Hamburger und Toulouser erwecken aus dem Winterschlaf. Zeit für etwas Sport, der in beiden Städten mit Leidenschaft begangen wird.
Der Puls der Stadt
Mit Beginn des Frühlings wird für den Spaziergänger jeder Spazierweg ein idealer Ort, um die Liebe der Hamburger zum Sport zu beobachten.
Die Ruderer ziehen ihre Paddel harmonisch durch die Kanäle, im Alsterpark nimmt man aus der Ferne an den Segelstunden teil, und in der Stadt geht alle Welt laufen, von den Senioren bis zu den jungen Eltern, deren Baby im Eiltempo des Kinderwagens durchgeschüttelt wird.
Die Begeisterung für Sport ist in Hamburg, wo etwa ein Bewohner von dreien in einer der 812 Sportvereine der Stadt angemeldet ist, wenig erstaunlich. Der Leistungssport, von den deutschen Tennismeisterschaften im Center Court am Rothenbaum bis zum alljährlichen Marathon, trifft hier auf den Alltagssport mit seinen anonymen Joggern, Radfahrern und den vollbesetzten Fitnessstudios.
Ist es Zufall, der Einfluss der Hamburger oder gar ein seltsames Wunder? Seit meiner Ankunft hier habe ich mit Sport begonnen – ich, die ich lange Zeit eine gesunde Distanz zu allen Arten von Sport gehalten und ganz und gar Elias Canettis Meinung geteilt habe, als er schrieb „Sport verdummt die Masse.“
Körperliche Betätigung ist hier Teil der täglichen Routine. Dann kommt das Wochenende und der Augenblick, um geschlossen hinter einer der drei städtischen Fußballmannschaften zu stehen. Der FC Sankt Pauli ist der Verein, der die größte Leidenschaft weckt; auch wenn er nur zweite Liga spielt, ist er der zweitbeliebteste Club der Deutschen. Seine Identität ist untrennbar mit dem Stadtviertel verbunden, dessen Namen er trägt: Sankt Pauli, das beliebte Viertel der Linken und Matrosen. Eines der Clubsymbole, der Totenkopf, macht aus seinen Anhängern eine Bande lautstarker Piraten, die schon von weitem erkennbar ist. Ob das ihre Methode ist, um sich zu ihren Wurzeln zu bekennen?
Die Stadt und das Ei
Während die Vorbereitungen für die Europameisterschaften im Fußball auf Hochtouren laufen, kommt man nicht umhin zu bemerken, dass die eigentliche Leidenschaft der Südfranzosen einer Sportart gehört, die in Deutschland kaum Beachtung findet. Das Feld ist grün, der Ball eiförmig und die dreißig Spieler sind zum größten Teil muskelbepackte Schränke mit baskischen Namen. Die Rede ist von Rugby.
Rugbyspieler in Toulouse haben einen ähnlichen Status wie Sumo-Ringer in Tokio – man erkennt sie leicht an Statur und Gangart und wenn sie aufhören, sind sie weiterhin angesehene Persönlichkeiten, mit körperlichen Beschwerden und eigenem Restaurant. Der ehemalige Spieler Raffaele Targusi hat nicht weit von meinem Zuhause eine kleine Pizzeria und erzählt dort gerne Anekdoten. Kompetente Gesprächspartner findet er immer, denn wer hier aufgewachsen ist, kann schon an der Statur eines Spielers erkennen, welche Position er spielt.
Rugby ist mehr als ein Sport, es ist Teil der Kultur. Die Begeisterung hat ihre Berechtigung, denn ein Großteil der erfolgreichen Clubs ist aus der Region. Das Team des Stade Toulousain hat schon etliche Meisterschaften gewonnen und stellt viele Spieler der Nationalmannschaft. Im Stadion wie vor dem Fernseher ist die Stimmung überwältigend, aber wer wie ich die Regeln noch nicht gut kennt, wird glauben, eine Gruppe raufender Halbwüchsiger vor sich zu haben.
Scheinbar willkürlich steigen sie auf die Schultern des anderen, schießen weit übers Feld oder verknoten sich zu einem Knäuel, das sich wie ein merkwürdiges Schalentier seitwärts bewegt und von Zeit zu Zeit den Ball ausspuckt. Bei der sogenannten „Mêlée“ (deutsch: „Getümmel“) stellen sich die Mannschaften Schulter an Schulter gegenüber, um sich geordnet dem Erdboden gleichzumachen und dabei den Rasen einmal komplett umzudrehen. Doch allmählich blicke ich ein wenig mehr durch und erfreue mich vor allem an der Fairness und Freundlichkeit der Spieler, die nach Abpfiff trotz blutender Nase herzlich ihren Gegner umarmen.