Sonya Schönberger - Goethe@LUX Residenz 2019
„Wozu brauchen wir Rosen?"

Sonya Schönberger
© Tomke Beyer | Sonya Schönberger

Sonya Schönberger war 2019 die Goethe@LUX-Residenzkünstlerin am Goethe-Institut London. Das Schlüsselthema dieser Residenz war Ökologie und das zunehmend angespannte Verhältnis zwischen Natur und menschlicher Zivilisation. Im Interview spricht sie über die Hintergründe der günstigen Supermarkt-Rosen, den aktuellen Hype um Sukkulenten und den (Post-)kolonialismus der Pflanzenwelt. Warum wir umdenken müssen und öfters Pflanzen tauschen sollten, erzählt sie auch.


Liebe Sonya, in einem deiner Projekte beschäftigst du dich mit der Schnittrosen-Industrie in Kenia. Wie kam es dazu?

Vor über einem Jahr habe ich einen Artikel über die Aktivistin Joan Root gelesen, die in Kenia aufgewachsen ist und 2006 ermordet wurde. Sie hatte sich für Naturschutzprojekte um den Naivashasee in Kenia eingesetzt. Rosen für den europäischen Markt werden dort gezüchtet. Das hat die komplexen Ökosysteme vor Ort und die sozialen Strukturen extrem verändert – einfach nur, um unseren überbordenden Blumenmarkt zu füttern. Als ich für die Goethe@LUX Residenz nach London kam, fiel mir bei dem Anblick der vielen Schnittblumen, die in den Supermärkten verkauft werden, das Thema wieder ein. Ich habe das dann weiterverfolgt, eine Fotoserie begonnen und auch einen Vortrag entwickelt, der Ende Juli bei LUX und am Goethe-Institut London zu hören sein wird.

Der immense Blumenkonsum hat große Folgen für die Umwelt, aber auch für die Menschen, die Rosen anpflanzen und ernten müssen.

Was hat dich bewegt, weiter zu forschen?

Mir geht es vor allem um unsere Verantwortung in Europa. Der immense Blumenkonsum hat große Folgen für die Umwelt, aber auch für die Menschen, die Rosen anpflanzen und ernten müssen. Seit den 1980ern stieg bei uns die Nachfrage nach frischen Blumen zu günstigen Preisen. Immer mehr Arbeitssuchende aus Ostafrika sind seitdem nach Kenia an den Naivashasee gezogen. Riesige Slums entstanden, nicht jeder bekommt einen Job, vor allem die Männer nicht. Die Lebensbedingungen sind extrem schwierig, Kriminalität und Ausbeutungen die Folgen. Es gibt bis natürlich weiterhin ein Ungleichgewicht zwischen der weißen und schwarzen Bevölkerung – ein Überbleibsel auf Zeiten der britischen Kolonisierung. Das zeigt sich vor allem in dem Blumenanbau: Viele Plantagenbesitzer sind weiß oder kommen aus einer anderen Schicht als die schwarzen Arbeiter. Ökologisch gesehen ist der Anbau auf verschiedenen Ebenen eine Katastrophe. Die Pflanzen werden zum Beispiel von Nairobi aus nach Europa geflogen. Was verrückt ist, wenn man sich das heute vorstellt. Darüber spreche ich unter anderem in meinem Vortrag.

Rosen sind oft ein Verlegenheitsgeschenk am Valentinstag oder Muttertag – wer eine Rose verschenkt, gibt Liebe. Das hat eine eindeutige Symbolik. Wie könnte die ersetzt werden?

Ich finde die Idee, sich an Valentinstagen oder Weihnachten etwas schenken zu müssen, schwierig. Ich bekomme gerne Geschenke, aber lieber solche, die etwas mit mir zu tun haben. Und lieber unerwartet, als zu festen Feiertagen. Die Frage ist doch: Wozu brauchen wir Rosen? Warum geht es uns gut, wenn wir jeden Tag frische Blumen kaufen? Geht das nicht auch mit einer Topfpflanze? Obwohl die natürlich auch überproduziert werden – durch den ganzen Hype um immergrüne Pflanzen wie Sukkulenten.

Ist dieser grüne Hype nicht auch eine Art Flucht? Es ziehen immer mehr Menschen in Großstädte, die sich in der Enge der Stadt gefangen fühlen, die Natur vermissen und Pflanzen kaufen…

Ja, gleichzeitig bedient der Hype auch das Gefühl, dass man sich diese Pflanzen – wie so vieles – einfach leisten kann. Früher war es nur den Reichen und Oberen vorbehalten, Blumen in ihren Häusern zu haben. Das hat sich natürlich komplett verändert. Ich habe auch viele Topfpflanzen zu Hause, kaufe aber nur wenige. Ich versuche über Ableger von Freunden an Pflanzen zu kommen. Das finde ich viel schöner und es verbindet auch. Manchmal finde ich auch Pflanzen auf der Straße, die keiner mehr will. Aber Schnittblumen kaufe ich nicht.

Vielleicht könnte man sich überlegen, lokale Pflanzen anzuschaffen, die ihren eigenen Reiz haben und nicht einem gewissen Hype entsprechen.

Wer profitiert von dem grünen Hype – Mensch oder Natur?

Vielleicht ist es gut, dass wir das Grüne zu uns nach Hause einladen und Verantwortung übernehmen, indem wir die Topfpflanzen gießen. Vielleicht können wir dadurch die Natur besser verstehen. Auf der anderen Seite wissen wir in den wenigsten Fällen, wer diese Pflanzen sind, woher sie kommen oder was sie zum Leben brauchen. Die meisten Sukkulenten kommen ja nicht aus Europa, sondern sind aus fernen Ländern „versklavt“ worden. Vielleicht könnte man sich überlegen, lokale Pflanzen anzuschaffen, die ihren eigenen Reiz haben und nicht einem gewissen Hype entsprechen. Auch wenn Stiefmütterchen vielleicht nicht ganz so attraktiv wären.

Worum geht dein zweites Projekt?

Das wird ein experimenteller Film, in dem ich den europäischen Blick auf botanische Zeichnungen hinterfrage. Wer hat die Hoheit über die Pflanzenwelt? Wer darf Pflanzen bestimmen, wer darf sie zeichnen und benennen? Spannend finde ich zum Beispiel die Buchanan Hamilton Sammlung, die von dem gleichnamigen Botaniker und Entdecker stammt. Dort habe ich botanische Zeichnungen entdeckt, die nicht von Europäern, sondern von einem indischen Zeichner dokumentiert wurden. Leider blieb der unbekannt. Seine Zeichnungen sind wunderschön, sehen aber aus wie europäische Zeichnungen.

Ist das der (Post-)kolonialismus der Pflanzenwelt? Das Thema scheint deine beiden Projekte zu verbinden...

Auf eine gewisse Weise, ja. Der Westen denkt, ein Anrecht auf exotische Pflanzen zu haben, ohne das zu hinterfragen. Die Basis für dieses Denken lässt sich auf den Kolonialismus zurückführen: ein Teil der Welt hält sich bis heute für mehr wert als der andere. Wohlhabende Länder werden bedient, die anderen ausgebeutet. Darin sehe ich die Verbindung beider Projekte. Trotzdem sind wir heute in einer Zeit angekommen, wo es nicht mehr so weitergeht. Wir können umdenken, wir können anders handeln. Aber es muss uns erstmal bewusst werden. Ich hoffe, dass meine Auseinandersetzungen und Projekte darauf hinweisen.


Residenzzeitraum: 01. Mai – 23. Juli 2019
Mehr Veranstaltungen mit Sonya Schönberger:
21. Juli 2019, Green Thoughts in a Green Shade
25. Juli 2019, An Evening on Roses


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