„Im Schatten“, Thomas Arslan
Auf der anderen Seite der Fensterscheibe

Filmstill aus „Im Schatten“ von Thomas Arslan, 2010
Filmstill aus „Im Schatten“ von Thomas Arslan, 2010 | © Schramm Film, ZDF / 3sat

Der sechste Spielfilm des deutschen Regisseurs ist ein Thriller, für den er die scheinbar unbedeutendsten und alltäglichsten Seiten Berlins als Kulisse gewählt hat.
 

Von Miguel Muñoz Garnica

Eine fast zweiminütige Standaufnahme führt den Film ein. Das regnerische, dämmrige Abbild einer Straße im Zentrum Berlins. Das gebrochene Licht, die Spiegelungen im Vordergrund und der gedämpfte Klang deuten an, dass unser Blick auf dieses alltägliche Szenario der Stadt durch eine Fensterscheibe fällt. Dann die Gegenaufnahme: In der nächsten Einstellung, jetzt draußen, sehen wir Trojan (Mišel Matičević), den kriminellen Protagonisten, von der anderen Seite der Fensterscheibe hinausschauen. Unser Blick in der vorherigen Aufnahme war seiner, und bald  wird uns klar, dass diese Positionierung in Bezug auf den städtischen Raum grundlegend ist, um Im Schatten zu verstehen. Wie der Titel schon andeutet, basiert Arslans Film auf der Dualität zwischen einem nichtssagenden, ja man könnte sagen, für das Kino ungeeigneten Berlin und einer Übung im Thriller-Genre. Kriminelle Netzwerke, die im Schatten der städtischen Routinen verborgen liegen.
 

Ein unscheinbares Setting

Es überrascht nicht, dass diese lange Eröffnungseinstellung wie der Beginn eines ruhigen und beobachtenden Autorenfilms erscheint, der im Prinzip das genaue Gegenteil eines Thrillers ist. Aber Arslan, der immer behauptet hat, er wolle einzig und allein einen guten Genrefilm machen, zeigt uns, wie falsch diese Gegenüberstellung ist. Die Schauplätze, immer reale Orte – Autowerkstätten, Fastfood-Restaurants, Hotelflure... –, sind gerade wegen ihrer Vertrautheit wirkungsvoll, weil ständig angedeutet wird, dass man an jeder unbedeutenden Ecke unserer Straßen in ein Verbrechen verwickelt werden kann. So verändert sich unsere bis dahin unverrückbare Sicht auf diese Orte, sobald wir die Dinge wie Trojan von der anderen Seite der Fensterscheibe aus betrachten.

Filmstill aus „Im Schatten“ von Thomas Arslan, 2010
Filmstill aus „Im Schatten“ von Thomas Arslan, 2010 | © Schramm Film, ZDF / 3sat

Ein stiller Mann

Zugunsten dieser Vertrautheit spielt Arslan geschickt mit den filmischen Mitteln: wiederholte Panorama-Ansichten für die Beschreibung des Raumes, die Vorliebe für eine kontrastarme Low-Key-Beleuchtung sowie eine lineare und trockene Montage, die mit der Entwicklung Trojans Hand in Hand geht. Letzterer dient zudem als weiterer Schlüssel zu Im Schatten. In der Tradition von Der eiskalte Engel  (Jean-Pierre Melville, 1967) konstruiert der Regisseur einen von Psychologismen entleerten Protagonisten, dessen einziges dringendes Ziel es ist, an Geld zu kommen. Der gesamte Film baut daher auf der kontinuierlichen Beobachtung seiner Handlungen in den wenigen Tagen zwischen seiner Entlassung aus dem Gefängnis und jenem Zeitpunkt auf, an dem er einen Raubüberfall auf einen Geldtransporter organisiert. Und obwohl die Genre-Elemente – Schießereien und Schlägereien – nach und nach auftauchen, zeigen die meisten Szenen ein Umherstreifen, Begegnungen und endlose Autofahrten. In dieser Hinsicht symbolisiert die Prägnanz, mit der diese Szenen geschnitten sind, deutlich den Charakter von Trojan, einem leidenschaftslosen und akribischen Charakter. Eine Figur wie der namenlose  „Samurai“ in Melvilles Film, der sich nur durch seine Bewegungen auszudrücken vermag.

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