Ausstellung
Gregor Schneider: Kreuzweg

Gregor Schneider, KREUZWEG (nach einer Idee für Berlin 2006), St. Matthäus-Kirche im Kulturforum, Berlin 2021
© VG Bild-Kunst, Bonn | Goethe-Institut Madrid, Foto: Leo Seidel

Präsentation in der St. Matthäus-Kirche in Berlin

St. Matthäus-Kirche

Die Arbeit KREUZWEG des Künstlers Gregor Schneider, die eine Ko-Produktion des Goethe-Instituts Madrid mit Concéntrico, dem Internationalen Architektur- und Designfestival von Logroño ist, wird von Februar bis April 2021 in der St. Matthäus-Kirche im Kulturforum in Berlin präsentiert.


Der Kreuzweg Jesu Christi steht für den Weg des Erlösers ans Kreuz auf Golgatha – für Gläubige ein Pilgerweg des Leidens, der Vertiefung und der Verwandlung.

Der Künstler Gregor Schneider verleiht ihm während der Passionszeit in der St. Matthäus-Kirche in Berlin eine eigene Gestalt: Ein tiefschwarzer Gang öffnet sich am Eingang der Kirche und führt in vollkommener Dunkelheit in das Innere des Kirchenraums. Nur von oben – von den Emporen aus – wird seine Gestalt sichtbar: Ein schwarzes, aus verbranntem japanischen Holz gezimmertes dreidimensionales Kreuz, das den gesamten Kirchenraum einnimmt.

Eine Referenzlinie führt zu Gregor Schneiders Arbeit „CUBE“ (2005), einem überdimensionalen schwarzen Kubus ähnlich der Kaaba in Mekka, der sich auseinandergefaltet in ein Kreuz verwandelt.
Wie verhalten sich die verschiedenen Heilsversprechen zueinander? Was bedeutet es, dem Kreuz in einem Kirchenraum derart viel Raum zu geben?

Seit über 30 Jahren arbeitet Gregor Schneider auch als Fotograf. Auf der Empore ist ergänzend eine Auswahl seiner Fotografien und Entwürfe zu sehen, die schwarze Räume, Passagen und religiöse Räume in unterschiedlichen Kontexten zeigen.

In Kooperation mit der Konrad Fischer Galerie.
 

Kreuzweg

Für Kreuzweg errichtet Gregor Schneider einen verdunkelten schwarzen Durchgang in Form eines Kreuzes. Der kreuzförmige Baukörper hat vier Öffnungen, jeweils eine an seinen Enden, durch die der Besucher ein- und austreten können. Die Kreuzform der Struktur ist nur aus einer gottgleichen Luftperspektive vollständig zu betrachten. Beim Betreten des Durchgangs verliert der Besucher die formale Kontur der Struktur. Darüber hinaus verwischt die völlige Dunkelheit und Schwärze des Innenraums die Kontur des Körpers des Besuchers. Sie lässt ihn verschmelzen mit der unbestimmten Schwärze, von der er umgeben ist, und hebt die Unterscheidung zwischen dem eigenen äußeren/physischen und inneren/psychologischen Raum auf; zwischen einem öffentlich geteilten und einem privaten persönlichen Raum. 

Es ist offensichtlich, dass Kreuzweg einen direkten Bezug zur Kreuzigung Jesu Christi hat: nicht nur formal oder ikonographisch, sondern er ist erfahrungsbezogen und inszeniert die Installation als Übergangsritus und -phase, in der die Menschen, die sie durchschreiten, von ihren Identitäten und von alltäglichen Vorstellungen von Zeit und Ort getrennt werden, um wiedergeboren zu werden und in einer höheren Weltordnung wieder aufzutauchen. Das Werk wird zum Ereignis, indem es die Entbehrung des Lebens und die Auferstehung gegenüberstellt.

Kreuzweg ist der Höhepunkt des erlösenden theologischen Fadens, der sich durch Schneiders Oeuvre zieht. Er kann als expliziter Abschluss vieler früherer Werke betrachtet werden. Ein Beispiel dafür ist CUBE (2005-07). Schneiders CUBE ist ein gigantischer kubischer Außenbau, der mit schwarzem Stoff verkleidet ist und scheinbar das heilige Bauwerk des Islam, die Kaaba, nachbildet. Kreuzweg schließt an CUBE in vielerlei Hinsicht an. Formal verwandelt sich ein Kubus, wenn er abgeflacht wird, in ein Kreuz. In diesem Sinne ist Kreuzweg ein Raum-Werden von CUBE, nachdem er abgeflacht wurde. Die formale Verwandtschaft zwischen beiden Werken erlaubt es Schneider, eine religiöse Vorstellung von Erlösung aus einer anderen, angeblich rivalisierenden religiösen Vorstellung von Erlösung zu generieren und beide für die Erfahrung seiner Arbeit nutzbar zu machen. Sie erlaubt es ihm, die Umrundung der schwarzen Leere von CUBE mit der immersiven, durchschrittenen schwarzen Leere von Kreuzweg zu verbinden und ihren symbolischen Wert der Rolle zuzuschreiben, die die Leere in seinen anderen Werken spielt.

2008 wurde CUBE zu END: ein sechzig Meter langer dunkler Korridor, den Schneider vor dem Museum Abteiberg in Mönchengladbach baute. Um den dunklen Korridor zu betreten, musste der Betrachter eine kleine Leiter erklimmen und durch eine schwarze quadratische Öffnung gehen. Am Ende des Korridors, in dem man die eigene Orientierung und Körperlichkeit verliert, führte ein Schacht den Betrachter in einen unterirdischen dunklen Raum. Der einzige Ausweg aus dem dunklen Untergrund war der Aufzug, der den Betrachter zu den erleuchteten Sammlungsgalerien des Museums im zweiten Stockwerk beförderte, als ob er aus dem Bereich des Todes in das weiße Territorium des Jenseits katapultiert würde. [...]

Gregor Schneider and the Architecture of the Afterlife
Gregor Schneider und die Architektur des Jenseits
Text von Ory Dessau

Gregor schneider

*1969 Rheydt.
Im Jahr 2001 wurde er auf der Biennale von Venedig für sein im Deutschen Pavillon ausgestelltes Werk Totes Haus u r mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.

Gregor Schneider studierte von 1989 bis 1992 an verschiedenen deutschen Kunsthochschulen, u.a. an der Kunstakademie Düsseldorf und der Kunstakademie Münster sowie an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Von 1999 bis 2003 war er Gastprofessor an mehreren Kunsthochschulen, darunter auch an der Universität von Paris: De Ateliers in Amsterdam, der Hochschule für bildende Künste Hamburg und an der Königlich Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen. Von 2009 bis 2012 war er Professor für Bildhauerei an der Universität der Künste in Berlin und von 2012 bis 2016 Professor an der Akademie der Bildenden Künste in München. Seit 2016 ist er als Professor für Bildhauerei Nachfolger von Anthony Cragg an der Kunstakademie Düsseldorf.

Im Jahr 2015 wurde Gregor Schneider in die Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste gewählt. Im Mai 2018 wurde Schneider Mitglied der Sektion Bildende Kunst der Akademie der Künste Berlin.

Im Alter von 16 Jahren präsentierte Schneider seine erste Einzelausstellung mit dem Titel Pubertäre Verstimmung in der Galerie Kontrast in Mönchengladbach. Seit Anfang der 1990er Jahre arbeitet er mit Galerien und Museen zusammen. Er begreift Räume als begehbare, dimensionale Skulpturen, die oft bestehende Räume in Galerien und Museen verdecken oder verändern; die Räume, mit denen er arbeitet, sind bestehende Räume, die er in verschiedenen Häusern oder Wohngebäuden findet. 1985 begann er mit der Demontage und dem Wiederaufbau von Räumen in einem Mehrfamilienhaus in Rheydt, das er Haus u r nannte.

Im Jahr 2001 gewann Gregor Schneider mit seiner Einzelausstellung Totes Haus u r Venedig 2001 den Goldenen Löwen"auf der 49. Biennale in Venedig. Udo Kittelmann, der damalige Direktor des Kölnischen Kunstvereins, lud den Künstler ein, eine Einzelausstellung im deutschen Pavillon zu gestalten. Innerhalb von drei Monaten baute Schneider im Inneren des Pavillons ein Totes Haus u r, transportierte insgesamt 24 Originalräume per Schiff unter Verwendung von 100 Verpackungsstücken mit einem Gesamtgewicht von 150 Tonnen von Rheydt nach Venedig; die Räume, die er aus dem Haus u r gebaut hat oder die an anderer Stelle wieder aufgebaut wurden, bezeichnet Schneider als Totes Haus u r.

Schneider baute die Räume des deutschen Pavillons in ein ähnliches Haus mit doppelten Wänden und doppelten Fußböden um, wie er in Rheydt gearbeitet hatte. Er gestaltete einen Eingang aus dem späten 19. Jahrhundert mit Säulen in einen gewöhnlichen Eingang mit einem Briefkastenschlitz und alten Klingeln an der Seite um. Die Innenfenster konnten nicht nach außen geöffnet werden. "Man baut, was man nicht mehr kennen kann", kommentierte Schneider seine Installation. Innerhalb der Biennale wurde das Werk auch als subtiles politisches Statement interpretiert, denn das Gebäude des deutschen Pavillons von 1909 wurde oft als das "einschüchterndste" Gebäude "im Giardini Garten" angesehen.

Im Jahr 2003 wurde das Tote Haus u r ein Jahr lang im Museum für Zeitgenössische Kunst in Los Angeles gebaut.
 

Details

St. Matthäus-Kirche

Matthäikirchplatz
10785 Berlin

Preis: Eintritt frei

+34 91 3913954 Rebeca.Castellano@goethe.de

Öffnungszeiten: Di-Fr von 12 bis 16 Uhr, Sa-So von 12-18 Uhr