Brexit
„Die Kunstszene ist voll von Remainers“

Anti-Brexit-Poster bei einer Kundgebung: Variation des Gemäldes Der Schrei von Edvard Munch
Anti-Brexit-Poster: Großbritanniens EU-Austritt bedeutet für viele Kulturschaffende auch fehlenden Zugang zu Fördertöpfen und Kooperationsprojekten. | Foto (Detail): © Fred Moon/Unsplash

Kultur lebt vom Austausch: Konzerte und Ausstellungen touren durch Städte und Länder, in Theaterinszenierungen und Tanzcompagnien arbeiten internationale Künstlerteams zusammen. Durch Brexit wird diese Zusammenarbeit mit Großbritannien erschwert. Wie wird das die Kulturlandschaft in Europa verändern?

Ende Januar 2020 ist Großbritannien aus der Europäischen Union ausgetreten. Mit der Kulturszene hat dieses Ereignis auf den ersten Blick nicht viel zu tun: Die EU hat kein Mandat für Kultur. Der Bereich ist Hoheitssache der Mitgliedsstaaten, und somit gibt es auch keine direkten EU-Fördermittel etwa für die Salzburger Festspiele oder die Musikschule in Detmold. Dennoch arbeiten die europäischen Kulturinstitutionen eng zusammen, und dieser Austausch wird durch offizielle EU-Programme auch finanziell unterstützt (siehe Kasten). Gitte Zschoch, Geschäftsführerin des Netzwerks der europäischen Kulturinstitute (EUNIC), erläutert, was zu erwarten ist, wenn Großbritannien sich nun politisch zurückzieht.

Seit dem 31. Januar steht der Brexit fest. Wie beeinflusst das den kulturellen Austausch und wie empfinden das die Kulturschaffenden?

Gitte Zschoch ist seit 2018 Geschäftsführerin von EUNIC, dem Netzwerk der europäischen Kulturinstitute mit Sitz in Brüssel. Davor baute sie die Außenstelle des Goethe-Instituts in Kinshasa (Demokratische Republik Kongo) auf, wo sie Projekte wie die crossmediale Webserie „Kinshasa Collection“ oder eine Eröffnung der Tourneeausstellung von Wolfgang Tillmans realisierte. Sie war außerdem stellvertretende Leiterin des Kommunikationsbereichs in der Zentrale des Goethe-Instituts. Gitte Zschoch studierte Literaturwissenschaften in München und Moderne Koreanische Literatur in Seoul, Südkorea. Gitte Zschoch ist seit 2018 Geschäftsführerin von EUNIC, dem Netzwerk der europäischen Kulturinstitute mit Sitz in Brüssel. Davor baute sie die Außenstelle des Goethe-Instituts in Kinshasa (Demokratische Republik Kongo) auf, wo sie Projekte wie die crossmediale Webserie „Kinshasa Collection“ oder eine Eröffnung der Tourneeausstellung von Wolfgang Tillmans realisierte. Sie war außerdem stellvertretende Leiterin des Kommunikationsbereichs in der Zentrale des Goethe-Instituts. Gitte Zschoch studierte Literaturwissenschaften in München und Moderne Koreanische Literatur in Seoul, Südkorea. | Foto: © Ksenia Kuleshova / EUNIC Durch Corona ist gerade vieles ein bisschen in den Hintergrund gerückt – auch der Brexit und die Verhandlungen der EU mit Großbritannien. Nach dem Brexit-Termin Ende Januar gab es eine größere Aktion seitens der European Cultural Foundation zusammen mit vielen weiteren europäischen Partnern, in der sie sich zu einer verstärkten Zusammenarbeit mit Kulturschaffenden und -akteuren aus dem Vereinigten Königreich verpflichtet haben. Die Aussage im Kern: Die kulturelle Zusammenarbeit soll und muss weitergehen, zumindest, was Künstler*innen und Institutionen angeht. Es ist aktuell viel persönliches Mitgefühl zu spüren, viel Bedauern. Viele in Brüssel finden es schade und schmerzhaft, dass dieser Bruch vollzogen wurde. Und das ist auch innerhalb Großbritanniens so: Die Kulturszene ist voll von Remainers, die für den Verbleib in der EU gestimmt haben. Nur haben diese es eben leider nicht geschafft, eine Mehrheit zu bekommen.

Was ändert sich künftig?

Die britische Regierung hat sich kulturell ziemlich deutlich von der EU abgewendet. Über das Creative Europe Programme zur Förderung des Kulturaustauschs können auch Nicht-EU-Nachbarländer einbezogen werden, zum Beispiel die Länder des so genannten westlichen Balkans oder auch Norwegen. Großbritannien hat sich aktiv da rausgezogen und kein Interesse gezeigt, weiterhin Teil dessen zu sein. Für Kulturschaffende ist das schlimm. Ihnen fehlt dadurch der Zugang zu Fördertöpfen und kooperativen Projekten – vom direkten Austausch mal ganz abgesehen.

Was ist denn von den Brexit-Verhandlungen zu erwarten?

Im politischen Brüssel scheint ein Konsens darüber zu bestehen, dass es in allen Bereichen einen Bruch geben muss, egal, wie gut man bisher zusammenarbeitet hat. Es soll auf jeden Fall vermieden werden, dass alles bleibt wie zuvor, nur mit anderen Verträgen. Gerade wurden die Verhandlungen nach einer Corona-bedingten Unterbrechung wieder aufgenommen. Nun geht es um die Verlängerung der Übergangszeit. Meine Wahrnehmung ist, dass die britische Position stark der absoluten Abwendung zugeneigt bleibt und es derzeit kaum Raum für Kompromisse gibt.

Glauben Sie, dass der Brexit separatistisch gesinnte Länder ermutigt, die EU zu verlassen?

Ich glaube nicht. In Polen zum Beispiel ist die Zivilgesellschaft so pro-europäisch, dass keine Partei oder Führung dagegen ankommen würde. Letztes Jahr wurden dort 15 Jahre EU-Zugehörigkeit mit einer großen Kampagne der Regierung gefeiert. Der Brexit dient nicht mehr als Vorbild. Dazu ist das Versprechen und sind die Vorteile, EU-Mitglied zu sein, immer noch zu groß. Das zeigt sich auch an Ländern, die sich weiterhin um eine Mitgliedschaft bemühen, wie Albanien oder Nordmazedonien.

Ein bisschen kann man ja aktuell sehen, wie es wäre, wenn es keine Staatengemeinschaft gäbe und man zum Beispiel ein Visum bräuchte, um in ein anderes europäisches Land zu reisen.

Ja, das ist gerade interessant zu beobachten. Wir schotten uns ab und das gibt uns einen kleinen Vorgeschmack darauf, wie es wäre, wenn wir nicht so einfach reisen könnten. Plötzlich stünde vieles, was jetzt für uns selbstverständlich ist, in Frage – Städtetrips, Sprachreisen, Fernbeziehungen, Auslandssemester. Als EU-Mitglied ist das normalerweise – zu Nicht-Corona-Zeiten – alles einfach und unkompliziert. Und es lohnt sich, dafür einzustehen. Die Briten werden diese Einschränkungen bald dauerhaft haben.

Die Corona-Krise ist völlig unerwartet zu den vorhersehbaren Einschnitten durch den Brexit hinzugekommen. Was hat denn drastischere Auswirkungen auf den Kulturbetrieb: der Brexit oder die Corona-Krise?

Die Corona-Krise. Zugleich wird jetzt deutlich sichtbar, wie viel Bedeutung Kultur in unserem Alltag hat. Social Distancing verbietet uns, ins Kino zu gehen, in eine Ausstellung, zu einem Musical. Wir sehen und spüren schmerzlich, was wir sonst selbstverständlich haben – und jetzt nicht mehr. Dadurch tritt die Kultur- und Kreativindustrie endlich mal richtig in Erscheinung. Es gab auch noch nie so viel Aufmerksamkeit auch dafür, wie divers der Kultursektor ist. So gesehen ist es jetzt immerhin eine gute Zeit für Lobbyarbeit.

Macht sich das auch schon konkret bemerkbar?

Es gibt aktuell viele Bemühungen, Künstler*innen in eine weniger prekäre Lage zu versetzen. Einige Mitglieder des EU-Parlaments sind da mit Petitionen und Aktionen aktiv, sie wollen zum Beispiel den Zugang zur Künstlersozialkasse verbessern. Es gibt einige hoffnungsvolle Aspekte – aber natürlich werden die Budgets nach der Krise vermutlich erstmal kleiner ausfallen und somit auch das kulturelle Angebot.

Was macht Kultur aus, dass es sich lohnt, so für einen Austausch und eine internationale Zusammenarbeit zu kämpfen?

Kultur bringt Menschen zusammen. Kultur trägt zur Völkerverständigung bei, sie schafft Vertrauen über Ländergrenzen hinweg. Das ist wichtig in Konfliktregionen – wo es manchmal keinen anderen Weg des Austauschs mehr gibt – und in Krisenzeiten wie jetzt, wo wir durch Corona die Grenzen wieder bewusst gemacht bekommen. Durch kulturellen Austausch und Zusammenarbeit kommen Menschen direkt zusammen, und dadurch wird die Möglichkeit geschaffen, sich kennenzulernen und Vorurteile abzubauen. Naja, und außerdem profitieren wir alle von dem immensen kreativen Reichtum, den die Welt zu bieten hat – und Kulturaustausch ermöglicht den Zugang dazu.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Wie würde die Zukunft der kulturellen Zusammenarbeit aussehen?

Ich wünsche mir, dass wir die derzeitige Situation nutzen, um darüber nachzudenken, wie wir in Zukunft zusammenarbeiten wollen. Zum Beispiel sollten wir alle Menschen, die im Kulturbereich tätig sind, fair bezahlen. Wie können wir gemeinsame Teilhabe ermöglichen? Ich wünsche mir mehr Zusammenarbeit und weniger Konkurrenzdenken. Und nicht zuletzt: Wie kann Kulturarbeit auch ihre Auswirkungen auf die Umwelt besser im Blick haben?
 

EUNIC – Nationale Kulturinstitute in der Europäischen Union

Kultur ist in Europa Hoheitssache der Mitgliedsstaaten. Dennoch ist den EU-Vertreter*innen im Laufe der Jahre Kultur auch in Außenbeziehungen immer wichtiger geworden, sodass eine Kulturagenda und 2016 eine Strategie für die Außenkulturbeziehungen entwickelt wurde. 2006 haben sich die europäischen Kulturinstitute zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, um gemeinsam europäische Kulturbeziehungen zu betreiben und darin auch Partner der EU zu werden: EUNIC (European Union National Institutes for Culture) hat Mitglieder aus allen 27 EU-Mitgliedsstaaten und wird unter anderem vom Creative Europe Programm der Europäischen Union unterstützt.