Ethischer Konsum
Nachrichten von der Front

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© Goethe-Institut Italien | Illustration: Caterina Laneri

Vor einiger Zeit habe ich mich mit zwei netten Menschen unterhalten. Mit Federica Tessari, leitender Redakteurin bei „Scomodo“ und Expertin für Zivilrecht und soziale Themen, und Stefano Liberti, Journalist und Schriftsteller mit Schwerpunkt Umwelt und Lebensmittelversorgung. Ich versuchte, die vielen Fragen zu klären, die mir durch den Kopf gehen. Statt Antworten zu finden, hatte ich am Ende mehr Fragen als zuvor, aber das ist genau das Schöne an solchen Gesprächen.

Von Gabriele Magro

Ethischer Konsum?

Diese lokalen Kämpfe können im Verborgenen bleiben, weil die Beteiligten in der Regel keine Freunde mit entsprechendem professionellem Hintergrund – in den Medien, in der Regierung und in der Wissenschaft – haben, die helfen könnten, die Aufmerksamkeit auf ihre Arbeit zu lenken. Das trägt zu der Illusion bei, dass der Umweltschutz eine Domäne der Mittelschicht ist.“

Sowohl Federica als auch Stefano kaufen regional, dennoch stimmen sie mit mir überein, dass ethischer Konsum eine Herkulesaufgabe, ja beinahe eine Utopie darstellt. Gleichzeitig ist es nicht in Ordnung, diesen Umstand als Ausrede zu verwenden. „Die Nachfrage nach Informationen zu ethischem Konsum steigt“, meint Stefano, der darüber auch ein Buch geschrieben hat (Il grande carrello, Laterza). Aber Bio plus Bewusstsein sind noch kein ethischer Konsum. Es bleiben da zwei Kämpfe, die wir zu führen haben: einen im Zusammenhang mit der Kaufkraft (ethisch bedeutet teuer, das ist schließlich kein Geheimnis) und einen Kulturkampf.
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Erklär das mal meiner Oma

Viele so genannte green Jobs sind für ungelernte Arbeitskräfte und Menschen aus der Arbeiterklasse keine Option. Mainstream-Umweltbewegungen könnten Menschen aus der Arbeiterklasse dabei unterstützen, ein gesünderes Arbeitsumfeld zu finden, aber das war bisher im Allgemeinen nicht ihr Ziel. (...) Marktbasierte und individuelle Antworten, vom Austausch von Glühbirnen über den Emissionshandel bis hin zu patentierbaren ‚Technological Fixes‘, haben den öffentlichen Diskurs über Lösungen für Umweltprobleme dominiert. Diese Strategien haben nur minimale Auswirkungen und nur geringe, wenn überhaupt irgendeine, Bedeutung für Menschen aus der Arbeiterklasse.“

Karen Bell

Wenn ich ein bisschen mehr Geld in der Tasche hätte, wäre ich bereit, Fleisch durch pflanzliche Produkte zu ersetzen. Probiert mal Veggie-Burger, die sind echt gut. Fakt ist, dass eine Packung mit zwei Stück drei Euro kostet. Ich verstehe, dass wir Fleisch dringend durch nachhaltige Produkte ersetzen müssen, aber meine Oma tut das nicht. Erklär ihr mal, wieso ich zwei Burger aus gepresstem Gemüse gekauft habe, die vierzig Euro das Kilo kosten. Da haben wir ihn, unseren Kulturkampf. Er besteht darin, jenen Menschen diese Dringlichkeit zu vermitteln, die nicht immer die kulturellen Voraussetzungen mitbringen, um die Situation verstehen zu können. Federica ist Journalistin und in meinem Alter. Sie habe ich gefragt, wie uns ein konstruktiver Dialog mit den Boomern gelingen kann (sind wir denn wirklich besser als sie?).

Graustufen

Wenn wir über Umweltaktivisten sprechen, denken wir an Menschen wie Greta Thunberg, die 16-jährige Umweltaktivistin aus Schweden, die durch das Internet berühmt wurde. Wir denken nicht an Aktivisten wie Isra Hirsi, die für Flint, Michigan, gekämpft hat, um Zugang zu sauberem Wasser zu bekommen. Wir denken nicht an die 14-jährige Autumn Peltier, eine indigene kanadische Aktivistin, die für den Schutz des Wassers und den Schutz der Rechte der Ureinwohner kämpft.“

Die Schwierigkeit der Kommunikation hat den Kampf für die Umwelt zu einer Generationenfrage gemacht. Das ist nicht gut, denn die GenZ ist von Natur aus eine zynische und politisch desillusionierte Generation (was man ihr kaum verdenken kann). Es wäre wichtig, eine generationenübergreifende Plattform zu schaffen. Vor allem in Italien, wo die Bevölkerung rasch altert und die Älteren die gesamte Kaufkraft haben, aber gleichzeitig nicht mit der digitalen Welt vertraut sind. Und das sollte schnell passieren, denn die Zeit drängt. Ich weiß, dass ich hier etwas extrem Banales sage, aber was soll ich machen, wenn es wahr ist. In Italien hat der Klimawandel verheerende Auswirkungen auf die Artenvielfalt, die Wirtschaft und den Agrarsektor (Achtung, da steht hat, nicht haben wird).
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Nachrichten von der Front

Bürger ärmerer Länder, in denen ein Verlust der Ressourcen durch Umweltzerstörung droht, haben oft ein besonders starkes Umweltbewusstsein. So hat beispielsweise der Inselstaat Fidschi – der im Begriff ist, aufgrund der globalen Erwärmung, des steigenden Meeresspiegels und der Stürme an Fläche zu verlieren – das Pariser Klimaabkommen mit einem einstimmigen Parlamentsbeschluss ratifiziert, bevor das irgendeine andere Nation tat.“

Was tun? „Wir müssen parallel zu den Daten auch die menschliche Dimension der Klimakrise aufzeigen, von den betroffenen Menschen erzählen. Sonst wird es nicht gelingen, Eingang in die öffentliche Debatte zu finden“, meint Federica und das scheint mir ein besseres Schlusswort als ich es schreiben könnte.

Ich habe mit Federica und Stefano auch noch über eine ganze Reihe anderer Dinge gesprochen: Geopolitik, Klimaflüchtlinge (wusstest du, dass es im Jahr 2050 beim aktuellen Tempo bereits 300 Millionen sein werden und dass du einer von ihnen sein könntest? Stress!), die Emissionen in den Entwicklungsländern.

Doch wenn ich das alles in diesen Artikel gepackt hätte, wäre das eine Abhandlung geworden, die du niemals bis zum Ende gelesen hättest. Wenn du aber willst, kannst du das gesamte Gespräch (auf Italienisch) nachhören:
Wenn wir schon keine guten Konsumenten sein können, dann zumindest gute Korrespondenten von der Front. Und das ist nicht wenig.

 

Stefano Liberti

Stefano Liberti
Foto: © privat
Stefano Liberti ist Journalist und Schriftsteller mit Schwerpunkt auf den Themen Landwirtschaft und Lebensmittelversorgungsketten. Er schreibt für italienische und ausländische Medien, darunter für Internazionale, Repubblica, Le Monde diplomatique, Al Jazeera English, El País semanal. 2009 wurde er für sein Buch A sud di Lampedusa. Cinque anni di viaggi sulle rotte dei migranti (Minimum Fax, 2008) mit dem Indro-Montanelli-Preis ausgezeichnet. Sein Buch Land Grabbing. Come il mercato delle terre crea il nuovo colonialismo (Minimum Fax, 2011) ist in zehn Ländern erschienen (Dt.: Landraub. Reisen ins Reich des neuen Kolonialismus, Rotbuch, 2012). Seine jüngsten Bücher sind I signori del cibo. Viaggio nell’industria alimentare che sta distruggendo il pianeta (Minimum Fax, 2016), in dem er den globalen Lieferketten von vier Lebensmitteln nachspürt, und Il grande carrello. Chi decide cosa mangiamo (Laterza, 2019, mit Fabio Ciconte), in dem er der Funktionsweise des organisierten Großhandels auf den Grund geht. Im September 2020 erschien zudem Terra bruciata. Come la crisi ambientale sta cambiando l’Italia e la nostra vita (Rizzoli), eine erste Feldstudie zu den Auswirkungen des Klimawandels in Italien. Darüber hinaus war Liberti als Regisseur für Rai 3 tätig und hat bereits mehrere Dokumentarfilme gedreht, darunter L’inferno dei bimbi stregoni (2010), Mare chiuso (2012, mit Andrea Segre), Container 158 (2013, mit Enrico Parenti), Herat Football Club (2017, mit Mario Poeta), Soyalism (2018, mit Enrico Parenti).
 

Federica Tessari

Federica Tessari
Foto: © privat
Federica Tessari studiert Internationale Zusammenarbeit an der Universität Turin. Nach ihrem Studienabschluss in Politikwissenschaften beschloss sie, sich sowohl akademisch als auch persönlich eingehender mit den am stärksten benachteiligten Gebieten der Welt zu beschäftigen. Durch ihre Auseinandersetzung mit Indien und der Lage auf der griechischen Insel Samos entwickelte sie ein kritisches Verständnis für die Thematik und fand ihre Stimme als Journalistin. Tessari lernte Scomodo während ihrer Tätigkeit bei Ärzte ohne Grenzen (MSF) in Rom kennen und als die Zeitschrift eine Redaktion in Turin eröffnete, stand ihre Entscheidung schnell fest. Heute ist sie bei Scomodo als eine der leitenden Redakteurinnen auf nationaler Ebene insbesondere für die Rubrik Il Plus verantwortlich (in der Themen fachübergreifend und multidisziplinär vertieft werden). Tessari entwickelte und erstellte die erste Fotoreportage von Scomodo: Senza stringhe. Ihre persönlichen Interessensschwerpunkte sind zivilrechtliche Fragen, Konflikte und politisch-soziale Themen.
 
Die zweite Staffel von Blog, Engage, Act! wirft einen Blick hinter die Kulissen der Klimabewegung: Was will die Bewegung eigentlich? Welche gemeinsamen Ziele verbinden die vielen unterschiedlichen Gruppierungen? Wir erfahren mehr darüber, wie sich die Bewegungen während der Pandemie organisieren, warum Klimakonferenzen ein guter Ort für Protestaktionen sind – und warum Aktivist*innen die Entwicklung einer sozial gerechten Klimaagenda dennoch nicht allein den internationalen Verhandlungsrunden überlassen wollen. Nicht zuletzt geht es auch um die Rolle von persönlichem Engagement: Was bewirkt ethischer Konsum und wie können wir andere davon überzeugen? Und wie sehr prägt und verändert der Aktivismus eigentlich das Leben der Aktivist*innen?

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