutschland, verwenden den Begriff Femicide im Sinne von Diana Russell, der derzeit von verschiedenen Initiativen auf globaler Ebene geteilt wird. Einige europäische Länder, wie Italien und Spanien, haben jedoch den Begriff Feminizid aufgrund der internationalen Sichtbarkeit der in Mexiko und anderen Regionen berichteten Verbrechen sowie des Einflusses der lateinamerikanischen feministischen Theorie und des Aktivismus in verschiedenen Ländern übernommen.

Die Verwendung des Begriffs Feminizid in Europa sowie die Typifizierung solcher Verbrechen in Lateinamerika (als Synonym für Femizid) haben jedoch dazu beigetragen, den politischen Gehalt dieses Ausdrucks zu schwächen. Wenn Fälle von Feminizid nicht mehr als Vorwürfe gegen den Staat, sondern als geschlechtsbezogene Morde an Frauen (also als Femicide oder Femizid) verstanden werden, geht ihr spezifischer politischer Gehalt verloren. Für die Staaten, die von der internationalen Justiz als verantwortlich für die Straflosigkeit von Femiziden identifiziert wurden, ermöglicht die Einstufung von Femizid als "gewöhnliches Verbrechen", den Fokus der Aufmerksamkeit von der staatlichen Verantwortung auf die spezifischen Verbrechen zu verlagern.

In allen Kontexten, Ländern und Regionen ist es wichtig, die vielfältigen Formen von männlicher Gewalt gegen Frauen sichtbar zu machen, einschließlich der Fälle, in denen sie am Ende ermordet werden. Das ist kein Hindernis, um zu erkennen, dass die Morde an Frauen nicht an allen Orten auf die gleiche Weise geschehen und auch die Reaktionen der Behörden nicht die gleichen sind.  Es ist wichtig, diese Unterschiede wieder zu erkennen und sich daran zu erinnern, dass Feminizide an vielen Orten, wie zum Beispiel in Mexiko und anderen Ländern Lateinamerikas, weiterhin straffrei bleiben.
 
 
 

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