Dea Loher
Wäre ich Tankwart

Dea Loher
Dea Loher | © Alexander Paul Englert

Dea Loher zählt zu den meist gespielten deutschsprachigen Theaterautorinnen. In ihren Texten geht es um die Vernachlässigten, Ausgegrenzten, die verletzten Paradiesvögel und all die Ungeheuerlichkeiten, die im sogenannten normalen Leben schlummern können.

Die Lebensentwürfe der Verlorenen dieser Welt in den Blick zu nehmen, ist Dea Lohers Thema. So ist es schon, seit sie ihr Studium der Germanistik und Philosophie in München und dann als eine der ersten den Studiengang Szenisches Schreiben an der Hochschule der Künste in Berlin abschlossen hat. Einer ihrer Lehrer in Berlin war Heiner Müller. Zwischen den beiden Studienabschnitten verbrachte sie ein Jahr in Brasilien. Das hatte Spätfolgen und führte zu den Uraufführungen zweier bemerkenswerter Theatertexte. Mit Unschuld (2003) und Das Leben auf der Praca Roosevelt (2004) stellte sie Menschen vor, die nichts mehr zu verlieren haben und die wie eine Zuckerkranke in Unschuld mit spröder Komik durchs Leben wandeln: „Wäre ich Tankwart, genügte eine Zigarette“ meint Frau Zucker. Sie gehört zu den Figuren, die sich durchaus vorstellen können, ihr Leben selbstbestimmt zu beenden.

Wegbegleiter

Der wichtigste künstlerische Wegbegleiter Dea Lohers ist der Regisseur und Bühnenbildner Andreas Kriegenburg. Er brachte die meisten ihrer Stücke zur Uraufführung und hatte im ersten Jahrzehnt nach der Jahrtausendwende im Ensemble des Hamburger Thalia Theaters Schauspieler zur Verfügung, wie man sie sich nur wünschen kann. Das war auch die Zeit, in der die Theaterautorin Loher mit den Uraufführungen von Das letzte Feuer (2008) und Diebe (2010) zwei weitere Höhepunkte verzeichnen konnte und endgültig zum Kreis der am meisten gespielten deutschsprachigen Gegenwartsautorinnen und -autoren gehörte. Andreas Kriegenburg blieb vorerst ihr bevorzugter Regisseur, inzwischen war die Mannschaft des Hamburger Thalia Theaters aber ins Deutsche Theater Berlin umgezogen.

Dann wurde es still um Dea Loher. Sie arbeitete an einem „größeren Wurf“ und legte 2012 mit Bugatti taucht auf (2012) ihren ersten Roman vor. Dass sie dem Erzählen nicht ganz abgeneigt ist, hatte sie schon 2005 mit der Novelle Hundskopf gezeigt. Jetzt stellte sie mit dem Romanhelden Jordi einen Mann vor, den man auch in ihren Stücken finden könnte. Er gerät nach einem schicksalhaften Ereignis aus der Bahn und will sein Leben ändern. Jugendliche haben einen Jungen zu Tode geprügelt, das erschüttert ihn so, dass er dem Toten ein Projekt widmet: Ein vor 75 Jahren auf dem Grund des Lago Maggiore abgesunkener Bugatti soll geborgen werden. Der Roman wurde überschwänglich rezensiert. Man sollte davon ausgehen, dass es nicht Dea Lohers letzter war.

Schicksalhaft

Der Wunsch, einem schicksalhaft aus dem Lot geratenen Leben neuen Sinn zu verleihen, findet sich immer wieder in Lohers Werk. Das gilt auch für den ersten Theatertext nach der Romanpause. In Am Schwarzen See (2012) treffen zwei Ehepaare sich nach Jahren wieder und kreisen um die Frage: Warum gingen unsere Kinder gemeinsam in den Tod und warum wussten wir damals und wissen wir heute so wenig von ihnen. Für die Uraufführung zuständig war einmal mehr Andreas Kriegenburg. Er inszenierte die verzweifelten Elternteile in einem monumental trostlosen Loft und unterfütterte ihre Einsamkeit mit kleinen Gesten der Verunsicherung und Verkrümmungen des Schmerzes. Den Weg zurück ins Theater ging Dea Loher mit einem Text, der ganz anders war als die Stücke des vorangegangenen Jahrzehnts. Sie stellte kein großes Figurenpanorama vor, sondern konzentrierte sich auf vier Figuren eines Kammerspiels.

Um strandende Lebensentwürfe ging es Dea Loher schon immer – auch heute, da Europa einen tiefgreifenden Wandel erlebt. Die neoliberale Deregulierung der Märkte führt zu immer neuen Marktturbulenzen und innereuropäischen Migrationsbewegungen. Man hat den Eindruck, dass auch Dea Lohers Theaterfiguren inzwischen dort anzutreffen sind, wo Arbeit und Geld neu verteilt werden. In ihrem neuesten Theatertext Gaunerstück (2015, uraufgeführt am Deutschen Theater Berlin) steht ein jugendliches Zwillingspaar aus Spanien für den Traum vom besseren Leben. Ihr Vater ist abgehauen, mehr als Hilfsarbeiter können sie nicht werden. Also lassen sie sich auf ein kriminelles Geschäft mit einem abgestürzten Mittelständler ein. Der Juwelier schlägt ihnen vor, dass sie ihn überfallen und er das Versicherungsgeld kassiert. Einmal mehr gehören Dea Lohers Figuren nicht unbedingt zu den Gewinnern im Kampf um Marktanteile im Leben.