Ob Paperasse à la française oder deutscher Papierkram: Sina und Mathilde kämpfen sich durch den Bürokratiedschungel in beiden Ländern – und werden zu Profis im Beamten-Scrabble!
Von der Macht des Papierkrams
Jeder Franzose, der dazu neigt, Dinge aufzuschieben, sollte ein paar Monate in Deutschland verbringen, damit ihm die Lust daran vergeht, unliebsame Briefe in einer Ecke liegen zu lassen.
Diese neue Art des Verwaltungstourismus‘ würde mit der Einführung in die verschiedenen Ämter beginnen – Bezirksamt, Personalamt, Einwohnermeldeamt usw. Die Aufgabe des Neuankömmlings wird es sein, Termine auszumachen, seinen neuen Wohnsitz anzumelden und sich um zehn Euro Verwaltungsgebühr zu erleichtern. Jede Verspätung wird bestraft: Diese Regel ist zu meinem elften Gebot geworden.
Die Rundfunk- und Fernsehgebühr der berüchtigten GEZ gilt nun für jede Wohnung? Achtung, wenn du glaubst, das betrifft dich nicht! Die GEZ, der Vorschrift entsprechend von den Behörden über deine Ankunft informiert, gehört zu den Ersten, die dich willkommen heißen, und bittet dich, 200 Euro an sie zu überweisen, um das öffentliche Fernsehen und Radio am Leben zu halten. Man muss das Angebot nicht nutzen, um gebührenpflichtig zu sein, es ist nicht einmal nötig, einen Fernseher zu besitzen – nun genügt es, in eine Wohnung zu ziehen. Man muss hinzufügen, dass viele Bürger dazu neigten, falsche Angaben zu machen, es musste also reagiert werden: Die Androhung von unangekündigten und illegalen Kontrollbesuchen funktionierte nicht mehr! Die GEZ: Selbst ein Einsiedler in seiner Höhle entkommt ihr nicht.
Du wirst von nun an jeden Brief genau entziffern. Wieder und wieder wirst du ihn studieren und eine neue Sprache entdecken, das Beamtendeutsch, geformt aus Wörtern, deren Sinn du nur erahnen kannst, mit Hilfe derer du aber im Scrabble gewinnst: Rechtsbehelfsbelehrung, Nichtabziehbarkeit, Dreifacher Wortwert!
Und wenn du glaubst, das kafkaeske Ungeheuer endlich gezähmt zu haben, wirst du auf die unbegreifliche Steuer auf Glaube und Religion stoßen, die sprichwörtliche Verneinung der Trennung von Kirche und Staat: die Kirchensteuer, die mit deinem französischen Akzent schnell zur „Kirschensteuer“ wird. Wenn du deine ganze Kraft darauf verwandt hast, dagegen zu kämpfen und zu wettern, kehrst du ratlos und mit gesenktem Haupt von diesem nutzlosen Kreuzzug zurück. Mit neuem Gleichmut und Detailversessenheit wirst du dem Verwaltungsapparat mit seinen eigenen Waffen begegnen. Aufmerksam wirst du deine Steuererklärung ausfüllen und mit Entzücken feststellen, was eine deutsche Behörde zu tun vermag, nämlich aus Quellenabzugssteuer ein Synonym für bedeutenden Geldeingang zu machen.
Dann wirst du – vielleicht – bereit sein, nach Frankreich zurückzukehren und von der systematischen Arbeit der deutschen Behörden, der Schnelligkeit ihrer Antworten und dem Pragmatismus ihrer Beamten zu berichten.
Papierkram à la française
RSI, RAM und CIPAV. TVA, DGFiP und URSSAF. Was erst einmal klingt wie ein Song von den Fantastischen Vier, ist im täglichen Umgang mit der französischen Bürokratie nur der Anfang einer langen Reihe von Abkürzungen, deren Ausschreibung, sagen wir es ehrlich, den Schleier nicht lüftet.
Nun habe ich mich ja durch Ausbildung, Auslandsaufenthalte und Websurfing gut auf das Leben in Frankreich vorbereitet. Glaubte ich – bis zu dem Tag, als die Sache mit der beruflichen Aktivität als EU-Ausländer plötzlich ernst wurde. Da habe ich gerade gelernt, mich durch die Fachtermini der deutschen Steuererklärung wie ein blinder Affe von Baum zu Baum zu hangeln, da befinde ich mich plötzlich in einem fremden Bürokratiedschungel. Doch ich schlage mich durch, das Wörterbuch ist meine Machete, Wikipedia mein Survival-Guide. Schön ist, ich bekomme viel Post. Die hefte ich erst einmal ordentlich ab. Alle Briefe sind von Leuten mit Logo und Abkürzung in Beruhigend-Blau-Grün, die plötzlich für mich zuständig sind und mir eine Nummer verleihen. Rente, Steuer, Versicherung.
Eigentlich nicht so kompliziert, denke ich und verzweifle erst, als die französischen Beamten, um mir ein Dokument zu schicken, diverse Dokumente brauchen, die ich aber in Deutschland erst bekomme, wenn ich das bei den Franzosen angeforderte Dokument einreiche. Es folgt eine Online-Imitation von Asterix auf der Suche nach dem Passierschein A38, als er im „Haus der Verrückten“ von Schalter zu Schalter gehetzt wird. Immerhin, was bei mir schon deutschen Angstschweiß hervorruft, nämlich etwas nicht korrekt und sofort eingereicht zu haben, sehen die französischen Beamten recht entspannt. Bezahlen muss ich sie alle, am besten mit Scheck. Viele Versuche hat es mich gekostet, die ungewohnten Schecks und die dazugehörigen Quittungen richtig auszufüllen und die Blicke der Bankangestellten dabei zu ignorieren. Zumindest übt man, die französischen Zahlen einmal wieder auszuschreiben. Bei jeder Überweisung ruft der Bankberater dich zur Überprüfung erst einmal persönlich an. Das schafft Nähe. Und wirklich schön ist es, wenn ein paar Beamte aus beiden Ländern eine sinnvolle Abkürzung nehmen, um mir in kürzester Zeit einen Reisepass auszustellen, und sich danach freuen, miteinander einmal wieder über Paris gesprochen zu haben. MfG. Mit freundlichen Grüßen.
Ihre Sina Witthöft