Dreigroschenoper - die Rückkehr von Mackie Messer am National Theatre

GEORGE IKEDIASHI (Balladeer), RORY KINNEAR (Macheath)
Photo credit: Richard H Smith

Mit der Neuinszenierung von Bertolt Brecht’s „Dreigroschenoper“ hat das National Theatre einen Blockbuster für den Londoner Theatersommer produziert. Bei ihrer Uraufführung 1928 in Berlin sorgte die „Dreigroschenoper“ für Aufsehen und wurde als Neuheit gefeiert, da das Musik-Schauspiel in dieser Form zuvor nicht existiert hatte. Interessanterweise wird die Dreigroschenoper heutzutage nach wie vor als Vorläufer des Musicals genannt. Dramatiker Bertolt Brecht und dem Komponisten Kurt Weill war es gelungen hohe Theaterkunst mit populärer Unterhaltung zu verbinden. „Was die Dreigroschenoper betrifft, so ist sie – wenn nichts anderes – eher ein Versuch, der völligen Verblödung der Oper entgegenzuwirken,“ kommentierte Brecht das Theaterstück, das radikale Gesellschaftskritik, sprachliche Aggressivität und Massenunterhaltung vereinte.
 
Auch die Inszenierung am National Theatre orientiert sich an dieser Darstellungsform – sozusagen ein Hybrid aus Theater und Musical, der aber weniger mit traditionellen Inszenierungsmustern bricht, sondern diese routiniert einsetzt. Das Bühnenbild ist minimalistisch gehalten, sorgt dennoch für genügend Überraschungsmomenten mit Papierwänden und dem an Barrikaden erinnernden Mobiliar. Der Handlungsort London ist von zeitlichen Referenzpunkten oder räumlichen Erkennungsmerkmalen losgelöst - eine fiktionale Stadt, die mit dem Heute nicht viel zu tun hat.
 
"Und der Haifisch, der hat Zähne"
 
An diesem Ort verfolgt der skrupellose Gangsterboss Macheath (Rory Kinnear), genannt Mackie Messer, seine kriminellen Machenschaften. Durch die Hochzeit mit Polly Peachum (Rosalie Craig) bringt er dessen Vater, den Bettlerkönig Jonathan Peachum (Nick Holder), gegen sich auf, der um sein gut laufendes Geschäft mit der Armutsbranche fürchtet. Während Peachum und seine Frau Celia alle Hebel in Bewegung setzen, um Macheath loszuwerden, unternimmt ihre Tochter Polly alles, um ihren Mann vor ihren rachsüchtigen Eltern zu retten. Die Jagd auf Macheath ist eröffnet.
 
Natürlich ist der Gangsterboss selbst gut genug in der Stadt vernetzt, um das ein oder andere Mal seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Und es ist ein Vergnügen, mit welcher Kaltschnäuzigkeit, Gewieftheit und Brutalität Macheath (Rory Kinnear) seine Geliebten, Gangsterkumpanen und sonstigen Verbündeten immer wieder aufs Neue hinters Licht führt. Und ebenso amüsant mitanzusehen, wie alle anderen Bühnenakteure ihm in ihrer Hinterhältigkeit und Boshaftigkeit in nichts nachstehen.
 

  • Rory Kinnear spielt Macheath. Photo credit: Richard H Smith
  • Rosalie Craig spielt Polly Peachum. Photo credit: Richard H Smith
  • Haydn Gwynne (Frau Peachum) und Nick Holder (Herr Peachum) Photo credit: Richard H Smith
  • Neuinszenierung der Dreigroschenoper: Jamie Beddard (Matthias) und Rebecca Brewer (Betty) Photo credit: Richard H Smith
  • Rory Kinnear und members of the company Photo credit: Richard H Smith
Die populären Musikstücke der Dreigroschenoper verfehlen beim Publikum nicht ihre Wirkung, was am mehrmaligen Szenenapplaus nicht zu überhören ist. Offensichtlich ist das amoralische Treiben auf der Bühne für die Zuschauer nach wie vor hörens- und sehenswert. Aber was hat das mit uns und unserer Zeit zu tun? Wird das Theater hier zu einer Institution für politisch-ästhetische Erziehung - wie von Brecht gefordert?
 
Sicherlich nicht. Trotz der sprachlichen Auffrischungskur durch Simon Stephens bewegt sich diese Neuinszenierung irgendwo zwischen Musicalsatire und Theaterklamauk. Anstatt dass den Zuschauern das Lachen im Hals stecken bleibt oder sie sich möglicherweise sogar zu Tode amüsieren, verleben sie einen vergnüglichen Theaterabend - nicht mehr, nicht weniger.
 
"Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral."
 
Wahrscheinlich ist dies dem Umstand geschuldet, dass das Theater als Institution zur moralischen Belehrung in unserer gegenwärtigen Realität ausgedient hat. Die Charaktere können auf der Bühne noch so rücksichtslos, egoistisch und hinterhältig agieren, sobald wir das Theater verlassen, genügt ein kurzer Blick in die Nachrichtenwelt, um sich zu vergewissern, dass sich unsere Wirklichkeit nicht viel davon unterscheidet. Was wir in überspitzter Form auf der Bühne präsentiert bekommen, gehört für uns längst zum Alltagsleben: soziale Ungleichheit, Korruption, Hurrapatriotismus und die Bewertung von humanitären Krisen nach Wirtschaftlichkeitskriterien.
 
Die Worte, die Brecht seinen Charakteren in den Mund gelegt hatte, waren zum damaligen Zeitpunkt durchdrungen von Zynismus und Aggressivität. Trotz der sprachlichen Neubearbeitung wirken sie heutzutage zahm; die Sozialkritik, woran sich früher die Gemüter erhitzt haben, ist heutzutage zur gesellschaftlichen Norm geworden. 
 
Es ist aus diesem Grund konsequent, dass wir eine Inszenierung zu sehen bekommen, die durch die gelungene Neuinterpretation der Musiktitel auffällt und dessen Enthusiasmus, mit welchem das gesamte Ensemble die Dreigroschenoper aufführt, sich schnell auf uns überträgt. Und vielleicht liegt ja genau hierin die Raffinesse der Neuinszenierung: wir jubeln dem Bühnengeschehen zu, weil wir uns selbst erkennen, trotz Kostümen und abstrakten Bühnenbild, das sind wir, das ist unsere Welt, für uns kommt das Fressen auch vor der Moral.

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